49er Worlds: Heil/Plößel Vize-Weltmeister – Lutz/Beucke verpassen Bronze nach Kenterung

Gänsehaut-Momente

Was für ein Rennen! Was für eine Leistung! Was für ein großartiger Erfolg! Erik Heil und Thomas Plößel haben den zurzeit wohl besten Seglern auf diesem Planeten alles abverlangt. In einem dramatischen Medalrace zwangen sie die Lokalhelden Peter Burling und Blair Tuke zu ungewohnten Fehlern und verpassten denkbar knapp den WM-Titel.

Dabei sah es nach dem vorletzten Tag bei dieser 49er-WM eigentlich danach aus, als sei der Widerstand des NRV-Duos gebrochen, und sie würden den viermaligen 49er-Weltmeistern den fünften Titel nicht mehr streitig machen. In drei Rennen verloren sie 21 Punkte auf die Olympiasieger und lagen vor dem letzten Tag 12 Punkte hinten.

Starke Vorstellung von Heil/Plößel im Duell mit den Superstars. © Jesus Renedo / Sailing Energy

Die Sache schien gelaufen. Zumal der Wind für den Finaltag mit zwei Rennen plus Medalrace deutlich zunahm. Bei diesen Bedingungen galten die Kiwis lange als unschlagbar.

Missgeschick der Favoriten

Aber dann kommt schon im siebten Finalrennen alles anders. Heil/Plößel gehen zwar volles Risiko, zeigen einen hervorragenden Start unter Black Flag und liegen deutlich vor den Gegnern. Doch die linke Seite läuft überhaupt nicht. In den 20ern runden sie die Luvtonne. Game over – so scheint es. Der mögliche Titel ist futsch.

Im blauen Leibchen des Gesamt-Zweiten voll auf Angriff. © Jesus Renedo / Sailing Energy

Dann das Missgeschick der Favoriten. Burling/Tuke liegen wieder vor den Deutschen, dann stolpert der Steuermann in einer Wende und bricht den Pinnenausleger ab. Im 49er kann man den langen Kohlefaserstab im Rennen durchaus ersetzen. Die Teams führen Ersatz im Großbaum mit sich. Aber den Kiwis misslingt dieses Manöver.

Sie drehen immer wieder in den Wind, kentern schließlich, und als der neue Ausleger angebracht ist, segelt das Feld so weit voraus, dass die Kiwis aufgeben. Sie habe schließlich noch einen Streicher in Petto – sind vorher in 15 Rennen nie schlechter als 11 gesegelt.

Starke Form und toller Speed zum Saison-Höhepunkt© Jesus Renedo / Sailing Energy

Heil/Plößel dagegen schleppen Platz 27 nach einem Ruderbruch durch die Serie. Jeder Punkt zählt, den sie aufholen. Und sie geben richtig Gas. Rang neun hält sie im Spiel um den Titel.

Sensationell aus der Umklammerung gelöst

Dann der nächste Coup. Achtes und letztes Finalrennen. Die Deutschen packen wieder einen ihrer bevorzugten Steuerbord-Starts am Startschiff hinter dem Feld aus. Er klappt nicht perfekt. Der Holländer übt von Lee Druck aus und die Kiwis passieren nach einem Harakiri Cross vor einem Iren und liegen plötzlich in Luv der Deutschen. Eine unangenehme Situation, wenn ein Boot von Lee hochquetscht und in Luv ein Gegner drüber rutschen will.

Schwierige Position für das NRV-Duo eingeklemmt zwischen den Kiwis und Holländern…

…Aber sie halten die Spur, quetschen Burling ab und gewinnen dieses Rennen.

Aber GER 4 löst sich sensationell aus der Umklammerung. Eine Schlüsselmoment. Solche Situationen kriechen in den Kopf des Gegners, verstärken seinen Respekt, provozieren Fehler. Das kann für den Verlauf des Olympia-Jahres noch ganz wichtig werden.

Das deutsche Duo gewinnt dieses Rennen souverän, die Kiwis geben sich allerdings auch keine echte Blöße auf Rang drei. Damit nehmen sie acht Punkte Vorsprung mit in das doppelt zählende Medalrace. Sie dürfen nicht mehr als drei Boote zwischen sich und dem Gegner zählen.

Den Kiwis eine Lektion erteilt

Eigentlich keine so schwierige Aufgabe für die 49er-Überflieger der vergangenen Jahre, die oft schon vor dem Medalrace einen so großen Vorsprung hatten, dass sie nicht mehr eingeholt werden konnten.

Burling/Tuke müssen sich voll reinhängen, umihren 5. WM-Titel zu holen. © Jesus Renedo / Sailing Energy

Aber diesmal ist es anders. Heil/Plößel haben selber eine längere, schöpferische Pause eingelegt, und die tut ihnen offenbar sehr gut. Sie segeln stark wie nie. Schon vor dem Medalrace ist Silber sicher – das beste WM-Ergebnis ihrer Karriere. Klappt auch der ganz große Coup?

Beim Medalrace in Rio, als es um ein ähnliches Duell und ähnlich viel ging, lief es noch gar nicht gut. Ein vorsichtiger, gänzlich verpatzter Start kostete die Chance auf Silber gegenüber den Australiern Outteridge/Jensen. Diesmal gehen sie ganz anders zu Werke, blockieren selbstbewusst den Top Spot am Startschiff und erteilen den Kiwis eine echte Lektion.

GER 4 besetzt die dominierende Startposition am Startschiff in Luv der Kiwis…

…Perfekte Beschleunigung…

…Besser geht es nicht…

…Als die Neuseeländer wegwenden, wird klassisch gedeckt.

Es entwickelt sich ein dramatisches Medalrace. Heil/Plößel üben mächtig Druck aus auf ihre Gegner, nehmen sie in den Schwitzkasten, bauen eine enge Deckung auf, und müssen doch irgendwie versuchen, genügend Boote zwischen sich und den Kiwis zu platzieren.

Burling fällt ins Wasser

Die wage Chance wird sehr real, als Peter Burling bei der Wende, mit der er sich aus dem Windschatten der Deutschen lösen will, abrutscht und ins Wasser fällt. So etwas hat man von dem Superstar noch nicht gesehen. Sollte er doch Nerven haben?

Burling rutscht aus und fällt ins Wasser.

Der Steuermann taucht ab und kann sich noch knapp am Boot festhalten.

… kann sich aber noch knapp an der Fußschlaufe festhalten.

Fast wäre er gänzlich vom Boot getrennt worden. Im letzten Moment greift er noch die Ecke des Auslegers und schafft es irgendwie, sich wieder aufs Boot zu ziehen. Die Kiwis runden als Vorletzte die Luvtonne, die Deutschen als Fünfte – das würde ihnen für WM-Gold reichen.

Beide Teams starten die Aufholjagd. Wer kann mehr Boote überholen? Heil/Plößel eröffnen sich eine Chance mit einem starken Jibe-Set. An der Leetonne sind sie schon Dritte, die Kiwis Siebte – es reicht noch immer.

Briten machen den Weg frei

Burling versucht sich auf der Kreuz nach rechts erfolglos an den Briten vorbei zu quetschen. Die wenden dann plötzlich weg, machen den Weg frei. Es ist der Schlüsselmoment. Die Olympiasieger schießen über die rechte Seite bis auf Rang vier nach vorne und die Deutschen sind an der Luvtonne Zweite. Das reicht nun nicht mehr.

Puh, was für ein Rennen, was für eine Dramaturgie, was für eine Werbung für den Sport. Diese Bilder von den Skiff-Athleten, wie sie ihr Sportgerät über die Wellen prügeln – unglaublich. Spektakulär. Dafür braucht man keine Tragflächen.

Gänsehaut-Momente und ein großartiger Erfolg. WM-Silber in diesem Feld ist genial. Insbesondere dieses Duell mit den Home-Boys. So ganz nebenbei hat das Duo auch noch die erste interne Olympia-Qualifikation gewonnen. Sie sammeln 30 Punkte gegenüber ihren Freunden Schmidt/Böhme, die als auf Platz 12 auch noch ein starkes Comeback abgeliefert haben und 9 Punkte erreichen. Auch das Nachwuchs-Team segelt mit Rang 17 noch in die Punkteränge und streicht 4 Zähler ein. Es ist ihr bestes WM-Ergebnis.

Die Sieger der 49er WM

Nur die letztmaligen WM-Dritten Fischer/Graf erleben eine große Enttäuschung. Sie gewinnen zwar deutlich die Silbergruppe – und sind damit 26. – , hätten aber durchaus auch im Medalrace mithalten können. Nun wird es schwierig, den Rückstand aufzuholen. Unmöglich ist es nicht. Es bleibt noch die Weltmeisterschaft 2020 in Geelon, Australien und die Princes Sofia Trophy in Mallorca.

Lutz/Beucke mit deutlicher Führung an der Luvtonne

Einen ganz so großen Vorsprung wie die Männer können Tina Lutz und Susann Beucke nicht mit nachhause nehmen. Dennoch verkaufen sie sich bestens  – auch im Medalrace. Nach einem fantastischen Start führen sie an der Luvtonne deutlich und steuern auf Bronze-Kurs.

Dann das Missgeschick bei der zweiten Halse. Im Moment, als Susann Beucke den Gennaker herumreißt sticht der Bug des Skiffs in eine Welle, sie verliert das Gleichgewicht, fällt nach Lee und das Schiff kentert. Game over. Bronze verloren.

Aber Platz fünf ist immer noch das beste WM-Ergebnis in der langen Karriere des Duos. Die ehemalige Optimist-Weltmeisterin Lutz aus Bayern und Beucke vom Steinhuder Meer glauben auch nach zwei verlorenen Olympiaqualifikationen im 470er und 49erFX an seine Chance. Sie haben sich hartnäckig in eine bestechende Form gearbeitet, die sie plötzlich sogar in die Reichweite von Medaillen bringt.

Die Kenterung von Lutz/Beucke

16 Punkte haben sie in der DSV-Qualifikation geholt gegenüber den leicht favorisierten Gegnerinnen Jurczok/Lorenz, die es überraschend nicht in die Goldgruppe geschafft haben. Die könnten immer noch bei den folgenden Regatten dagegen halten und zeigten auch beim letzten Silberfleet-Rennen eine starke Form an der Spitze des Feldes. Aber dann mussten sie ebenso eine Kenterung unter Gennaker verschmerzen.

Die Olympia-Siegerinnen bei ihrem Absturz, der sie WM-Gold kostet. © Jesus Renedo / Sailing Energy

Es wird die deutschen Frauen kaum trösten, aber sie waren mit ihrem Missgeschick nicht alleine. Besonders spektakulär erging es den Olympiasiegerinnen aus Brasilien Grael/Kunze. Sie trafen kurz vor dem Leetor die Anliegelinie nicht richtig, mussten kurz anluven und katapultierten sich dann mit flatterndem Gennaker über die Leetonne. Damit beraubten sie sich der Chance, den zweiten WM-Titel zu gewinnen. So verteidigen Niederländerinnen Bekkering/Duetz  ihren WM-Titel aus Aarhus.

Die Holländerinnen freen sich über die Titelverteidigung im 49erFX. © Sailing Energy

Die Besten der 49erFX WM 2019

Am letzten Tag der Nacra17 WM haben Paul Kohlhoff und Alicia Stuhlemmer bei Starkwind noch einmal mit den Plätzen 3/7 gezeigt, dass sie zu den Besten gehören. Sie verpassten aber das Medalrace als Zwölfte denkbar knapp um drei Punkte.

Aber ihre Mission ist erfüllt. Sie qualifizierten Deutschland souverän für die Olympischen Spiele in Enoshima und holten das dritte von fünf Tickets im Nacra17. Der Vorsprung zu den Norwegern auf Platz 21 betrug schließlich 84 Punkte.

Polgar Ersatz Jan-Hauke Erichsen und Carolina Werner gelang in der Silbergruppe noch ein Sieg am letzten , aber mehr als Platz 34 war nicht drin. Die interne Qualifikation beginnt bei der Nacra17 WM in Australien, setzt sich bei der Princes Sofia Trophy in Mallorca fort und endet mit der EM am Gardasee. Bis dahin will auch der verletzte Johannes Polgar wieder in den Kampf um das Olympia-Ticket eingreifen.

Die Nacra17-Sieger. Kohlhoff/Stuhlemmer qualifizieren Deutschland für Japan.

Ergebnisse 49er WM Auckland

Carsten Kemmling

Der Mann von der vordersten Front. Mehr zu ihm findest Du hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert