Tipps und Tricks vom Blauwasser Hans: „Back-Lift“ – das Mann-wieder-an-Bord – Manöver

Wie wieder aufs Schiff zurück, wenn Mann-über-Bord?

Das Horror-Szenario kann nur zu schnell erschreckende Wahrheit werden: Mann über Bord! Beim schönsten Kaiserwetter kann es ebenso passieren wie beim harten Sturm. In jedem Fall geschieht es urplötzlich und ohne Vorwarnung. Blitzschnelles Überdenken der Situation und sofortiges Handeln sind angesagt.

Je nach Yacht, Crew, Wetterbedingungen, und natürlich je nach Zustand des Havaristen kommen verschiedene Bergungsmöglichkeiten in Frage.

Das Wichtigste ist, dass man den Über-Bord-Gefallenen nicht aus den Augen verliert! Nur zu schnell segelt die Yacht mehrere Schiffslängen weiter, bis das Malheur realisiert, und dann ein Manöver eingeleitet ist. Schon nach wenigen Augenblicken ist der kleine Menschenkopf auch in nur mäßiger Welle nicht mehr zu sehen. Also: Immer mit einem Auge den Mann/Frau im Wasser beobachten.

Dann kommt das Zweit-Wichtigste: Die MOB-Taste am GPS-Gerät drücken, um die genaue Position festzuhalten.

Auch gute Schwimmer haben häufig keine Chance an der Bordwand Halt zu finden. Wie erst in voller Montur? Eventuell auch noch verletzt? © H.Mühlbauer

Das Dritte schließlich ist: Eine Verbindung zwischen Boot und Schwimmer herstellen, damit er nicht abtreibt und außer Sicht gerät. Wenn der Havarist bei Bewusstsein ist oder nur mäßig verletzt, dann wird er eigenständig eine zugeworfene Leine fangen können, und sich mit einem Palstek, den er in seiner Panik hoffentlich noch knüpfen kann, selbst sichern. Ist er dagegen ohne Bewusstsein, dann wird es schwierig.

In vielen Lehrbüchern werden Mann-über-Bord-Manöver beschrieben, bei denen versucht werden soll, die Yacht längsseits neben dem Havaristen zum Stehen zu bekommen. Ausdrücke wie „Nahezu-Aufschießer“, „Aufnehmen in Luv oder in Lee“ und „Mann gefasst“ sind Führerschein-Absolventen sicherlich noch im Ohr. Gebräuchlich sind die Q-Wende und das Münchner Manöver, das auch Quick-Stopp genannt wird.

Bei all diesen Manövern hat man stillschweigend einige Dinge vorausgesetzt: Es befinden sich noch mindestens 2 Crewmitglieder an Bord (ein Rudergänger und ein „Aufnehmer“) – das Manöver klappt (möglichst) beim ersten Mal – die Yacht verbleibt so lange neben dem Havaristen, dass der Vorschiffsmann diesen zumindest fassen und sichern kann. In der Praxis sind oft nur zwei Personen, oft ein Paar, an Bord beim Segeln, das Annäherungsmanöver klappt nicht, die Yacht stoppt zu weit weg vom Havaristen und treibt sofort wieder ab. Es kann somit keine Verbindung hergestellt werden und das Manöver muss komplett wiederholt werden.

Als zusätzliche Schwierigkeit kommt die hohe Bordwand noch hinzu: Der Schwimmer kann sich selbsttätig nirgends festhalten und der Retter muss immer mit einer Verlängerung, sprich mit Bootshaken oder Leine, versuchen zu arbeiten. Wie man sich vorstellen kann: Es bleibt spannend …

Und ist dann glücklicher Weise und häufig endlich eine Sicherungsverbindung hergestellt, stellt sich immer noch die Frage: Wie kommt der Über-Bord-Gegangene zurück an Deck?

Der Zubehörhandel bietet eine Vielzahl unterschiedlicher Bergesysteme an: Rettungsnetze, Sprossensysteme, Bergeschlingen und -segel, Taljen und Winden, um auch einen schweren Mann mit vollgesogener nasser Kleidung heben zu können, Tuchsysteme, in die der Havarist einschwimmen kann, etc. Auch hier ist immer die Schwierigkeit, dass ein einzelnes Crewmitglied sicherlich nicht problemlos Boot und Bergung gleichzeitig bewerkstelligen kann.

Hier nun eine neue Version des Mann-wieder-an-Bord-Manövers, das auch von einer Person meist angewandt werden kann: Der “Back-Lift“, der besonders bei Motorfahrt gut eingesetzt werden kann.

Beim “Back-Lift” unter Motor im Rückwärtsgang gegen den Wind sich dem Über-Bord-Gegangenen vorsichtig nähern © H.Mühlbauer

Dabei wird der Havarist nicht längsseits der Bordwand, sondern am Heck der Yacht aufgenommen! Die Yacht wird hierbei mit der Maschine rückwärts, also mit dem Heck voraus, und gegen den Wind an die im Wasser befindliche Person herangefahren. Der Rudergänger sieht von seiner Position ganz genau wohin und wie weit er rangieren muss, ohne, dass ein Vorschiffsmann ihn einweist. Er braucht auch keine Angst zu haben, dass der Schwimmer bei einer Segelyacht mit den Beinen in die Schraube kommen könnte, denn ein ganzes Stück vorderhalb der Heckkante befindet sich das oft recht breite Ruderblatt, das den noch viel weiter vorn liegenden Propeller recht wirksam abdeckt. Bei größeren Yachten kann der Abstand vom Heck bis zum Propeller bis zu zwei Meter betragen – da muss man schon unter die Yacht tauchen, um auch nur in die Nähe des Prop zu gelangen. Bei Motoryachten, die den Antrieb direkt am Heck haben, ist dagegen größte Vorsicht geboten! Wer vorsichtig und langsam an den Havaristen manövriert kann sich mit Motorkraft sehr gefühlvoll herantasten und Abstand halten, was bei der Längsseitsmethode mangels direkter Sicht schier unmöglich ist.

Über das Heck, an der häufig Badeleitern montiert sind bzw. Badeplattformen sich befinden, kann der Über-Bord-Gegangene mit Hilfe einer rettenden Hand aufgenommen werden © H.Mühlbauer

Von der Badeplattform am Heck ist es für den Helfer leicht den Schwimmer mit der Hand und ohne Hilfsmittel zu greifen, ihm eine Rettungsleine umzulegen, und ihn an Bord zu bekommen.

Falls nötig, kann eine Leine, auch eine Fockschot, wenn sie denn lang genug ist, als Bergungsleine dienen. Man kann sie über eine Fockwinsch legen und so auch eine schwere Person aus dem Wasser bekommen. Zugegeben, das ist vielleicht nicht die schonendste Möglichkeit zum Herausziehen des Havaristen, aber es ist immerhin eine Version, die schnell und von nur einer Person unternommen werden kann – ohne erst in Backskisten nach geeignetem Leinenmaterial zu fahnden. Eventuell kann diese Bergeleine noch über die Nock des Großbaumes geführt werden, so dass ein regelrechter Kranausleger entsteht und der Havarist fast senkrecht aus dem Wasser gehoben wird.

Gute Gründe, den “Back-Lift” mal im Training auszuprobieren:

  • Von einer einzigen Person an Bord anwendbar.
  • Besonders bei Motorfahrt einsetzbar.
  • Sehr viele der modernen Yachten verfügen über eine niedrige Badeplattform am Heck, von der aus der Retter dem Schwimmer sogar die Hand reichen kann.
  • Keine Hilfsmittel wie Bootshaken etc. notwendig, um den Havaristen zu fassen.
  • Eine Badeleiter wird wohl an jeder Yacht vorhanden sein, so dass ein noch aktiver Über-Bord-Gegangener aus eigener Kraft wieder auf das Schiff zurückkrabbeln kann.
  • Bei leichten bis mittleren Winden können sogar die Segel in beliebiger Segelstellung gesetzt bleiben, denn moderne Yachten sind meist so stark motorisiert, dass sie ein Boot mitsamt Segeln bis zu einer bestimmten Windstärke sogar gegenan bewegen können.
  • In dieser Position – Heck gegen den Wind – lässt sich eine Yacht problemlos auf der Stelle halten, was mit Bug im Wind nicht möglich ist.

Es gibt leider kein Allheilmittel, kein Standardmanöver, das immer funktioniert, um einen Über-Bord-Gegangenen wieder zurück an Deck zu bekommen. Aber das hier vorgestellte “Mann-wieder-an-Bord-Manöver”, der “Back-Lift” – individuell an Yacht, Crew und Situation angepasst – erscheint als eine auch für kleine Crew recht sichere und praktikable Methode.

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Hans Mühlbauer

... hat in mehr als drei Dekaden in Mittelmeer und Übersee auf diversen Charteryachten und auf eigenen Yachten über 100.000 Meilen als Skipper (mit SHS, LRC etc.), Reiseveranstalter, und als Fahrtensegler gesammelt. Als freier Journalist, Autor und Filmemacher erkundet er spannende internationale Reviere, publiziert Bücher, schreibt Fachartikel für Zeitschriften und produziert Videos auf DVD und für das Fernsehen. Mehr unter www.dmcreisen.de. Seine Praxistipps finden Sie hier

6 Kommentare zu „Tipps und Tricks vom Blauwasser Hans: „Back-Lift“ – das Mann-wieder-an-Bord – Manöver“

  1. avatar Hans-Ulrich Heisler sagt:

    Moskito sieht die Lage gut, denke ich.

    Ist die Person bewusstlos, dann haben wir ein ganz dolles Problem.

    Normal ist aber eher, dass jemand durch eine Unachtsamkeit einfach doof draussen liegt.

    Sind die entsprechenden Rettungsmittel am Mann, besser, wenn nicht, dann müssen wir noch besser aufpassen und noch schneller sein.

    1 SOFORT Alles unternehmen was schnell geht und den Mann wieder finden lässt.
    Die MOB taste sollte bis zum Reflex geübt sein.
    Das mit der Funke ist ja prima, wenn irgend wo noch eine Yacht sein kann, aber bitte ,bitte erst einmal den Mann finden.
    Und:
    Was immer du hinter her wirfst, es treibt schneller oder langsamer. Aber wenn der Mann das Rettungsmittel erreichen kann, perfekt. Aber verlier bloss nicht zuviel Zeit mit Losnüppern etc.

    Und hier ein Manöver unter Segeln (ohne Spi und Gen) dass Herr Walter Dehnhardt mir vor vielen Jahren gezeigt hat.

    2 Egal aus welchem Kurs, Ohne die Segel / Schoten anzufassen, dafür aber SOFORT : Auf Halbwind und zurück wenden zum Mann hin.
    Aus Amwind Kursen abfallen und wenden, aus Raumen Kursen anluven und wenden – Ja es gibt Tage an denen geht das wg. der Wellen nicht wirklich gut, aber es geht fast immer.
    Beim Mann eine Art Beiliegen versuchen, das geht mit manchen Booten gut, mit manchen gar nicht gut.
    Versucht was mit eurem Boot geht. Im Prinzip auch egal, nur das Boot muss zum Bergen langsam sein.

    2.1 Parallel geht der Motor an und wir suchen eine Leine zum Zuwerfen.

    3 Mann gefunden und irgendwie angebunden, Boot steht irgendwie, oder treibt langsam mit dem Mann vor sich hin.

    3.1 Motor sofort aus, Segel runter wenn notwendig, wenn nicht erst Mann hoch, Schaden am Mann vermeiden. Die Badeleiter ist gut, wenn der noch selber kann, sonst ist das supergefährlich.

    Alle sagen immer bloss nicht noch ein zweiter ins Wasser. Sowie wir mehrere sind und/oder die Person sich nicht mehr selber helfen kann, gehe ich angeleint und helfe. Wie denn sonst?

    Last but not least lest unbedingt bitte alle das mit dem liegend Bergen. Das ist super wichtig im kalten Wasser und nach Zeit!

  2. avatar Moskito sagt:

    Im Blauwasser eignet sich diese Art von Maöver IMHO nicht.

    Warum:
    die Crew ist bei den meisten Blauwasserseglern klein, zwei Mann/Frau, da kann keiner mehr Ausschau halten, denn er/sie ist nur noch allein an Bord. Deshalb muss

    1. in Griffnähe, also Cockpit …und bei Centercockpit auch, ein gelber Rettungsring/reif (Typ Sekumar)bereit sein, sofort über Bord damit, denn den sieht man noch einigermassen. Mit im Auge behalten ist da nix mehr.. In der Nacht muss sowieso Weste mit Stroboskop und Pfeife getragen werden.

    2. Autopilot ausschalten, Motor sofort anwerfen, dazu muss der Schlüssel im Zündschloss stecken, nicht so einfach bei vielen Schlössern wg Gefahr, dass er abgebrochen wird. Und rum um 18o ° egal was Segel und Boot sagen…alles andere dauert bei Langfahrt viel zu lange.Autopilot wieder an, ab da nähert man sich dem Über-Bord Gegangenen wieder.
    3. dann kann/sollte man die MOB-Taste drücken, wenn das alles gut läuft , sind vielleicht 1-1,5 min vergangen und man ist ca. 100 m entfernt. Mit dem Boot auf Kurs unter Motor kann man dann Ausschau halten und den Rest zu erledigen versuchen.

    Wenn das Nachts passiert und dann noch bei schlechtem Wetter, findet man den Über-Bord-Gegangenen nur noch, wenn er ein Stroboskop bei sich hat.

    Ich wünsche es keinem und wenn der MOB an Bord geholt werden muss und selbst nicht mithelfen kann, dann ist mit Sicherheit Zustand angesagt. Wenn das Heck frei ist (Problem Windpilot/Badeplattform ) und eine Badeleiter angebracht, kann man dort den MOB dann irgendwie packen anpicken,anleinen, was auch immer…das muss man wohl einmal ausprobieren.

    meint Moskito

  3. avatar Klaus Knäckeboot sagt:

    Zitat: “Der “Back-Lift“, der besonders bei Motorfahrt gut eingesetzt werden kann.”
    Aha – und wie funktioniert er unter Segeln?

  4. avatar Barbara sagt:

    Wir sind noch geschockt vom Tod eines guten Bekannten, der trotz guter Segelkenntnisse und schneller Maßnahmen doch unterkühlt im Krankenhaus gestorben ist. Dieser Artikel ist ein rechter Hohn. Bei schlechtem Wetter, kaltem Wasser funktioniert das nur in ganz wenigen Fällen – selbst wenn die Segler sehr erfahren sind und alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen haben. Vielleicht zeigen sie mal da Beispiel bei Windstärke 6, Stresssituation und Wassertemperatur von 6°C.
    Mast- und Schotbruch
    Barbara

  5. avatar Andreas Lackner sagt:

    Ich verwende und trainiere unter Segel das Hamburger Manöver. Durch die Schräglage beim Beidrehen kann man den Verunglückten in Lee leichter an Bord ziehen. Da das schlagende Heck schon bei kleiner Welle gefährlich ist, würde ich eine seitliche Aufnahme auch unter Motor bevorzugen, denn ob ich eine Leine am Heck reinwerfe oder seitlich, macht vom Aufwand her keinen großen Unterschied.

  6. avatar hihi sagt:

    Sorry ich ich denke es wurden ein Paar WICHTIGE Faktoren übersehn.
    Auf den Bildern sieht es alles sehr nett aus, aber da ist auch Spiegelglattes wasser.

    Wenn man das ganze aber bei viel Welle macht hebt sich das Heck und knallt wieder runter, ,mit pech auf den überbordgegangenden. Dann ist aber ende.
    Die Badeleiter bekommt man bei Welle auch schwer zu fassen, wenn die immer hoch und runter geht.
    Bis man alle Segel unten hat ist auch ne ganze Zeit vergangen.
    Ich denke das Manöver ist nicht gut geneignet, außer bei Flaute.

    Eine waagerechte bergung ist auch sogut wie nicht möglich, bei der variante.

    Wiegesagt bei Flaute und waren Wasser eine möglichkeit, bei Welle und Wind auß meinen Augen Nutzlos.

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