Boris Herrmann will mit dem chinesischen Skipper Guo Chuan und dessen 30 Meter Tri (ex Rekordbrecher IDEC ) die Nordostpassage bezwingen.
Seit sechs Jahren erst wird die Nordostpassage wieder vereinzelt von Handelsschiffen durchfahren. 2002 bezwang der Abenteurer Arved Fuchs die vereiste Route durchs Nordpolarmeer im dritten Anlauf mit der „Dagmar Aaen“. Aber noch niemals ist jemand nonstop nur unter Segeln von Murmansk die Arktis entlang bis zur Beringstraße durchgekommen.
Genau das will der Hamburger Boris Herrmann nun schaffen. Dazu hat der zweimalige Weltumsegler als Navigator beim chinesischen Skipper Guo Chuan auf dessen 30-Meter-Trimaran „Qingdao China“ angeheuert. Der Startschuss zur etwa 2.800 Seemeilen langen Strecke (mehr als 5.000 Kilometer) voller Ungewissheiten fällt für die sechsköpfige, internationale Crew am Donnerstag, dem 3. September. Das Team rechnet für die „maritime Erstbesteigung“ mit einer Dauer von knapp zwei Wochen.
„Der Nördliche Seeweg gilt als eines der letzten großen, noch weitgehend unentdeckten Abenteuer der Seefahrt“, schwärmt Boris Herrmann voller Vorfreude auf einen nicht alltäglichen Weltrekordversuch, „da habe ich nicht lange überlegen müssen, ob ich dabei sein will.“
Nach vier Streckenrekorden allein in diesem Jahr, darunter zuletzt der prestigeträchtige Transpazifik-Regattaweg von Los Angeles nach Hawaii, könnte der geborene Oldenburger nun übers Seglerische hinaus in die Geschichtsbücher eingehen. Denn die Kampagne startet auch als Zeichen russisch-chinesischer Freundschaft und wird vor dem Start dem Ende des Faschismus vor 70 Jahren gedenken. Außerdem segelt die Crew als Botschafterin der Friedensstiftung „Peace and Sport“ unter Schirmherrschaft von Prinz Albert von Monaco.
Guo Chuan ist zunächst im Team, aber dann auch allein und ohne Stopp um die Welt gesegelt. Seitdem gilt der 50jährige in seiner Heimat Qingdao als Volksheld. Mit Hilfe der Hafenstadt, die 2008 die Olympischen Segelwettbewerbe ausgerichtet hatte, wurde das Projekt „Arctic Ocean World Record Challenge“ möglich. Sie ist auch Ziel der gesamten Reise, die nach dem Rekordteil durch die Beringstraße weitere 2.500 Seemeilen über Wladiwostok führt, wo das Dreirumpfboot nach zirka vier Wochen das erste Mal anlegen und von russischen Ehren empfangen werden soll.
Die erste, oft unüberwindbare Hürde der Nordostpassage ist seit jeher die Bürokratie. Auch Arved Fuchs wurde vor zwei Jahren beim Wiederholungsversuch im Stich und sein Schiff im Kohlehafen von Murmansk liegen gelassen. Um die Erlaubnis zum Durchfahren der russischen Hoheitsgewässer zu bekommen, half Mannschaftsmitglied Sergei Nizovtsev, ein ranghoher Funktionär, der zu „besseren Zeiten“ bereits eine russisch-ukrainische Polarexpedition unter Segeln leitete.
„Auf der Wegstrecke lauern aber noch genug andere Unwegsamkeiten“, warnt Herrmann, mit 34 Jahren der Jüngste an Bord. Auch wenn die Eislage derzeit günstig sei, müsse das in zwei Wochen längst nicht überall mehr der Fall sein. Die wahrscheinlichste Route führt von Murmansk durch die noch relativ stark befahrene Barentssee mit zahlreichen Öl- und Gasbohrinseln nördlich an der Insel Nowaja Semlja vorbei in die Karasee. Dort sollte die südliche Durchfahrt der Inselgruppe Swernaja Semlja möglich sein, mit 78 Grad nördlicher Breite der vermeintlich „höchste“ Punkt der Route.
Von dort geht es durch die Laptewsee auf die ostsibirischen Inseln zu. Auch hier kann es immer wieder unerwartete Eispfropfen geben, die den Seeweg versperren. Nach der Ostsibirischen See muss noch die Wrangel Insel und die Chukchi-See passiert werden, ehe an der imaginären Ziellinie eingangs der Beringstraße ein ortsansässiger Zeitnehmer den offiziellen Durchgang dokumentieren soll. Herrmann: „An der Landzunge nördlich von Providenjia steht ein alter Leuchtturm, da hätten wir es tatsächlich geschafft.“ Sein immens wichtiger Job wird das Wetterrouting unter Einbeziehung des besonderen Faktors Eis.
Je nördlicher er den Kurs absetzt, desto kürzer ist der Weg nach Osten, aber auch desto größer das Risiko von Eisgang. „Gefährlich ist zum einen das mehrjährige Eis, das schon mindestens einen Sommer überstanden hat“, erklärt Professor Ralf Brauner, „aber auch die so genannten Growler, abgebrochene Eisstücke, nicht selten so groß wie ein Auto, die an der Wasseroberfläche kaum auszumachen sind.“ Der Meteorologe von der Jade Hochschule in Elsfleth ist renommierter Polarforscher und begleitet Herrmanns navigatorischen Werdegang bereits seit 15 Jahren. „Die Chancen für ein Gelingen des Weltrekords stehen bei 80 Prozent“, schätzt der Wissenschaftler optimistisch, der das Unterfangen von Land aus unterstützen wird.
Bei der akribischen Vorbereitung haben Chuan und Herrmann, die ursprünglich das vorige Barcelona World Race zusammen segeln sollten, was mangels eines erfolgsversprechenden Boots platzte, ihre ganze Erfahrung in die Waagschale geworfen und nichts dem Zufall überlassen.
Der Trimaran, die ehemalige „Idec“ des Franzosen Francis Joyon, hielt mit 57 Tagen und 13,5 Stunden viele Jahre die Bestzeit einhand rund um den Globus und kann mit seinen 520 Quadratmetern Segelfläche problemlos mehr als 30 Knoten (60 km/h) schnell werden. „Die vorderen fünf Meter der drei Rümpfe wurden mit fünf Millimeter dickem Kevlar verstärkt, um kleineren Eisbröseln zu widerstehen“, so der Navigator. „Aber wenn’s heikel wird, müssen wir auf die Bremse treten.“
Die gesamte Nordostpassage beobachtet Boris Herrmann seit Wochen über Satellit auf verschiedenen Webseiten im Internet. Das wird auch unterwegs ein grundlegendes Instrument, um Strategie und Taktik ständig den zu erwartenden Gegebenheiten anzupassen. Über Iridium-Funknetze wird das Team mit der Außenwelt verbunden bleiben. „Aber am wichtigsten könnten die Infrarot-Kameras werden, die bis zu zwei Seemeilen voraus schauen“, glaubt der technisch versierte, aber dem nicht erlegene Hochseesegler. Bei durchschnittlichen Wassertemperaturen von sieben bis acht Grad sollten sich Eisbrocken im Wärmebild gut absetzen, so das Kalkül.
Das klingt aber alles nur weitgehend kalkulierbar. Denn der Nördliche Seeweg ist und bleibt eine extrem abgelegene Region, in der Hilfe von außerhalb mehrere Tage in Anspruch nehmen könnte, bevor sie eintrifft, sollte sie doch erforderlich werden. „Respekt vor den Naturgewalten bleibt unser bester Ratgeber“, sagt Boris Herrmann, „und das ist beileibe kein Seemannslatein.“ Bei den Weltregatten Portimão Global Ocean Race, das er 2009 mit Felix Oehme gewann, und Barcelona World Race, 2011 mit Ryan Breymaier als Fünfter im Ziel, bezwang er schon zweimal das Südpolarmeer (Southern Ocean). Die Nordostpassage nonstop unter Segeln soll der nächste Meilenstein in seinem vielbeschriebenen Logbuch werden.
Quelle: Boris Herrmann Racing/Andreas Kling
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