Mini 6.50: Der Reporter und sein neuer Mini – Haben Boot und Schicksal einen Bezug?

Mein liebenswertes Luder

mini 6.50, Proto, Abenteuer

Der Autor kurz vor dem Verlassen der Komfortzone: Man(n) fühlt sich wohl in der Partnerschaft mit dem nassen Luder © miku

Miku kauft einen uralten Proto und fragt sich: Wer hat hier eigentlich wen gefunden und betört? Ein Ereignis in fünf Episoden.

Was mache ich hier? Was soll das alles? Ich stehe zwischen düsteren, beklemmend wirkenden Bunkeranlagen, die zehn Stockwerke über mir aufragen. Die Wände bröckeln, jemand hat den Spruch „zum Angstkriegen“ ungelenk auf die Wände gesprüht. Ich fröstele, es fängt an zu regnen. Noch zwei Tage bis Weihnachten und ich bin zum vierten Mal genau 1001 Kilometer von meiner Haustüre bis hierher zur Mole in Lorients „Cité de la Voile“ gefahren. Von den überschaubaren Weiten des Goldkanals am Fuße des Schwarzwaldes zum „Grand Bleu“ des Atlantiks. Um im Internet annoncierte Boote zu besichtigen.

Einen Schritt weiter und ich würde neun Meter in die Tiefe fallen. Da unten dümpeln, trotz (gar nicht mal so) eisigen Windes, fünf Mini 6.50 im Päckchen. Ein Angler an der Mole ruft, das seien die Boote von den Spinnern, die auch im Winter trainieren, hähä.

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Stillleben im Päckchen, mit drohender Bunkerkulisse  © miku

Zu denen soll ich also auch bald gehören. Zumindest will das ein fast schon zwanghafter Trieb seit ein paar Monaten, oder sind es schon Jahre?

Irgendwann hatte es mich gepackt und wie im Fieberwahn hörte ich immer wieder: Nein, du kaufst dir jetzt auf deine alten Tage keinen Joghurtbecher, entfernst dich nicht von der Wasserlinie sondern bleibst Laser-Dimensionen treu, gönnst dir was Kleines, Rassiges – ganz egal, wenn es schon ein bisschen gereift ist.

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Das Luder aus Mövenperspektive, hier noch im anderen Outfit © vasseur

Hauptsache, du kannst sie dir leisten und die Chemie stimmt. Übliche Midlife-Crisis-Gedanken, eben.

Es sollte, es musste ein Mini werden. Einfach so zum Rumrutschen auf dem Meer, nix Transat, keine Nordwestpassage – Option „Rente auf Folke in den Stockholmer Schären“ wurde auf Ü 65 verschoben, Option Couch-Potatoe auf ein nächstes Leben.

Staubig oder versifft?

Arnaud Vasseur kommt angeschlurft. Mitt-Dreißiger, in der französischen Hochseeszene als verlässlicher Boots- und bis an den Genfer See als begnadeter Steuermann bekannt. Er ist der Fünfte, der mir seinen Mini Proto verkaufen will und er ist derjenige, der mich mit den Worten herlockte: „Ecoute, der Kahn ist etwas staubig, aber er steht seit fünf Jahren im Trockenen und ich sorge dafür, dass alles, aber auch wirklich alles funktioniert, wenn du ihn kaufst.“

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Leichte Hallen-Patina nach fünf Jahren ohne Wasser © miku

Als ich das Boot zum ersten Mal sehe, rutscht mir das Badenser-Kehrwoche-Herz in die Hose: Schmutzig war nicht das Wort, versifft hätte besser gepasst. Aber genau dort hört der französische Wortschatz auf. Typisch!

Vier Stunden später besiegeln wir in der Hochsee-Szene-Kneipe „La Base“ vor heimeligen Kaminfeuer (Hat das Arnaud organisiert? Der einzige Platz vor den Flammen im vollbesetzten Lokal war rein zufällig für uns frei?) unseren Deal.

Mir gehört nun ein 15 Jahre junger Proto mit der ziemlich niedrigen Fabrikationsnummer 247 namens „Nat’ché“ (= „nass“ auf bretonisch), Rogers Design, gebaut bei Rowen Composite in Großbritannien, schon öfters über den Atlantik gesegelt, mit in Längsschiffsrichtung verstellbarem Schwenkkiel sowie Karbon-Palme. Und Arnaud gehört eine Summe, die ich hier nicht nennen möchte, nur so weit: Vor vielen Jahren wurde die 6.50 Meter kurze Zicke mal von einem Gutachter auf 100.000 Euro geschätzt – hab ich schwarz auf weiß!

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Scharfer Hintern, oder? © miku

Gesucht und gefunden

Wie kommt es, dass so ein Boot zu einem findet? Denn mittlerweile bin ich, nach winterlangem Hin- und Herwälzen mit gnadenlosen Schnarchorgien eindeutig zu diesem Schluss gekommen: Der Mini 247 hat mich gesucht und gefunden. Und nicht umgekehrt. Oder ist es so, dass irgendwo in der vierten Ozean-Dimension Boote wie Karten beim Pokerspiel verteilt werden?

Um es gleich vorweg zu nehmen: Die erste Solo-Ausfahrt war göttlich. Wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen erhofft habe. Wären da nur nicht diese Hafenmanöver gewesen. Wegen des höheren Coolness-Faktors wurde mir zuvor die Anbringung eines Motors seitens des Vorbesitzers kategorisch verboten („Echte Ministen fahren keinen Drecks-Außenborder!“).

Bei lockeren drei Windstärken segle ich also stilecht unter Groß raus aus dem Hafen. Ein nebenan liegender nagelneuer Pogo 3 wäre bei meinem eigentlich einfach anmutenden Manöver mit nach vorne gedrücktem Groß elegant rückwärts ausparkend beinahe auf Tiefe gegangen.

Aber: hat gerade noch geklappt, bin durch. Auch dank der Hilfe von Marcus Demuth, dem einzigen Mini-Segler, der einen Mini-affinen Nachnamen hat. Jetzt noch am Wrack, das direkt vor der Hafeneinfahrt liegt vorbei und… die Freiheit beginnt!

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Und es kann losgehen © miku

Die schmeckt dann wirklich nach Tränen (der Rührung) und Champagner (wegen dem Prickeln): Als ich draußen meine ersten Schläge unter dem riesigen, 15 mal geflickten, blauen Groß und der etwas dünnen Genua mache, gibt es nur ein Gefühl: Schon hierfür hat sich alles, aber auch wirklich alles gelohnt. Diese kurzen Dinger in der Atlantik-Dünung vor Lorient sind der Inbegriff des Segelns. Nicht mehr und nicht weniger.

Das Rauschen achteraus schon ab 15 Knoten Windstärke, dieses Gefühl von wild und frei: Schon nach einer Stunde weiß ich, wie sich die Transat-Ministen nach 22 Tagen auf See fühlen müssen. Die unendliche Leichtigkeit des Mini-Seins…

Deutlich erkennbar: Die gefälligen, runden Formen von Nat'ché (Bj. 2000) im Vergleich zu Ian Lipinskis nagelneuer Pogo3 © miku

Deutlich erkennbar: Links die gefälligen, runden Formen von Nat’ché (Bj. 2000) im Vergleich zu Ian Lipinskis nagelneuer Pogo3 mit ihren harten, martialisch wirkenden Linien © miku

Überhaupt, obwohl nur 15 Seemeilen vom Land entfernt, höre ich schon wie die Einhand-Helden in der endlosen Weite der See Stimmen! Deutlich ruft jemand: „Mikael“. Ich drehe mich um – im toten Winkel rauscht Arnaud heran: Locker auf dem Luvschwimmer des MOD70-Trimarans „Paprec“ stehend, schwebt er für ein paar Sekunden im dritten Stock über mir.

Er winkt, ist sichtlich gerührt: „Mon Mini! Qu’est-ce qu’il est beau! Was ist der schön!“ Acht Sponsoren-Gattinnen müssen auf dem Tri heute ausgeführt werden. Sie sitzen helmbewehrt wie die Hühner auf der Stange und klatschen pflichtbewusst. „Was war das noch mal? Votre Mini? Et ce Monsieur avec les cheveux blancs? Und dieser Mann mit den grauen Haaren? Splendide!“

Mal ehrlich: Kann ein alternder, frisch gebackener Minist mehr erwarten? Eben!

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Michael Kunst

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10 Kommentare zu „Mini 6.50: Der Reporter und sein neuer Mini – Haben Boot und Schicksal einen Bezug?“

  1. avatar Enno Kramer sagt:

    Super Bericht! Jeder der mal in einem Mini segelte oder einen besitzen konnte, fühlt exakt so!

  2. avatar Andreas Ryll sagt:

    Toller Artikel. MiKu hat mal wieder viel Humor eingebracht

  3. avatar dubblebubble sagt:

    Super Artikel mit viel Humor. Besonders witzig finde ich die Gedanken zum Abschluss des Deals in der Seglerkneipe. Chapeau!

  4. avatar Firstler sagt:

    Was für ein herrlicher Artikel!!!! Danke!

  5. avatar Chris L sagt:

    Willkommen im Club Miku!
    Sag mal Bescheid wenn du wieder in Lorient bist!

    PS: Ian Lipinski hat keine Pogo3 sondern eine Ofcet, die sehen sich aber auch sehr ähnlich.

    • avatar miku sagt:

      Ja, Chris, das kriege ich bestimmt auch mal noch irgendwann auf die Reihe 😉 Ist aber tatsächlich so, dass selbst “gestandene” Ministen sich vor dem “Pogo3” von Ian zum Plausch getroffen haben – und genau von denen hab’ ich’s dann ja “abgehört”. Aber das wird schon, sehen sich ja auch ziemlich ähnlich, von vorne und von hinten…

  6. avatar Ostnordost sagt:

    Erzählkunst. Bitte mehr davon.

  7. avatar oliver@segelnmallorca.de sagt:

    Super gut geschrieben. Bitte mehr davon.

  8. avatar Holger Reinhardt sagt:

    hach, da hätte ich auch mal Lust drauf…
    Dein Motor wird übrigens ohne “u” geschrieben 😉

  9. avatar Andreas sagt:

    Sehr schön Miku….willkommen im Club
    Ist schon abgefahren was in Lorient halt so abgeht….ich sag immer….
    ….kein Tag ohne Action im Hafen….Lorient schläft nicht 🙂

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