J/70 Worlds: Mascalzone-Team reist ab und steht am Pranger- Schuldbewusstsein Fehlanzeige

"Neue Sandkiste suchen"

2. Renntag der größten Onedesign Kielboot-Weltmeisterschaft aller Zeiten im Norden Sardiniens, aber immer noch gibt es keine Segelbilder. Zeit genug, um weiter darüber zu diskutieren, wie sehr Onedesign die J/70-Klasse eigentlich ist.

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Wetterbriefing: Ein weiterer Mistral-Tag macht Segeln vor Porto Cervo unmöglich. © SegelReporter

Der Mistral quetscht sich schon den dritten Tag durch die Düse von Bonifatio und biegt beschleunigt in die Porto-Cervo-Bucht. Der maximale 25-Knoten-Durchschnitt wird permanent überschritten und 50-Knoten-Böen lassen keinen Gedanken an ein Wettrennen aufkommen.

Um 14 Uhr erfolgt die endgültige Absage, und bis dahin sorgt immer noch „Kiel-Gate“ für Erheiterung, Entrüstung und ausreichend Gesprächstoff. Denn die erwischten Shape-Manipulierer schleichen sich nicht heimlich davon, und lassen Gras über die Sache wachsen, sie heizen die Diskussion weiter an.

Besonders amüsant ist ein offizielles Gesuch des Mascalzone Latino Junior Teams um den America’s Cup-Star Francesco Bruni. Es ist bei der Vermessung mit einem bearbeiteten Kiel aufgeflogen – die Kielbombe wurde offenbar verbreitert und passte nicht in die Schablone – erbat aber nun von der Jury einen Crewwechsel, um mit dem Schiff des Vaters Vincenzo Onorato segeln zu dürfen. Das hat die Vermessung offenbar überstanden.

Die Jury hat gegenüber SR noch einmal klar betont, dass bei den fraglichen sieben Boote allein der Tatbestand eines bearbeiteten Kiels für die Nichtzulassung ausgereicht hat. Es ging nur um die Form. Mögliche Gewicht-Manipulationen im Kiel wurden nicht einmal untersucht. Gerüchte darüber gibt es zur Genüge. Gemessen wird nur das Gesamtgewicht.

Kein Unrechtsbewusstsein

Unrechtbewusstsein gibt es bei den Italienern nicht. Auch die Landsleute bringen eher Verständnis für die Delinquenten auf. Es wird als Manko angemerkt, dass die Schablonen nicht frei zugänglich seien. Offenbar ist das nachträgliche Formen des Kiels zur Verbesserung der Hydrodynamik gang und gäbe. Die Top Teams sind damit vertraut, und nur diejenigen, die es zu weit getrieben haben, stehen nun am Pranger.

Nun sind Italiener generell nicht die böseren Menschen im Segelsport. Das nachträgliche Bearbeiten hat mit der hohen Profi-Dichte in den Onedesign-Sportbooten zu tun. Es gibt eben viele Eigner, die bereit sind, viel Geld auszugeben, um sich Erfolg zu kaufen. Und den liefern die Profis, indem sie die Material-Grenzen ausloten und auch mal überschreiten.

Es mag mit der Melges 24 angefangen haben. Da dominieren die Italiener seit Jahren, und laut Klassen-Insidern wird das nachträgliche Bearbeiten geduldet. Man hat vielleicht von Anfang an nicht hart genug durchgegriffen. In der Folge sind die Profi-Teams den Normalo-Seglern weit entfleucht. Und die Amateure denken, dass habe allein mit einem überlegenen Segelstil zu tun.

Profis halten den Mythos lebendig

Profis haben kein Interesse, dieses System aufzudecken. Ein besser vorbereitetes Boot sichert ihnen einen überlegenen Speed und erhöht die Wahrscheinlichkeit, das Top-Ergebnis abzuliefern, für das sie bezahlt werden. Ihnen hilft es, wenn der Mythos lebendig bleibt, dass sie einfach besser sind, als andere. Oder wenn sie behaupten, die Geschwindigkeit sei von einem ganz besonderen Segelschnitt und Segelmacher XY abhängig. Es wird nur geflüstert über die geheimen Nachbearbeitungen, die Werften an vermeintlichen Einheitsschiffen vornehmen.

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Die kleinen J/70 im Hafen der Großen. © SegelReporter

Diese gängige Praxis, die sich in vielen Onedesign-Klassen durchgesetzt hat, erklärt wohl die wütende, öffentliche Reaktion von Vincenzo Onorato. Der italienische Reeder, dessen Firmen-Logo Moby Lines im Cockpit der teilnehmenden J/70 klebt, ist ein angesehener Mann in der Segelszene seit er 2007 ein viel beachtetes America’s Cup Projekt startete und sich danach sogar als Challengeer of Record in Position brachte.

Einer wie er duckt sich nicht weg, auch wenn er sich ducken sollte. Er prangert an, geht in die Vorwärtsverteidigung. In seinem langen öffentlichen Statement lamentiert er, dass sein Sohn Achille erst nach langen Diskussionen dazu bewegt worden sei, in der J/70 zu starten. Er habe ein brandneues Boot gekauft und in eine Werft gebracht, „um ein paar Probleme mit dem Kiel zu beheben“. Das Schiff sei zuvor nie gesegelt worden, und nun passte es plötzlich nicht in die Vermessung. Und im Übrigen seien im vergangenen Jahr bei der WM in San Francisco auch Boote mit behandelten Kielen durch die Vermessung gekommen. Er habe die Erlaubnis bekommen, einen neuen Kiel zu kaufen und anzubauen. Das sei passiert, aber man habe ihn dann doch nicht segeln lassen.

Onorato glaubt an Komplott

Ausßenstehende mögen das nicht für völlig abwegig halten. Schließlich ist ein Betrug festgestellt worden. Aber  Onorato erkennt darin ein Komplott und nimmt insbesondere den ausrichtenden Yacht Club Costa Smeralda ins Visier. Diese Regatta sei außerdem „gefährlich schlecht organisiert“ besonders wegen der „lacherlichen Idee 180 Boote auf einem Kurs segeln lassen zu wollen.“ Es sei ja auch weithin bekannt, „dass der Club kein Geld hat“. Ein peinlicher Rundumschlag, der schließlich noch persönliche Angriffe auf den aktuellen YCCS-Vorsitzenden beinhaltet. Man werde sich vor Gericht wiedersehen.

Daraufhin sieht sich auch der YCCS Sportdirektor Edoardo Recchi veranlasst, eine öffentliche Antwort zu geben. Vielleicht, um den wartenden Seglern weiterhin eine gute Unterhaltung zu liefern. Herrlich, wenn sich die Schönen und Reichen fetzen.

Strikter Wettfahrtleiter:

Aber Recchi bleibt souverän und weist darauf hin, dass eine unabhängiges Kommittee der Klasse die „Deformationen an den Kielen“ entdeckt habe. Und acht Schiedsrichter der internationalen Jury haben die Entscheidung bestätigt. Der YCCS habe nichts damit zu tun.

Der abschließende Satz ist gut: „Wenn man die Sandkiste, in der wir spielen nicht mag, dann sollte man die Situation darin verbessern oder sich eine andere Kiste zum Spielen suchen. Eine dritte Option gibt es nicht.“

Ansehen der Italiener beschädigt

Viele italienischen Klassenkollegen halten den Skandal vielleicht für etwas sehr hochgebauscht, wohl auch weil er das Ansehen der italienischen Segler insgesamt beschädigt. Sie würdigen aber auch das Signal, das die Klasse setzt, um eben nicht eine Situation wie in den meisten Einheitsklassen von einem Hersteller zu erzeugen. In ihnen ist eine teure Material-Nachbearbeitung unabdinbar, um Erfolge zu erreichen.

Die J/70 Klasse ist unfassbar schnell gewachsen. Auch wegen der Hoffnung, dass neues Material ausreicht, um prinzipiell erfolgreich sein zu können. Und auch beim Hersteller gibt es viele Versäumnisse, die zu unterschiedlich konkurrenzfähigen Schiffen führen. Aber nach diesem Signal besteht bei den vielen Teilnehmern in Porto Cervo die Hoffnung, dass der Weg harter Bestrafungen fortgesetzt wird, um Manipulationen Einhalt zu gebieten.

Allen ist klar, dass die sieben ausgeschlossenen Teams nur die Spitze eines Eisbergs bilden und andere sich vielleicht nur geschickter beim Vertuschen angestellt haben. Außerdem werden vergangene Erfolge erklärt oder in Frage gestellt.

So ist es spannend, wie sich die durch die Liga geprägte große deutsche Delegation in Porto Cervo schlägt wenn am Donnerstag vermutlich die Qualifikationsrennen stattfinden können. Die 32 deutschen Teams haben bisher keinen großen Fokus auf das Material gelegt. Und sie investierten sicher auch nicht so viel Zeit in Trimmfahrten und Tests, wie die internationale Konkurrenz, die sich dadurch völlig legitime Vorteile beim Einstellen des Riggs erarbeiten konnten.

Schließlich wird  in der Liga das Material gestellt und der Riggtimm darf nicht verstellt werden. Aber es lebt die Hoffnung, dass in dieser Einheitsklasse seglerisches Know How ausreicht, um ein Paar Anerkennungserfolge zu erringen

 

 

 

 

Carsten Kemmling

Der Mann von der vordersten Front. Mehr zu ihm findest Du hier.

2 Kommentare zu „J/70 Worlds: Mascalzone-Team reist ab und steht am Pranger- Schuldbewusstsein Fehlanzeige“

  1. Jan schnidt sagt:

    Ich muss bei einem Punkt wiedersprechen. Es wird keinesfalls geduldet an Melges24 Kielen zu arbeiten. Auch nicht hinter der Hand oder in einer Grauzone. Das es Manipulationen gab ist unstrittig. Aber es wird stark kontrolliert um solche Fälle aufzudecken.

  2. Jörg Gosche sagt:

    Eigentlich gibt es da nur zwei Lösungen:
    Entweder die Klassenregeln , insbesondere die Vermessungsregeln – noch enger fassen und strikt kontrollieren ….
    oder liberalisieren und ggfs. verschiedene Hersteller zulassen. Dann wäre es aber kein One-Design mehr.

    Es ist leider oft ein Problem, wenn Profis und Amateure in einer Klasse gegeneinander segeln. Die Einen suchen Recreation und ehrlichen Freizeit-Sport …. den Anderen dient es als Broterwerb und Erfolg m u s s her, egal wie.

    Für die J70 Klasse ist es vllt. und hoffentlich gerade noch rechtzeitig um zu präzisieren bevor der Ruf ruiniert ist und die ersten Segler die Lust daran verlieren. Wer fühlt sich schon gerne veräppelt…. !

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