Tablets und Smartphones bringen die Navigation zur See ziemlich durcheinander. Wozu führt das?
Fettige Finger
Als ich Anfang des Jahrtausends mit dem Segeln begann, gab es bereits die ersten Plotter. Mit einem Garmin Handheld habe ich damals die Ostsee bereist. Die Karte kostete rund 300 Euro.
Als ich 2011 Digger gekauft habe, kam wieder so ein Handheld mit der gleichen Karte zum gleichen Preis aufs Boot. Parallel ein iPad mit Navionics und der Ostsee für 29,90 Euro. Nach einigen Tagen habe ich das Handheld nicht mehr benutzt.
Ich vermute, dass bspw. Navionics mit seiner App etwas ganz anderes geplant hatte. Es sollte durch einen günstigen Einstiegspreis Kunden gewonnen werden, die dann auch auf ihren Profi Systemen auf die Kartenangebote der Firma zurück greifen. Es kam allerdings anders.
Das die Navigation auf Tablets und Smartphone nicht mehr aufzuhalten ist, wurde einem vor 2-3 Jahren auf Messen und in den Zubehörgeschäften klar. Denn auf den Bildschirmen der 4000 Euro Plotter fanden sich immer öfter die Spuren von fettigen Fingern. Die Leute erwarteten Touchscreens. Sie waren das mittlerweile gewohnt.
Die fettigen Finger hinterliessen aber auch unternehmerisch-strategische Spuren. Denn die Anbieter mussten umdenken. Raymarine war einer der ersten, die mit ihrer Viewer Funktion die iPads in ihre Systeme eingebunden haben. Reine Betrachtungsknechte. Mittlerweile werden die Systeme zu den Knechten der Smartphones und Tablets. Aus „Form follows function“ wurde „Function follows hype.“
Follow me
Apropos „follow“. Das, was gerade auf dem Markt der elektronischen Marinenavigation passiert, konnte man in anderen Branchen bereits schon länger beobachten. Beispiel Fotografie:
Kompakte, kleine Kameras sind fast tot. Sie haben nur eine Chance, wenn sie direkt aus der Kamera die Fotos zu Facebook hochladen oder per Wifi Verbindung vom iPhone gesteuert werden können .Denn Fotos machen jetzt Handys. 18 MP – WOW! Das eine Linse eher was über Bildqualität und -ästhetik aussagt als eine MP-Zahl, ist den Leuten weder bewusst noch interessiert es sie.
Die Anbieter flüchten in hochwertigere Systemkameras mit Wechselobjektiven (das lässt für die Navigationssysteme durchaus hoffen). Einigen bleibt nichts anderes übrig, als für Smartphones Aufstecklinsen anzubieten. Das tut weh. Das ist so, als würde Juan Roca bei McDonalds Burger verpacken.
Smartphones und Tablets fahren wie gelbschwarze FOLLOW-ME Cars auf Flughäfen ganzen Branchen vorneweg. Und wir immer lustig hinterher. Und nun kommt auch noch die Apple Watch.
Man kennt das auch aus der Autoindustrie. Eines der wichtigsten Keyfeatures beim Neuwagenkauf ist die Anbindung des iPhones an das „Connect“ System. Ein Jahr später ändert Apple dann seinen Anschluss und für läppische 1.300 Euro wird dann die Karre an das neue Smartphone angepasst. Ein Freund von mir kann in seiner 60.000 Euro Kiste die Freisprechanlage nicht mehr nutzen, weil sein Smartphone einen zu neuen Bluetooth Standard nutzt. Muss umgebaut werden. Sind wir eigentlich völlig irre?
Überforderte Geräte
Auch wenn die Wassersportbranche wegen ihrer geringen Größe immer ein wenig hinterher hinkt, lernen wir nichts daraus. Tablets und Phones müssen auch an Bord immer mehr Aufgaben übernehmen. In der Diskussion um den neuen Yachtnavigator hier auf dem Blog kann man das teilweise nachverfolgen, was die Leute so wollen. Logbuch, Instrumente, AIS Overlay, Tracking, Hafenhandbuch, Live-Wetter und und und. Am besten alles gleich über das Handy regelbar. Warum nicht auch das Groß per Gestensteuerung setzen oder reffen?
So werden auch an Bord die mobilen Endgeräte zu den zentralen Nervensystemen. Auch wenn eigentlich jedem klar sein sollte, dass diese Geräte dafür nicht gemacht sind und sie solche Multifunktionen hoffnungslos überfordern. Akkuleistung und Displaygrößen geben das einfach nicht her. Oder will da draussen jemand pro Törn 500 mal auf seinem Handy rumwischen? Und 20 USB Akkus parat haben, damit das Gadget nicht schlapp macht?
Es ist dennoch nicht mehr aufzuhalten, und das überfordert auch die Anbieter der digitalen Seekarten.
Halbe Hähnchen
Das Problem dazu gibt es gleich doppelt: Eigentlich ungeeignete Geräte und der Preisverfall. Niemand kauft Seekarten für 300 Euro auf einem Handy. Das ist eine ungeeignete Kombination.
Bei der 300 Euro SD Karte bekommt der Händler seinen Teil, der Anbieter finanziert die Erstellung, bezahlt seine Leute, die Lizenzgebühren und hat ggf. noch ein paar Kröten übrig, um zu überleben.
Bei der Seekarte für die App verdient zunächst mal der App Store den größten Batzen. Die Lizenzgebühren bleiben die selben. Der Staat bekommt 19%. Und die Kunden sind genauso anspruchsvoll wie die 300 Euro Kunden. Wie bitte soll das gehen? Seekarten sind wie halbe Hähnchen. Wer jemals in einer Massenschlachtungsfabrik war, weiss wozu billige Preise führen. Das Produkt leidet.
Um wieder digitaler zu werden: Ich führe nochmal das Beispiel Musikindustrie an. Dort gab es irgendwann plötzlich Napster, dann Limewire, dann kam iTunes mit DRMs , Youtube und heute gibt es fast nur noch die Verteiler wie Spotify und Co. Dazwischen lagen Pleiten, Milliardenausgaben, Rechsstreitigkeiten, die Gema und und und. Die Auswirkungen kann jeder Deutsche täglich auf Youtube sehen: „Dieses Video kann in ihrem Land leider nicht angesehen werden.“ Wir alle waren begeistert von preiswerter Musik. Nun haben wir den Salat: Billige Musik.
Ausblick
Dieser Salat wächst nun auch im Bereich digitaler Seekarten. Die ersten grünen Blätter erblicken gerade das Tageslicht. Es wird so weiter gehen. Irgendwann werden die Anbieter der Apps nur noch reine Verteiler sein. Daneben formiert sich eine Armee aus Crowd-Loggern, die OpenSeaMap in das Rennen werfen und auf Dauer zu einem ernstzunehmenden Player werden lassen.
Vielleicht aber entdeckt auch Google.Maps noch die Weltmeere und deren Tiefenlinien. Denkbar ist vieles. In einer Branche, in der von Umsonst (USA, NOAA) bis teuer (DK, Geodatastyrelsen) alles vorhanden ist.
Auch Vermessungsämter sind keine caritativen Einrichtungen. Vermessungsschiffe kein Hobby. Das kostet alles Unsummen. Und die kann man nicht einspielen, in dem die Ostsee 23,90 Euro kostet, immer aktuell ist und Apple von dieser Kohle 10 Euro behält. Das kann nicht funktionieren. Das funktioniert nur, wenn der Anbieter dann auch andere Einnahmemöglichkeiten hat wie Hardware oder Papierkarten.
Fazit
Unterm Strich ist alles aber gar nicht dramatisch. Verglichen mit Columbus, Motessier und dem frühen Erdmann navigieren wir alle sehr komfortabel. Abgesehen davon, dass ich behaupte, dass 90% aller Segler auch ohne GPS klar kommen würden. Rund Fyn geht auch ohne.
Ich selbst habe ja immer sehr freudig über die Navigation mit Apps geschrieben. Und ich freue mich auch weiterhin darüber. Auf meinen Touren würde ich auch ohne klar kommen. Ich sehe das alles aber auch skeptisch. In den vergangenen Jahren habe ich mir auch deshalb die klassische navigation angeeignet. Astro werde ich sicherlich noch lernen. Ohne mein Tablet mit Seekarte drauf fahre ich dennoch nicht umher. Es ist einfach zu bequem. Es darf aber meinetwegen gern wesentlich mehr kosten. Wenn es der Qualität dient.
Mein Outdoor Tablet jedenfalls möchte ich nicht mehr missen. Dafür kann es zuviel. Ich nutze es jedoch ausschliesslich zur Navigation – und da eher zur Positionsbestimmung. Den Rest schaue ich mir auf der Karte an. Und die ist bei mir immer neu.
Wenn eine digitale Karte also alt ist, geht davon nicht die Welt unter. Jedenfalls nicht für die breite Seglermasse. Uns allen geht es damit saugut. Aber wir sollten auch nicht jedem Follow Me Car blind hinterher rennen. Und uns soll bewusst sein, dass gute Produkte entsprechend viel kosten. Schliesslich sind es die Endverbraucher, die eine Preisschraube überdrehen können.
Eines sollten wir alle in diesen Zeiten jedoch sehr doll lieb haben: Die gute alte Papierkarte.
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