Von Karten, Daten und Lizenzen. Teil 1.

"You got what you paid for"

Sind die rosigen Zeiten für Anbieter von Navigations Apps bald vorbei? Der Versuch eines Einblicks in eine komplizierte Branche.

 

Vorab: Mein technisches Problem mit der Navionics App hat wohl andere Gründe. Man kann Navionics immer noch runterladen und die Karten nutzen. 

Seekarten sind eine sehr komplizierte und teure Angelegenheit. Das Papierseekarten in der Vergangenheit teurer waren als der Shell Atlas dürfte jeder verstehen.

Die ersten digitalen Karten standen dem Preisgefüge der Papierkarten in nichts nach. Für meine ersten Garmin-Bluecharts für die Ostsee habe ich rund 300 Euro hingeblättert.

Preiswert wurde das Ganze erst, als Navionics vor Jahren mit seiner App auf den Markt kam. 59 Euro für ganz Europa! Allerdings ohne Dänemark – und das hat seinen Grund.

Die Dänen nehmen für die vom Kartenamt herausgegebenen Daten hohe Lizenzgebühren. Daher sind die Karten, auf denen dänische Seegebiete verzeichnet sind, auch meistens ein wenig teurer. Da die Dänen das Urheberrecht sehr ernst nehmen, war in der Vergangenheit mit ihnen auch nicht zu spaßen, wie der Rechtsstreit mit dem NV Verlag gezeigt hat.

Preispolitik und -verfall.

Navionics ©navionics.com

Navionics ©navionics.com

Mit Navionics kamen dann nach und nach immer mehr Apps auf den Markt. iSailor verkauft heute das digitale Seegebiet bspw. für 23,90 Euro. Das steht in keinerlei Verhältnis mehr zu den Preisen, die für digitale Karten auf Plottern genommen werden. Vor allem, weil es teilweise die selben Daten sind. Aber auch da kann einem niemand erklären, wo eigentlich die Unterschiede bestehen. Die Navionics Karte auf SD Karte für den Plotter kostet etwa 10 mal soviel wie auf der App. Wie geht das?

iSailor ©http://vasaranpauke.files.wordpress.com

iSailor ©http://vasaranpauke.files.wordpress.com

Zwar sagt jeder Anbieter, dass er immer die neuesten Karten zur Verfügung stellt. Von wann die aber sind, sagt einem kaum jemand. “Last Update Februar 2015” bedeutet nicht, dass die Karten neu sind. Und auf den neuesten Daten basieren. Abomodelle mit den neuesten Karten bedeutet in der Regel nur, dass es sich um die neusten Karten handelt, die der Anbieter rausgibt. Auch wohl deshalb schickt jede App vor dem Start einen Warnhinweis heraus, dass die App sich nicht zur Navigation, sondern nur zur Planung eignet. Im Prinzip kann man Daten von 1998 nehmen, in seine eigene Karte übertragen und dann das ganze “Digger Karte, Stand 2015” nennen. Die Karte ist zwar von 2015, die Daten allerdings nicht. Sowas geht.

Die Anbieter offiziell lizensierter Seekarten, zum Beispiel Delius Klasing, geben immer die aktuellsten Daten heraus. Jeder neue Kartensatz ist auf dem Stand der Daten der Woche 1 des betreffendes Jahres.

Delius Klaing Yachtnavigator.

Delius Klaing Yachtnavigator.

Wie das bei anderen Anbietern ist, bekommt man kaum heraus. Nach meinem gestrigen Chat mit dem Navionics Support wollte mich die Firma kontaktieren. Das hat sie bisher nicht gemacht. Auch eine Anfrage auf der Facebook Seite wurde bisher nicht beantwortet. Obwohl danach auf der Seite gepostet wurde.  Bei solchen öffentlichen Fragen entwickeln Social Media Manager oftmals erst eine Strategie, bevor sie antworten.

Ich habe aber ein wenig weiter geforscht. Dabei habe ich immer wieder folgende Aussage gehört, deren Richtigkeit mir allerdings niemand zusichern wollte. Anscheinend haben die Dänen in den letzten Wochen und Monaten Verträge gekündigt bzw. Kündigungen angekündigt. Wer alles dabei ist, bekomme ich nicht heraus. Aber es scheint, dass nahezu alle Lizenznehmer von einer Neuausrichtung betroffen sind. Dazu später mehr.

Wie in der Musikbranche?

Navionics. Günstiges Abomodell. © navionics,com

Navionics+. Günstiges Abomodell. © navionics,com

Alles erinnert irgendwie an das, was auch mit der Musikindustrie vor Jahren passiert ist. Internet und Preisverfall haben dazu geführt, dass der Markt immer vielschichtiger wurde und immer weniger Geld für Musik bezahlt wird. Früher kaufte man Schallplatten. Heute mp3 (dann ist man aber auch eher von vorgestern) oder gleich ab zum Streaming Dienst, der per Flatrate Musik anbietet.

Der leidtragende ist  der Endverbraucher. Es gibt viel Musik, mehr als je zuvor. Es gibt auch qualitativ sicher einen Verfall. Es gibt so viele Anbieter wie nie zuvor. Und wenn man bei Spotify weg geht, sind auch die Playlists weg. Einfach ist anders. Der leidtragende Endverbraucher ist aber auch selbst schuld, denn es gilt der alte Satz: You got what you paid for. Es ist zu befürchten, dass sich diese Aussage auch auf digitale Seekarten übertragen lässt. Immer billiger hat oft auch Nachteile.

Wie entstehen Seekarten?

Um das ganze zu verstehen, muss man erst einmal wissen, wie Seekarten für die Sportschiffahrt überhaupt entstehen. Das ist komplizierter, als man denkt.

Datenkonvertierung von S-57 Daten. ©sevencs.com

Datenkonvertierung von S-57 Daten. ©sevencs.com

Die Daten, die ein Vermessungsschiff erfasst, bedürfen noch einer sehr aufwändigen Bearbeitung.  Eine Karte ist nicht lesbar, wenn alle 5cm eine Tiefenangabe gedruckt wird.  Vermessungsschiffe spucken genau solche Datenmonster aus.  Simpel gesagt muss dieser Datenwust erst noch aufgearbeitet und nach Relevanz sortiert werden. Diese Verarbeitung erfolgte bisher immer mit der sogenannten CARIS Software. Das passierte oft Blattweise, also je nach Maßstab. Eine 1:10000 Karte braucht andere Daten als eine 1:1000 Karte. Diese Aufbereitung erfolgt bei den Kartenämtern und wurde dann an die Anbieter per Lizenzvertrag weiter gegeben. Diese haben dann die Daten auf ihre speziellen Anforderungen wiederum mit CARIS GIS aufbereitet. Wenn man bedenkt, wie viel Arbeit und Kosten dahinter stecken (Lizenzgebühr, Aufbereitung, Redaktion und Produktion) waren Papierseekarten eigentlich nie wirklich teuer.

Seit einiger Zeit wurde das Ganze durch CARIS Objektdatenbanken ersetzt. Dadurch änderte sich auch der Workflow erheblich, was auch wiederum Geld kostet.

Um das ganze nun kompliziert zu machen, kommt der S-57 Standard ins Spiel. Ursprünglich war das ein standardisiertes Datenformat für die digitalen Karten in der Berufsschiffahrt. Man muss klassische Seekarten und diese Daten unterscheiden. Vor allem, wenn es um die Sportschiffahrt geht. Diese Daten werden auch den Objektdatenbanken entnommen. S-57 gilt als “zur ausschliesslichen Navigation” zugelassenes Format. Wer S-57 an Bord hat, braucht keine Papierkarten.

seapilot-ipad-screenshot-2

seapilot-ipad-screenshot-2

Allerdings: Das, was die S57 Daten herausgeben, ist vor allem für den Sportbootfahrer ungewöhnlich. Beispiel: SeaPilot. Diese App scheint auf dem ersten Blick sehr professionell, was sie auch ist. Jedoch ist die grafische Aufarbeitung für den Hobbykapitän gewöhnungsbedürftig. Und viele relevante Punkte gar nicht erst enthalten. Birkholm gibt es anhand dieser Daten nicht. Der Hafen ist schlichtweg nicht existent. Der Grund: S-57 ist nicht für Sportboote, sondern für die Berufsschifffahrt gemacht und gedacht. Und einen Frachter interessiert Birkholm nicht. Er kann eh nicht rein. Birkholm wird also quasi manuell händisch vom Anbieter eingebaut. Oder auch nicht.  Auf Seapilot muss man ihn sich denken.

Dennoch gab es ein Pilotprojekt, welches vor kurzem abgeschlossen wurde. Und so ist SeaPilot nun in Dänemark auch für den Sportbootfahrer zur “auschliesslichen Navigation” zugelassen. Und S-57 findet seinen Weg auf Smartphones und Tablets.

Vermessungsschiff MS WEGA © marinetraffic

Vermessungsschiff MS WEGA © marinetraffic

Interessant ist auch, wie und wann Daten erhoben und übermittelt werden. Der Hafen von Lyø wurde 2010 erweitert. Die Erweiterung tauchte aber in den meisten Fällen erst 2-3 Jahre später auf. Bei manchen Karten ist er heute noch auf dem alten Stand. Das kann mehrere Gründe haben: entweder sind die Daten nicht erhoben worden, nicht weitergegeben worden oder nicht in den Karten übernommen worden. Es ist allerdings nicht unbedingt immer ein Zeichen von Qualität der Karte, wenn der Hafen früh in seiner neuen Form dargestellt wird. Das bedeutet für den Rest der Karte eigentlich nichts. Es hat auch mit redaktionellem Aufwand zu tun. Deutschland hat zum Beispiel 5 Vermessungsschiffe. Die können nicht alles immer neu erfassen.

Lizenzen und Verträge

NV Charts @ NV Verlag

NV Charts @ NV Verlag

Solcher Aufwand kostet. Und daher ist die Herausgabe der Daten bisher an Lizenzverträge verknüpft. Bisher. Denn es ordnet sich seit einiger Zeit alles neu. Laut europäischem Recht müssen die Geobasisdaten nun seit geraumer Zeit kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Strittig ist allerdings, was Geobasisdaten sind. Die reinen Rohdaten oder die bereits aufgearbeiteten Daten? Das ist scheinbar Auslegungssache und wird unterschiedlich von Land zu Land bewertet. Vor allem die Dänen scheinen da hart zu bleiben. Das erklärt auch, warum bei Navionics bspw. Europa 59 Euro kostete, allerdings ohne Dänemark. Dänemark kostet extra. Aber auch diese Preise ändern sich laufend.

Für jeden Anbieter macht das die Geschichte sehr kompliziert. Die meisten schliessen brav die Lizenzverträge und bekommen die aufbereiteten Daten. Andere behaupten, ihre Daten selbst zu erheben und lassen sich auf lange Rechtstreitigkeiten ein. Die Rohdaten selbst verarbeiten wird niemand, denn das ist zu teuer – vor allem in einem solch begrenzten Markt.

Die USA handhaben das Thema ganz anders. Deren amtliche NOAA Karten und Daten stehen kostenlos jedem zur Verfügung.

Dänemark hat nun ganz eigen reagiert.Der Bericht eines schwedischen Magazins lässt vermuten, dass Geodatastyrelsen S-57 nun auch auf dem Sportbootmarkt platzieren und durchdrücken will. Dann würde auch die Gerüchte Sinn ergeben, dass die Verträge mit den Lizenznehmern gekündigt, bzw geändert werden.

(Danke an den SR Leser Daniel für den Link)

Nachtrag: Nach mehrern Testern zufolge ist iSailor auf dem neuesten Stand.

Teil 2 folgt. “Ausblick in die Zukunft und Analyse der Situation”

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Digger Hamburg

Kleiner segeln - größer leben. Filmemacher und Autor Stephan Boden verbringt jeden Sommer auf dem Wasser. Früher auf seiner VA18 "Digger" jetzt auf der Bente24, die er selbst initiiert hat. "Auf See habe ich Zeit, das schärft den Blick für Details." Zu seinem Blog geht es hier

3 Kommentare zu „Von Karten, Daten und Lizenzen. Teil 1.“

  1. avatar christian1968 sagt:

    Toller langer, profunder, guter Artikel – Freu’ mich auf Teil 2.

    Ahoi

  2. avatar Northwind sagt:

    Evtl. wäre für den Artikel noch ein Blick in Richtung http://www.openseamap.org/ empfehlenswert! Im Grunde OpenStreetMap für Seefahrer.

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