Ehrliche Worte der neuseeländischen 470er-Seglerin Jo Aleh. Die Spitzensportlerin offenbarte, wie ihre olympische Segelkarriere sie krank machte.
2012 gewann sie Gold bei den Olympischen Spielen in London, 2016 Silber in Rio. Sie wurde Weltmeisterin im 470er und Weltseglerin des Jahres. Doch irgendwann machte ihr Körper nicht mehr mit. Das gab Jo Aleh nun auf der neuseeländischen Nachrichten-Website „Newsroom“ preis. Diese veröffentlichte einen entsprechenden Artikel, kurz nachdem die neue Strategie für den neuseeländischen Hochleistungssport vorgestellt wurde, die auch das Wohlbefinden der Athletinnen und Athleten stärker in den Fokus rücken soll.
Jo Aleh erzählte, dass sie vor fünf Jahren aus körperlichen Gründen mit dem Segeln aufhören musste. Offenbar litt sie in den Jahren zwischen den Olympischen Spielen 2012 und 2016 bereits unter häufigen Magenschmerzen, wiederkehrenden Nasennebenhöhlenentzündungen und einer Stressfraktur im Knöchel. Die Ursachen ihrer Beschwerden habe sie erst spät erfahren – nach aufwendigen Tests und Operationen. „Erst im letzten Jahr sagte mir ein Arzt: ‚Sie müssen einfach mehr essen …‘“, wird die 34-Jährige zitiert.
Dem Newsroom-Artikel zufolge entsprachen ihre Symptome denen eines „Relativen Energiemangels im Sport“ – kurz RED-S (relative energy deficiency in sport) –, der insbesondere im Leistungssport und in Gewichtsklasse-Sportarten kein seltenes Problem ist und laut Statistiken weibliche Athletinnen häufiger betrifft als männliche. Deckt die Energieaufnahme der Sportlerinnen und Sportler ihren hohen Gesamt-Energieverbrauch nicht, entsteht ein Energiedefizit, das zu einer abnehmenden Knochendichte, Zyklusstörungen, erhöhter Infektanfälligkeit und anderen gesundheitlichen Problemen führen kann.
„Es war eine richtige Mangelernährung“
Auch sie habe nicht genug gegessen, um die Energie zu erhalten, die sie als Profisportlerin verbrauchte, gestand Aleh: „Es war eine richtige Mangelernährung. Deshalb habe ich das Segeln aufgegeben – ich hatte einfach nicht die Energie, um weiterhin an Wettkämpfen teilzunehmen. Es ist ätzend, wenn es das ist, was man gerne tut, aber man weiß, dass man es körperlich nicht schafft.“
Lange Zeit sei es ihr Ziel gewesen, mehr Kalorien zu verbrennen, als zu sich zu nehmen. Wie es im Sport nun mal üblich sei, habe sie ihre Bewegung und die aufgenommenen Kalorien genau nachverfolgt, und sich zudem eingeredet, wenig wiegen zu müssen.

Aleh (l.) bei der Siegerehrung in Rio. Sie ist deutlich größer als ihre Steuerfrau-Kolleginnen. © Yachting NZ
Kein Wunder. Im 470er gilt gerade bei Leichtwind jedes gesparte Gramm Körpergewicht als Vorteil. Wer dann auch bei Starkwind schnell sein will, kann fehlendes Gewicht durch den langen Hebel eines großen Vorschoters am Trapezdraht ausgleichen. Deshalb sind die Steuerfrauen/-männer überwiegend klein und zierlich.
Nicht so beim Erfolgsteam Aleh/Powrie. „In unserer Klasse waren ja einige der Mädchen winzig. Also habe ich mich immer mit ihnen verglichen, aber ich war ja fast 30 Zentimeter größer“, erklärte sie.
Hinterfragt habe ihr Essverhalten keiner. „Ich mache niemandem einen Vorwurf, aber möglicherweise hätte das jemand überprüfen müssen.“ Ein großes Problem: Gesprochen wurde Alehs Erfahrung nach nicht über derartige Problemen. Trotz starker Magenschmerzen sei sie zu einer Veranstaltung gegangen und habe allen erzählt, dass es ihr gut ginge. „Wir alle hielten unsere inneren Kämpfe gut versteckt“, so Aleh. „So viele von uns haben Probleme mit der Nahrungsaufnahme und dem, was wir essen.“

Jo Aleh probiert das Hochseesegeln beim Volvo Ocean Race, schafft es aber nicht in das Brunel Team. © Rich Edwards/Volvo Ocean Race
Eine von High Performance Sport New Zealand gegründete Expertengruppe, die sich mit der Gesundheit von Frauen im Sport befasst, hat tatsächlich ein besorgniserregendes Bild geliefert. Ihre Untersuchung ergab, dass fast drei Viertel der neuseeländischen Top-Athletinnen der Meinung sind, dass der Spitzensport sie unter Druck setze, ein bestimmtes Aussehen zu erreichen, das ihrer Gesundheit schaden könnte.
„Wir müssen darüber reden“
Als sie damals mit den Wettkämpfen aufhörte, verschwanden ihre Magenschmerzen, berichtete die Seglerin. Mittlerweile esse sie wieder mehr und fühle sich stärker. Mitte März siegte sie sogar bei den neuseeländischen Meisterschaften auf dem SUP-Board.
Die Neuseeländerin kehrte langsam zum Segeln zurück, nachdem sie ein Jahr lang für den Finanzdienstleister Ernst & Young gearbeitet hat, dabei aber nicht die volle Erfüllung fand, sondern dort nur noch in Teilzeit arbeitet. „Es war schwer für mich bei dieser Arbeit mit Unternehmen und Geld einen Sinn für mich zu finden“, sagte sie. „Es fehlte die Leidenschaft. Beim Sport dagegen ist alles so klar. Es geht nur darum, Leistung zu bringen und Ziele zu erreichen – nicht um Geld oder Egos, sondern nur um die Leistung auf dem Wasser.“
Aleh versuchte sich auch beim Hochseesegeln und verbrachte einige Wochen mit dem Volvo Ocean Team Brunel von Bouwe Bekking. Schließlich wählte der Holländer aber zwei Frauen einer höheren Gewichtsklasse für die harte Arbeit an Bord. Die neuseeländische Vorzeige-Seglerin hat nun ihr Glück gefunden als Coach auf höchstem Niveau. Sie führte die Newcomer Micah Wilkinson und Erica Dawson im Nacra17 zu WM-Platz sieben und zur Olympia-Qualifikation.
Inzwischen kann sie sich als Trainerin und Vorsitzende der Athleten-Kommission des Weltseglerverbandes World Sailing aber auch dafür einsetzen, ein Bewusstsein für das Thema Ernährung zu wecken – so früh wie möglich. „Wir haben das Gespräch hier im Segelsport bereits geführt. Wir haben alle Mädchen an einen Tisch geholt“, so Aleh. Für sie ist klar: „Wir müssen darüber reden – denn ein Kilo hier und da macht nicht den Unterschied zwischen Gold und Platz vier aus.“