Knarrblog Sommertörn: Nachtsegeln von Rungstedt nach Anholt

Entspannt in die Nacht

Die Crew bereitet sich auf eine gemütlichen Nachttörn nach Anholt vor. © SegelReporter.com

Der Bug teilt die Ostsee. Sieben Knoten. Es rauscht, plätschert, klatscht. Eine magische Melodie. Wir liegen auf dem Vorschiff, die Jungs steuern. Die Geräusche lassen den Körper entspannen.

Die Muskeln werden locker, die Atemzüge tiefer. Der Mensch und das Wasser. Irgendeine besondere Beziehung muss bestehen. Vielleicht aus der Zeit als Fruchtwasser-Kapitän.

Gut zwanzig Meilen von Rungstedt nach Gilleleje waren angesagt. Etappenstopp auf dem Weg nach Anholt. Das Ziel nähert sich. Aber wir wollen nicht, dass es aufhört. Einfach so weiter liegen, lungern und lauschen.

Warum nicht einfach weitersegeln? Es ist zwar schon 18 Uhr. Aber der Wind weht optimal aus Backstag-Richtung, die Sonne brennt noch immer, die Kids haben ihren Spaß und der Bug zeigt genau auf Anholt.

Familienrat. Wollen wir direkt durchstochen? Insgesamt gut 60 Meilen. Ankunft mitten in der Nacht. „Oh ja!“ Die Kids haben gut reden. Sie freuen sich auf die Faszination von Anholt. Aber verziehen sich gerne in der Koje, wenn es hart wird. „Nur wenn ihr mithelft“. Mit fast 12 und 14 kann man langsam echte Crewarbeit einfordern.

Gebongt. Kaum zwei Tage an Bord und schon geht es in die Nacht. Der Plotter berechnet drei Uhr als Ankunftszeit. Anlegemanöver oder Ankern in der Nacht. Vielleicht zweimal haben wir bisher einen längeren Dunkel-Schlag unternommen. Und nun mit einem fremden Schiff.

Ich checke den Anker. Annette verteilt die neuen Rettungswesten, die Kids holen die Schlafsäcke ins Cockpit und auf geht es, der untergehenden Sonne entgegen.

Ein irrsinniges Schauspiel. Der Lorenz versinkt vor dem Bug und strahlt rot die Wolken an. In schneller Folge erscheinen neue Bilder am Firmament. Man kann sich nicht satt sehen.

Ganz dunkel wird es nicht. Der Mond ist zwar nur eine schmale Sichel und verschwindet schnell hinter Wolken. Aber voraus im Norden bleibt ein schmaler Streifen Helligkeit. Er bietet Orientierung und Sicherheit, während die Sicht schwindet.

Die Berufschifffahrt wird zum Problem. Überall tauchen plötzlich Lichter aus der Dunkelheit auf. Es dauert seine Zeit, bis sich die Augen gewöhnen, die Lichterführung durchblickbar ist, die Kurse vorausberechnet werden können.

Die beiden Topplichter der Frachter, hinten hoch vorne tief, und ihre rotgrün Laternen sind gut zu verstehen. Aber plötzlich kommen tannenbaumartig beleuchtete Vehikel auf uns zu.

Keine Chance, eine rote oder grüne Beleuchtung auszumachen. Wir befinden uns offenbar mitten in einer Fährroute. Kommen die Schiffe auf uns zu, oder entfernen sie sich? Schon sind die Schraubengeräusche auszumachen.

Wir beobachten, peilen und diskutieren. Wer sieht was? Wohin steuern diese Teile? Der Motor läuft mit, um schnell reagieren zu können. Der logische Fährweg auf dem Plotter macht irgendwie keinen Sinn. Beängstigend.

Dann sind sie durch. Die Stresssituation löst sich auf. Welch eine Wohltat. Auf diese Weise hat die Müdigkeit keine Chance. Der funkelnde Nachthimmel entfaltet seine Faszination. Sterne, Schnuppen, Silberpunkte.

Irgendwann kommt Anholt in Sicht. Nach 12 Stunden. Es ist kühl geworden. Aber die Zeit spielt kaum noch eine Rolle. Die Kids sind gegen 1 Uhr eingenickt. Erschöpft vom Singen rudimentär bekannter Shanty-Texte.

Die Vorbereitung auf das Anlegemanöver beginnt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Carsten Kemmling

Der Mann von der vordersten Front. Mehr zu ihm findest Du hier.

3 Kommentare zu „Knarrblog Sommertörn: Nachtsegeln von Rungstedt nach Anholt“

  1. T.K. sagt:

    Schöner Bericht!
    Seit dem ich AIS habe sind solche Nachtbegegnungen weit entspannter, da man alle Infos auf den Plotter bekommt.
    Wenn Du kein AIS hast, aber küstennah unterwegs bist (Dänemark sowieso), dann kann man das ganze auch auf dem iphone oder smartphone haben, siehe unter marinetraffic.com. Durchaus hilfreich

  2. Ketzer sagt:

    Wenn etwas ankommt, was und wessen Route man nicht identifizieren kann, einfach anfunken. Macht man in Deutschland viel zu wenig, ist überall sonst auf der Welt kein Thema. Dann wird die Funke endlich mal genutzt, es trainiert und macht auch Spaß.

  3. Manfred sagt:

    Klasse!
    Gute Entscheidung. Schöner Bericht. Bei „uns“ reichte es nur zu Alsen rund. Ne Woche ist halt nix.
    Smooth Sailing!

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