Am 2. Dezember 2022 verstarb Erich Wilts. Bis zuletzt segelte er zusammen mit seiner Frau Heide und der charakteristischen roten Freydis über die Meere dieser Welt. Detlef Jens gehörte zu den ersten Journalisten, er die beiden Extremsegler in den 1980er Jahren interviewte. Ein Nachruf auf einen der Größten im deutschen Segelsport.
Von Detlef Jens
Kann sein, jedenfalls einem alten Seefahrerglauben zufolge, dass seine Seele nun als Albatros über dem Südpolarmeer segelt. Der Albatros, dieser „sanfte König im Luftrevier“, gehörte zu den besten (tierischen) Freunden von Heide und Erich Wilts. „Für mich sind Albatrosse die großen Abenteurer der Meere. Ihre Landaufenthalte bleiben nur kurze Unterbrechungen im einsamen Leben auf See“, sagte Heide einmal, und: „Hätte ich zu wählen, mein Wappentier (oder meine Galionsfigur) wäre ein Albatros. Er stünde für Toleranz, Rücksichtnahme, Demut und Ausdauer. Im Umgang mit der Natur ist Demut und Anpassung meist weitsichtiger als Unterdrückung und Sieg.“
Das wäre auch schon fast eine gute Beschreibung der beiden und vor allem von Erich Wilts. Geboren wurde er am 20. April 1942, am 2. Dezember 2022 verstarb er in Heidelberg, wo Heide und er seit einigen Jahren ihren „Landstützpunkt“ aufgeschlagen hatten. Aufgewachsen war Erich als ältestes von fünf Kindern in Leer, Ostfriesland. Kaufmann, Segler, Entdecker. Ausnahmesegler in mehr als nur einer Hinsicht, immer im Team mit seiner wunderbaren Frau Heide, viele seglerische Erstleistungen und Abenteuer, noch mehr Auszeichnungen und Ehrungen, Buchveröffentlichungen (Heide schrieb, er fotografierte), Vorträge und was nicht noch alles. Seit 1990 segelten sie nur noch, beendeten dazu ihre beruflichen Existenzen – Erich als Geschäftsführer, Heide als Ärztin. Nicht dennoch, sondern vor allem auch deswegen war es ein unglaublich reiches Leben, welches nun zu Ende gegangen ist. Vieles davon nachzulesen in ihren zahlreichen Büchern.
1984 lernte ich Erich und Heide kennen, weil ich ein Interview für „segeln“ mit den beiden führte. Schon damals hatte sie herausragende und weite Reisen unternommen, wenn auch in Etappen und, noch, im Rahmen ihrer bürgerlichen Existenzen und der dort zur Verfügung stehenden Urlaube. Ich war von Erich sofort und zutiefst beeindruckt. Von den seglerischen Leistungen, klar, vor allem aber von der menschlichen Seite. Anders als so viele „Macho-Skipper“ vor allem der damaligen Zeit war Erich eher bescheiden, nachdenklich, aber auch humorvoll und erfrischend geradeheraus. „Der sanfte Hochseesegler“, so überschrieb ich damals das Interview.
Dabei hatte er die Seemannschaft von der Pike auf gelernt. Begonnen mit einer Holzjolle auf der Ems, Anfang der 1960er Jahre dann als Mitsegler und schon bald Wachführer auf den (motorlosen) Yachten des „Hamburger Verein Seefahrt“, die lange Seereisen durchführten. 1965 Teilnahme am Admiral’s Cup und von da an immer weiter. So gesehen, war Erich also durchaus „alte Schule“. Dennoch war er in vielerlei Hinsicht auch unkonventionell, nicht zuletzt natürlich durch den gewählten Lebensstil mit Heide, nämlich nur noch zu segeln. Kompromisslos, wenn es um Seemannschaft oder Sicherheit ging, hat Erich auch immer mal wieder den Sinn von (überholten) Flaggengebräuchen oder anderen Dingen im Segeln hinterfragt. In einem späteren Interview sagte er über Yachtgebräuche: „Wenn dort steht: „Jede in Dienst gestellte Yacht soll…stets einen gepflegten Eindruck machen“, dann fragen wir uns, warum eigentlich? Aufklaren nach einem Törn ist bei uns eine Selbstverständlichkeit. Aber anderen Eignern scheint das nicht so wichtig. Lass sie doch!“
Gesegelt bin ich mit ihm, oder ihm und Heide, leider nie. Aber ich glaube schon, dass er trotz seiner soliden seemännischen Ausbildung und Einstellung alles andere als ein autoritärer Kapitän war; er hat immer verstanden, dass die mitsegelnden an Bord gerne mitmachen, mitreden und mitentscheiden wollen. Auch wenn der Schiffsführer natürlich immer das letzte und entscheidende Wort hat. Vor allem unter den oft extremen Bedingungen in den einsamsten und unwirtlichsten Gegenden der Welt, die sie so gerne besegelten und erforschten: 1981/82 als erste deutsche Segelyacht in der Antarktis; 1986 als erste deutsche Segelyacht im Scoresby Sound in Ost-Grönland; 1987 Umrundung Spitzbergens, noch im Jahresurlaub; 1991 erste Überwinterung einer deutschen Segelyacht in der Antarktis; 1992 bis 1998 Umrundung der Antarktis als nur zweite Yacht überhaupt; 1998-1999 GEO Expedition durch Melanesien; 2017 Nordwestpassage von Alaska nach Grönland; 2018 Grönland West bis Ost von Polarkreis zu Polarkreis. Und das sind nur die „Höhepunkte“ dieses unglaublichen Seglerlebens. So „nebenbei“ sind Erich und Heide Wilts auch die einzigen Segler, welche alle subantarktischen Inseln Australiens und Neuseelands angelaufen haben.
Ausgezeichnet wurden sie im Laufe ihrer Seglerleben mit allen und den begehrtesten Preisen, die es für Fahrtensegler gib (oder gab): Darunter auch der Schlimbach Preis (1982), Trans Ocean Preis (1981 und 2002), Goldener Kompass (1996) und etliche mehr. Sicher hat auch Erich sich über Anerkennung gefreut, wichtiger waren wohl immer die Dinge, die sie von ihren Reisen mitbrachten. Neue Einsichten und Erkenntnisse, unauslöschliche Erinnerungen, Freundschaften und auch die vielen großen und kleinen Andenken, die ihre Haus in Heidelberg fast schon wie ein privates Museum der Entdecker wirken lässt.
Viele SeglerInnen haben in Erich Wilts einen guten Freund und ein Vorbild in vielerlei Hinsicht verloren, Heide ihren Lebenspartner mit dem sie soviel erlebt hat, dass es anderen wohl für viele Leben ausreichend gewesen wäre. Meine Gedanken, in Trauer, sind bei ihr und bei Erich, wo auch immer er nun sein mag. Vielleicht, wie eingangs gesagt, ja bei den Albatrossen… Fahre wohl, Erich.
Detlef Jens segelt seit Kindheit und war auch etwa sieben Jahre am Stück mit dem eigenen Boot unterwegs, bevor er eine Familie gründete und weitere sechs Jahre auf fahrenden Museumsschiffen in Hamburg lebte. Heute lebt er wieder zunehmend mehr an Bord und schreibt auch Bücher und Romane, so zum Beispiel über den segelnden Yachtdetektiv Fabian Timpe – mehr Infos auf Literaturboot.de
Eine der letzten großen Fahrten führte Erich Wilts und seine Frau Heide nach Grönland. Die Geschichte lässt sich hier (Teil I) und hier (Teil II)nachlesen.
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