Knarrblog: Quarantäne zuhause – Was sich noch in der Segelwelt tut

Vielleicht hilft es, Segler zu sein...

Die Einschläge kommen näher. Eine Kollegin meldet sich ab. Fieber. Sie wollte gerade schreiben, wie es den Werften so geht? In ihrer Familie gibt es einen positiven Fall. Sie befindet sich schon länger in Quarantäne. Solche Meldungen häufen sich im Umfeld. Diese Krise ist nicht mehr so abstrakt, wie vor wenigen Tagen.

Knapp eine Woche dauert die Isolation nun auch schon für uns nach der Rückkehr aus dem Risiko-Gebiet Tirol. Am Dienstag war ich sicher, auch erwischt worden zu sein. Kopfschmerzen und mega schlapp.

Aber das sollen gar nicht die Symptome sein. Fehlalarm? Jedenfalls hilft ein Schwitzbad in der Wanne, wie es der alte Laser-Coach Friedhelm empfohlen hätte. Am nächsten Tag ist’s wieder gut. Kann man so etwa diesem Erreger beikommen? War’s nur eine Psycho-Nummer. Man horcht ja permanent in sich hinein. Habachtstellung. Self fulfilling prophecy?

Video Konferenz

Klar, dass man Kopfschmerzen bekommt. Minütlich klingeln neue Corona Breaking News auf allen Kanälen. Ausblenden klappt nicht. Man will ja informiert sein. Den nächsten  Hamsterkauf nicht verpassen. Psychologen raten schon, sich nur zweimal täglich die volle News-Dröhnung abzuholen.

Im Verlag versuchen wir von zuhause per Team-Chat-Programm zweimal pro Woche eine gewisse Kommunikation aufrecht zu halten. Freitag war wieder Video-Konferenz. Die Nachrichten von der Anzeigen-Front sind nicht gut. Wen überrascht es? Die Kunden ächzen. Wir auch.

SVG Telefonkonferenz via Team Chat.

Dabei gibt es sicher schlimmere Fälle da draußen. Zumal die wirtschaftliche Krise eben von der gesundheitlichen überlagert wird. Kann man über fehlendes Geld jammern, wenn sich laut Medienberichten in Italien „Särge vor den Krematorien stauen“?

Es fällt nach wie vor schwer, den Job zu machen. Was ist überhaupt der Job? „SegelReporter berichtet, erklärt, steckt an“, haben wir einmal formuliert. „Berichten“? – ist zurzeit schwierig. Die Segelwelt steht still. „Erklären“? – Kann vielleicht helfen, wenn immer mehr Leuten zuhause die Decke auf den Kopf fällt.  „Anstecken“? – lieber nicht.

Das neue Olympia-Brett für 2024 in Aktion. © Adam Mustill

Was tut sich noch da draußen? Wer geht überhaupt noch aufs Wasser? Downunder wird „Business as usual“ praktiziert. Die Neuseeländer probieren Slalom Sprint-Rennen als Format für den Windfoil aus, die neue Surfer-Olympiaklasse für 2024.

Die Australier ignorieren die Covid-19-Gefahr gänzlich bei ihrer JJ Giltinan 18ft Skiff Championship, die als Weltmeisterschaft der besten 18-Footer-Skiff-Crews gilt. Die zweifachen Sieger vom „Honda Marine Team“ verteidigen ihren Titel im Hafen von Sydney zum dritten Mal hintereinander. Die Klasse liefert auf ihrem Youtube-Kanal spannende Live-Übertragungen von den Rennen.

Honda Marine holt den dritten 18-Footer-WM-titel in Folge. © Michael Chittenden

Es dürften wohl für lange Zeit weltweit die letzten aktuellen Segelbilder gewesen sein. Zwar dürfte das Social Distancing auf einem Segelboot ziemlich effektiv sein, aber Stege, Slips, Häfen sind gesperrt. Es geht darum, Menschenansammlungen an Land zu vermeiden.

Erinnerung auf dem Bildschirm. Am Wochenende wäre der Saisonauftakt gewesen 🙁

Dabei tut es schon weh, gerade an diesem Wochenende zuhause zu sitzen. Ich hatte schon vergessen, dass der Alster-Saisonauftakt im Liga-Format ansteht. Eigentlich. Plötzlich ploppt die Erinnerung am Bildschirm auf. Wie aus einer anderen Zeit. Als die Welt noch nicht aus den Fugen war. Und draußen natürlich am ganzen Wochenende bester Wind, tollste Sonne.

Boris hat geheiratet

Vereinzelt gibt es doch noch positive Meldungen aus der Segelszene. Boris Herrmann hat geheiratet. Glückwunsch!

Das Email-Postfach bleibt zwar zunehmend leer, aber Tauwerkhersteller Seilflechter aus Braunschweig hat noch etwas zu vermelden:  „Wir möchten Sie bereits heute über unser neues Anti-Spinnenspray informieren. Es ist bestimmt ein Bericht, der gerade in der momentanen Situation etwas Normalität vermitteln kann.“

Auch Hanse Yachts informiert: „Unsere Kunden wissen dass ein Boot in dieser Zeit perfekt ist, um einen sicheren und unbeschwerten Urlaub isoliert mit der Familie verbringen zu können. Was gibt es besseres als eine Auszeit auf dem Meer?“

Ungebremste Produktion?

Während die großen deutschen Automobil-Hersteller ihre Werke längst geschlossen haben, scheinen das Virus die beiden großen deutschen Sportbootwerften nicht zu tangieren. Auch Bavaria verkündet, ungebremst zu produzieren. Ob sie das noch lange durchhalten können?

Vielleicht sind sie so immun, wie die Superyacht-Branche. Sie scheint die Situation   einfach zu ignorieren, wenn man der öffentlichen Kommunikation glauben darf. Auch zwischen den Zeilen keine Spur vom Virus. Diese Strategie mag bisher immer geholfen haben. Auch gegen Corona?

Schwer zu glauben, wenn der DAX in nur 28 Tagen mit 40 Prozent Einbußen den schnellsten Absturz im Aktienmarkt hinlegte, den es in Deutschland je gab. Wenn die International Labour Organization (ILO) einen möglichen weltweiten Anstieg der Arbeitslosigkeit um 25 Millionen errechnet.

Endzeit-Szenario

Zurück an der Heimatfront. Die beiden Twen-Jungs lassen sich von solchen Endzeit-Szenarien nicht runterziehen. Sie sitzen nach dem Urlaub in Tirol mit uns in Quarantäne. Längst führen sie ihr eigenes Leben in Kiel, aber dort ist die Uni dicht. Wir müssen uns arrangieren. Man liest, dass dieser Tage häusliche Gewalt ein größeres Problem werden soll. Aber noch kommen wir klar.

Krisenstimmung keimt bisher nur auf, wenn das Internet spackt. Wenn Online-Spiele abstürzen. Video-Telefonate ruckeln. Die Kommunikation mit der Außenwelt zusammenbricht.

Ich hab auch versucht, mich mal wieder in die virtuellen Spielwelt zu verlustigen. Mich mit Virtual Regatta beschäftigt. Und war prompt genervt, weil die Leitung wie auch die Leistung nicht stabil blieb. Aber das Inshore-Spiel wird für immer mehr Segler zum Ersatz während der Abstinenz-Zeit. Es dürfte ein sicherer Krisen-Gewinner werden. Selbst Vereine wie Kieler Yacht-Club oder KDY in Kopenhagen veranstalten Rennen auf der Inshore-Plattform.

Es wird auch wieder virtuell auch offshore gesegelt. Wie regelmäßich beim Ocean Race oder der Vendée Globe. Diesmal 4000 Seemeilen über den Atlantik. Von La Rochelle nach Curacao auf den Westindischen Inseln. „The Great Escape“ heißt das Rennen. Start ist am Montag (23. März um 13.02 Uhr).

Der Veranstalter hat „in einer Zeit, in der es wichtiger denn je ist, zu Hause zu bleiben“, wie es in der Werbemail heißt, allen Teilnehmern VIP-Status gewährt, also kostenfreien Zugriff auf alle verfügbaren virtuellen, automatischen Steuerungs- und Beschleunigungs-Hilfsmittel für das Boot gewährt. Vier Rennen finden in vier verschiedenen Bootsklassen statt: Ultim, IMOCA, Class40 oder Figaro Bénéteau können gewählt werden. Die Virtual Regatta Anbieter dürften sich schon jetzt zu einem der Gewinner der Corona-Krise zählen.

Virtuelles Klingen-Kreuzen

Die Jungs sind damit nicht hinter dem Ofen herzulocken. Aber sie haben mich überredet das uralte Echtzeit-Strategiespiel Age of Empires downzuloaden, das ich wohl vor 15 Jahren mal gespielt habe. Ein hübsches Tool, um lange Qurantäne Abende mit wechselseitigem virtuellem Klingen-Kreuzen aushaltbar zu machen.

Inzwischen hat sich sogar abwechselndes Kochen in der neuen/alten Familien-Vierer-WG durchgesetzt. Ebenso die regelmäßige Sportstunde auf der Hantelbank. Gott sei Dank haben die Jungs noch zusätzliches Gewicht im Keller gefunden. Es hätte nicht ausgereicht, was der alte Herr sporadisch mal auflegt.

Man könnte es auch genießen dieses Zusammenrücken in der Familie. Duelle per Quiz-Duell-App kommen zu einem Revival. Am Küchentisch wird wieder Doppelkopf gespielt. Wenn nur der Anlass nicht so traurig und erschreckend wäre. Wenn man wüsste, wie die Krise gemeistert wird. Wann sie beendet ist. Wenn nicht so viele Leben auf dem Spiel stünden. So viele Existenzen. Durchhalten ist angesagt.

Waffen hamstern?

Die Diskussionen in der Familie helfen. Das Bewerten der neuesten Nachrichten. Brauchen wir mehr Klopapier? Was hat es damit auf sich? Könnte das die neue Tauschware werden, wie Zigaretten nach dem Krieg? Da scheint es  logischer, Reis zu hamstern – wie es die Chinesen tun – oder Waffen – wie bei den Amis.

Was heißen die Hiobsbotschaften für die persönliche Situation? Sind wir gut genug aufgestellt? Können wir das aushalten? Wie wird die Welt danach aussehen? Gibt es überhaupt ein Danach? Düstere Gedanken.

Die Segelsaison spielt längst keine Rolle mehr. Ostsee-Urlaubstörn, oder der ausgeklügelte Bundesliga-Trainings und Besetzungs-Plan mag aus einem anderen Leben stammen – so fühlt es sich an. Die Absage der J/70-EM Anfang Juli in Kopenhagen – der Saisonhöhepunkt – scheint unumgänglich.

Gewohnt, Stürme abzuwettern

Aber wie schreibt Klaus Brinkbäumer so schön im Tagesspiegel: „Segelsorgen sind private Sorgen, kleine Sorgen, fraglos; so wie 8,5 Millionen Leidenschaften, die nun pausieren müssen.“

Vielleicht hilft es, Segler zu sein. Sind nicht gerade wir es gewohnt, solche Stürme abzuwettern? Flauten auszusitzen? Ruhe zu bewahren? Sich auf das Wesentliche, Überlebenswichtige zu konzentrieren? Wir wissen um die Bedeutung „alle sitzen in einem Boot“. Es hilft, wenn man als Crew zusammenarbeitet.

 

 

Carsten Kemmling

Der Mann von der vordersten Front. Mehr zu ihm findest Du hier.

7 Kommentare zu „Knarrblog: Quarantäne zuhause – Was sich noch in der Segelwelt tut“

  1. Ursula sagt:

    Schöner Beitrag wo man trotz Isolation Spaß haben kann. Danke.

  2. MAUERSEGLER sagt:

    …heimische Hantelbank: bei Flaute pumpen ? LG in und an die geschlossene Anstalt inkl. -leiterin

  3. Carsten Kemmling sagt:

    Jo, da hast du wohl recht 🙂

  4. Wolfgang Hofmann sagt:

    Lieber Karsten!
    es freut mich immer, wenn Segler nördlich des W…äquators unser schönes Tirol besuchen, na ja, im Winter!! Aber bei uns kann man auch hervorragend segeln!
    Deinen Hausarrest hast Du eventuell selbst zu verantworten, denn als „alter“ Regattasegler solltest Du schon wissen, dass wiederholte Verletzungen der Regeln 14 und 31 (wobei in Euren SI -ersetze „Segel.“ durch „Ski.“ – das Wort Bahnmarke durch Bar ) nicht ungestraft bleiben. Mildernd – wegen RRS 2 – muss die große Anzahl der „Gegner“ einberechnet werden, von einer Berufung würde ich abraten, dauert wegen der riesigen Fallzahlen zu lange.
    LG Wolfgang aus Innsbruck
    NS. a bissl Spass schad nix im Moment!!

  5. moth sagt:

    Danke für eine abwechlungsreichen und kurzweiligen Artikel in tristen Zeiten !

  6. pl_markus.ochs sagt:

    Prima Artikel. Viele Grüße

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