Es ist eigentlich ein ungeschriebenes Gesetz: Was an Bord passiert, bleibt an Bord. Beteiligte reden nicht öffentlich über unangenehme Vorkommnisse auf einer Segelyacht. Schon gar nicht zu Beginn einer Weltumsegelung wie bei The Ocean Race. Schließlich verbringt man noch einige Zeit zusammen auf engstem Raum.
Deshalb ist es umso ungewöhnlicher, dass Benjamin Dutreux in einem Interview sehr offen über die Beziehung zu seinem Team spricht. Auf den Kap Verden lässt er gegenüber Ouest France die erste Etappe Revue passieren, die GUYOT environnement – Team Europe auf dem letzten Platz beendet hat.
Eine Szene beschreibt er besonders genau. Nach dem Sturm vor Gibraltar habe er sich erschöpft hingelegt als der Wind nachließ. „Als ich aufwachte, bewegte sich das Boot keinen Meter weiter und wir waren nicht auf dem richtigen Kurs… Da rastete ich an Bord aus. Ich habe ihnen gesagt: „Hey Leute, irgendwann müsst ihr euch mal reinhängen, ich bin nicht hier um einfach nur hinterherzusegeln. Auch wenn wir weiter lernen werden, sind wir nicht nur deswegen hier. Wir sind auch hier bei einem der größten Rennen der Welt und wir sind hier, um unser Bestes zu geben. Wir müssen uns noch ein bisschen mehr konzentrieren“.
Starker Tobak. Der Spruch impliziert, dass die Crew nicht alles gibt, während er sich als Skipper voll reinhängt. So etwas möchte man nicht über sich lesen. Zum Kontext gehört, dass GUYOT environnement – Team Europe gerade erst die brutale Gibraltar-Passage hinter sich gebracht hatte.
Unter Sturmfock und im dritten Reff musste das Team bis zu 55 Knoten Wind abreiten. „Ich muss zugeben, dass das ein bisschen sportlich war“, sagt Dutreux. Im Großen und Ganzen sei es zwar bei dem Starkwind ganz gut gelaufen, auch wenn „jedem an Bord ein wenig die Erfahrung fehlte, um seine Sachen selbstständig zu erledigen“. Aber ein Loch im Segel und gebrochene Latten warfen das Team zurück, weil es mit der Reparatur auf weniger Wind warten musste und dabei vom optimalen Kurs abkam.
„In dieser ersten Phase des Rennens war die See nicht einfach. Charles, unser Medienmann, war krank, Philip war völlig krank und konnte nichts tun… Ich glaube, sie waren mehr vom Stress des Rennstarts als vom Wellengang betroffen. Letztendlich waren nur ich und Annie in der Lage zu segeln.“ Stanjek nennt er nicht explizit. Offenbar ging es auch ihm schlecht.
Dutreux „Ausraster“ passierte offenbar, als sich der Rest der Crew von den starken Seekrankheit-Symptomen erholte. „Bei der Anfahrt Richtung Kapverden begannen sich die Dinge an Bord zu sortieren, was das Tempo und die Wachen betraf. Aber ich und Annie waren langsam ziemlich erschöpft. Und wir waren einfach noch nicht so gut abgestimmt, wann wir Halsen sollten.“ Guyot versuchte noch einen strategischen Angriff mit einem Schlag zur afrikanischen Küste, aber der Rückstand vergrößerte sich.
„Vielleicht nicht die richtige Art“
Nach seinem Ausbruch sei die Situation an Bord „ein wenig angespannt“ gewesen. Der Vendée-Globe-Neunte räumt offen ein, „ich habe einen etwas extremen Charakter, das stimmt. Und ich verliere nicht gerne…Ich habe es vielleicht nicht auf die richtige Art und Weise getan, aber ich bin eben ausgerastet. Ich hätte vielleicht etwas mehr in die Diskussion einsteigen sollen, aber zumindest war die Botschaft klar. Die Etappe war hart für das Team, aber unsere Nachbesprechung der Etappe war gut. Jetzt weiß jeder, wohin die anderen wollen, und wir beginnen, unsere Charaktere kennenzulernen.“
Es sei ja eigentlich kein Wunder, dass es noch nicht ganz rund läuft. Als gemeinsame Erfahrung habe man nur The Ocean Race Europe erlebt. Das Wetter war schön, der Wind leicht, „es war Urlaub“ . „Und unter solchen Bedingungen ist Robert mit seiner olympischen Erfahrung wirklich sehr stark“, bekundet Dutreux.
Er macht aber weiter deutlich, dass ihm diese erste Etappe überhaupt nicht gefallen hat und das offenbar an der Crewarbeit lag. „Ich kann es akzeptieren, auf einer Etappe Fünfter von Fünf zu werden, wenn wir während des Rennens zwar alles getan haben, aber unser Boot eben nicht die richtigen Eigenschaften hatte, um besser abzuschneiden. Das war bei dieser Etappe aber nicht der Fall.“
„Zwischen uns stand eine Mauer“
Schon bei der Vorbereitung habe es Probleme geben, wie Dutreux weiter bei Ouest France eröffnet. „Wir hatten anfangs Schwierigkeiten, mit unseren deutschen Kollegen zusammenzuarbeiten.“ Es sei um die Verständigung aufgrund der unterschiedlichen Kulturen gegangen. „Zwischen unseren Managementteams stand eine Mauer! Wir sprachen im übertragenen Sinne nicht die gleiche Sprache, wir hatten nicht die gleichen Ideen, die gleiche Vision. Und als ich zurückkam (Anm.d.Red. aus Guadeloupe von der Route du Rhum), musste ich all das entwirren, um es richtig zu verstehen, damit alles weitergehen konnte. Wir haben einen kulturellen Unterschied, aber wir kannten uns auch nicht gut genug, um uns die Dinge zu sagen.“ Das habe sich dann geändert. Es sei jetzt eine Stärke des Teams, dass es nichts Unausgesprochenes mehr gibt.
In dem langen Interview wird deutlich, welche Herausforderung das deutsch-französische Kooperationsprojekt bei The Ocean Race darstellt. Die angestrebte Win-Win-Situation ergibt sich nicht automatisch, auch wenn der aktuelle sportliche Erfolg – Führung auf der zweiten Etappe – Probleme überdecken kann.
Aber es kann auch noch schwieriger werden, wenn Benjamin Dutreux den Eindruck vermitteln will, dass es eigentlich viel besser liefe, wenn er die Deutschen nicht mitschleppen müsste. Seine Äußerungen können den Eindruck vermitteln, dass er in den französischen Medien seinen Status als aufstrebender Vendée-Globe-Star schützen möchte.
Möglicherweise kommuniziert der 32-Jährige aber auch nur etwas naiv mit den einheimischen Medien über den neun Jahre älteren Co-Skipper. Der hat zwar als Olympia-Sechster und Starboot-Weltmeister schon seine Meriten gesammelt und bei den Olympia-Kampagnen Fähigkeiten als Projekt-Manager gezeigt. Aber Dutreux mag mehr dessen Unerfahrenheit auf hoher See betonen. Es ist nicht einfach eine Respekt-Basis zu finden – auch über immer noch bestehende sprachliche Barrieren hinweg.
„Ein bisschen verkrampft“
Mit Annie Lush scheint das Verhältnis einfacher zu sein. Die Britin ist zwar auch eine erfolgreiche Olympia-Seglerin, ist aber eben auch einer der erfahrensten weiblichen Hochsee-Profis der Welt nach zwei Volvo Ocean Races.“Wir war beim Ocean Race Europe sehr eng befreundet“, sagt Dutreux über Lush, aber die Unterschiede zu Stanjek seien deutlicher hervorgetreten.
„Er denkt von allem anderen losgelöst nur an den Sport. Ich hingegen muss wissen, managen und über alles informiert sein. Er denkt an Boot, Boot, Boot…. kann Stunden damit verbringen, die Segelanweisungen durchzugehen und nichts anderes zu machen. Wir lachen darüber, aber manchmal ist es ein bisschen verkrampft“.
Stanjek hatte schon gegenüber Segelreporter in Lorient die Emotionalität von Dutreux herausgestellt, die Eigenschaft aber nicht als Manko erkannt. Im aktuellen Interview mit der IMOCA-Klasse vergleicht er ihn mit Sebastian Simon, der Dutreux gerade ersetzt und bestens mit dem Skipper befreundet ist.
„Sie unterscheiden sich ein wenig voneinander“, sagt Stanjek. „Aber ich genieße es, mit beiden zu segeln, sagte er. Es braucht einige Zeit, um zu verstehen, wie man bei der Kommunikation zusammenarbeitet, etwa wann man bestimmte Dinge fragen kann und jemand nicht zu gestresst ist. Beide sind anders. Sébastien ist viel rationaler, Ben emotionaler. Aber beide machen einen guten Job.“
„Hervorragend manövriert“
Stanjek preist Navigator Simon in höchsten Tönen. Er habe das Boot hervorragend durch die unterschiedliche Windbedingungen in Bezug auf Winkel und Druck manövriert. „Er war sehr geduldig bei den oszillierenden Winddrehungen. Nach fünf oder sechs Halsen haben wir gut aufgeholt und den Kontakt zur Flotte wieder hergestellt. Dann war es seine Entscheidung, uns etwas östlich auf der Innenseite der Konkurrenz zu positionieren.“ Das war ein großer Coup.
Dieses Rennen dauert noch lange. Und es ist eine besondere Spezialität, dass die Zusammenarbeit in der Crew zu einem wichtigen Faktor wird. Die kurzfristige deutsch-französische Kooperation ist sicher ein mutiges Projekt und erfordert eine gewisse Risikobereitschaft. Umso schöner ist es, wenn das Risiko belohnt wird. Die erfolgreiche Doldrum-Passage zumindest ist geglückt. Es wäre zu schön, wenn am Ende etwas Zählbares dabei herausspringt. Aber schon jetzt ist dem Underdog-Team des Feldes dieses Hochgefühl nicht zu nehmen.
Auch Benjamin Dutreux wird jubeln, selbst wenn er nicht an Bord ist. Bei so einer Leistung kann nicht alles falsch sein im Team. Durch Erfolg bildet sich Respekt und Vertrauen, was auch immer noch passiert.
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