SR-Reise: Dänische Südsee

Zwischen Märchenstädten und kleinen Inseln

Für den passionierten Mittelmeer-Segler Autor Carl Victor ist die Ostsee ein Buch mit sieben Siegeln. Er wagte sich dennoch in unbekannte, nordische Gewässer und suchte den Vergleich zwischen mediterranem Flair und dem rauen Charme Dänemarks.

In den kleinen dänischen Häfen herrscht in der Vorsaison oft ent­spanntes Liegen. Hier: Svendborg, Südhafen. Foto: Carl Victor

„Jetzt kommst Du mal zu mir an Bord!“ Mit diesen Worten lud mich Bernd, der mit mir – vom gemütlichen Inselschippern bis hin zum Ruderbruch auf den Kanaren – schon so einiges erlebt hatte, zu einem Törn auf seinem Neubau ein. Der befand sich damals zwar noch im Linienriss-Stadium, doch zum Mittsommernachts-Törn nach Dänemark sollte er fertig sein. So sagte ich zu und hoffte, mit einem Bericht gestandene Ostseesegler zu amüsieren und Mittelmeer-Seglern Appetit auf Neues machen zu können.

Am ersten Tag gab es beim Verlassen des Hafens von Warnemünde leichten Wind aus wechselnden Richtungen. Was also tun an einem solchen Tag? Man kann zum Beispiel die Einladung zu einer Fun-Regatta annehmen. Leider nutzen uns dort die schnellen Linien der „Tin Lizzie gar nichts, denn im Gegensatz zu ihrer halb so schweren Konkurrenz, bräuchte sie einige Windstärken mehr, um ihre elf Tonnen zum Laufen zu bringen. Das schaffen erst die vier bis fünf Windstärken aus Westsüdwest, die uns am nächsten Tag zwar daran hindern, unser Ziel – die Dänische Südsee – mit direktem Kurs ansteuern zu können, die uns aber mit sieben bis acht Knoten nordwärts Richtung Gedser jagen. Als die Schaumkronen weniger werden und der fast viermal so große Gennaker die Genua mit zehn Knoten ablöst. An der vor Hestehoved liegenden Ansteuerungstonne des Grönsunds angekommen, erteilt das Revier dem Mittelmeer-Segler eine neue Lektion: Aus heiterem Himmel frischt es so auf, dass von einer zur anderen Minute der Gennaker nicht mehr gefragt ist. Als wir in den Sund einlaufen, bläst es mit über 30 Knoten aus West. Das könnte uns zusätzlich zum Gezeitenstrom im Sund einen Querstrom bei der Ansteuerung des Hafens von Stubbekøbing bescheren, der mit bis zu vier Knoten laufen kann.

Als ich aufhörte, dem Mittelmeer nachzutrauern

Der Hafen von Stubbekøbing an der Nordseite der Insel Falster. Foto: Carl Victor

Wenn auch Ihnen der Segelführer versprechen sollte: „Stubbekøbing ist ein dänisches Provinzstädtchen, das bei näherer Bekanntschaft enorm gewinnt“, dann vergessen Sie den zweiten Teil des Satzes möglichst gleich. Meine scharfsinnige Bemerkung, „wenn es hier je ein zweites Hotel gegeben hat, dann ist es bestimmt pleite“, wird uns kurz darauf bestätigt. Das verbliebene Hotel wiederum schreckt uns mit seiner durch schmutzige Fensterscheiben drohenden Tristesse ab. So landen wir schließlich im einzig verbliebenen Lokal, dessen Koch uns mit seiner Kunst auch nicht überzeugen kann. Während wir noch mampfen, irren schon die ersten Fußballfans durch das Städtchen. Dänemark spielt gegen Deutschland! An diesem Abend gleicht das Dorf mehr einem Geister- denn einem Provinzstädtchen. Ich beginne mich zu fragen, wieso im Sommer Dänemarks Häfen von Yachten gestürmt werden, warum so viele davon schwärmen und die Südsee für sie ein Revier der Superlative ist, das sie jedem anderen vorziehen. Erst am nächsten Abend werde ich, wenn auch langsam, beginnen, den Reiz dieses Reviers zu verstehen.

Der nächste Morgen beschert uns blauen Himmel und leichten Ostwind. Im Sortsø Gab jagt uns der Wind raumschots unter den beiden Brücken über den Storström hindurch. Als sich die Storströmbrücke über unserem Masttop spannt, werden wir von einer tief hängenden Wolkenbank regelrecht überrollt. Der Ostwind legt zu, die Sicht nimmt rapide ab. Besonders die Untiefentonnen, von denen es hier mehr als genug gibt, sind nur schwer und besonders ihre Toppzeichen meist sehr spät auszumachen. Bevor wir zwischen  Gronvold Grund und Stemmetofte hinein segeln, müssen wir noch reffen, denn durch die für unser Boot schon fast zu flache Passage zwischen Sletterev und Middelgrund wollen wir uns nur mit kleiner Segelgarderobe tasten. Doch weniger als 2,80 Meter zeigt das Echolot dort nicht an. So stehen wir wenig später vor der Fahrrinne, die uns nach Dybvig Havn leiten soll. Die ist so eng, dass wir glauben, die Tonnen zu beiden Seiten greifen zu können. Bis jetzt stimmt der Wetterbericht. Doch als wir schon gut vertäut im äußeren Teil des Hafens liegen, springt der Wind von Ost um 180 Grad auf West – und frischt auf. Sturmböen pfeifen durchs Rigg; 38 Knoten zeigt der Windmesser im Hafen an.

Hafen von Dybvig auf Fejø. Foto: Carl Victor

Die See vor dem Hafen ist weiß; fliegende Gischt zieht den Vorhang vor eine draußen vorbeifahrende Fähre. Nachts ist der Spuk so schnell vorüber, wie er über uns hereinbrach. Im Nordwesten glüht noch einmal die schon tief stehende Mitternachtssonne auf. Die Vegetation blüht signalgrün auf, der Himmel strahlt in einem tiefen Mitternachtsblau, und das schnell abziehende, schwarze Gewölk beginnt in allen Nuancen, die Rot bieten kann, zu glühen. Was ist schon ein tropischer Sonnenuntergang gegen ein solches Schauspiel? Das ist der Augenblick, an dem ich aufhöre, dem Mittelmeer nachzutrauern. Konnten wir gestern Abend noch vom Schiff auf den Kai hinuntersteigen, ist es am Morgen umgekehrt. Das lässt uns für den Abschied nichts Gutes ahnen, denn schon beim Einlaufen waren die Wassertiefen, die uns das Echolot in der Fahrrinne anzeigte, nicht gerade üppig bemessen.

Ist die Rinne versandet oder haben wir es hier mit einer gemäßigten Form einer „Wasserstandsänderung“ zu tun? Wir versuchen es erst gar nicht zu ergründen, denn das Ergebnis liefe doch auf dasselbe hinaus. So oder so: Wir müssen aus dem Hafen hinaus, selbst wenn wir dabei Dänemarks Meeresboden umpflügen. Schon vor der ersten Tonne färbt aufgewirbelter Schlick das Kielwasser, doch als wir in die enge Fahrrinne einschwenken, gleitet der Kiel wieder durch das Ostseewasser. Auf dem kurzen Schlag von Kirkegrund zur südlichen Untiefentonne, die das gefährliche Sletterev begrenzt, geht das Großsegel in der Vorfreude auf das kommende Segelvergnügen hoch. Westwind versprach uns der Wetterbericht. Ideal, um hart am Wind die Nordspitze von Langeland anzuliegen und unter Vollzeug entlang Fünens Küste südwärts zu segeln. Leider währen Versprechen und Segelvergnügen nur kurz. Noch bevor wir den Fährhafen von Fejø querab haben, dreht der Wind auf Nordwest, auf der Höhe von Omø schläft er ganz ein. Erst nördlich von Langeland sorgt Stromkabbelung für Abwechslung. Ich hätte allerdings darauf verzichten können, denn als unser Schiff seine Nase hineinsteckt, fällt der Speed über Grund schlagartig um zwei Knoten unter jenen, den wir durchs Wasser machen. Die beiden Geschwindigkeiten nähern sich erst wieder an, nachdem wir durch das Kobberdyb geschlüpft und mit etwa 190 Grad am Kompass, Fünens Küste entlang, südwärts zu Segeln versuchen. An einem solchen Segeltag ist es fast überflüssig zu sagen, dass der Wind nun genau aus Süden kommt. Als wir nach langer Motorfahrt endlich in Svendborgs Nordhafen längsseits gehen, fragen wir uns allen Ernstes, ob es morgen früh überhaupt noch Sinn macht, zum Hafenamt zu pilgern und einen Wetterbericht abzufragen, der dann wieder nicht stimmt.

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