Zwei Bootsbaulehrlinge aus Friedrichshafen wollen im tiefsten Winter auf einen abenteuerlichen Törn quer durch die Republik bis zu ihrer Berufsschule im hohen Norden gehen – an Bord einer 68 Jahre alten H-Jolle, die sie derzeit auf eigene Faust restaurieren.
In gut 60 Tagen soll es losgehen. Mit ihrer „Alten Liebe“ planen Clara Böckenhoff und Paul Winter, vom Bodensee bis nach Travemünde zu fahren – zu Wasser. Damit das klappt, muss die aber erst einmal schwimmen. Und davon ist die betagte Lady derzeit noch recht weit entfernt.
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Im Oktober 2020 adoptierten die beiden Bootsbaulehrlinge der Michelsen Werft in Friedrichshafen das Bötchen und retteten es damit davor, als Feuerholz zu enden. Lange zuvor hatte der ursprüngliche Eigner die lädierte Jolle der Werft am Bodensee geschenkt. Nachdem sie dort jedoch jahrelang im Winterlager unter der Decke gehangen hatte und mehrere Restaurierungsversuche anderer Azubis bereits im Sande verlaufen waren, sollte die „Alte Liebe“ schließlich aussortiert und zersägt werden. Für Clara und Paul unvorstellbar. Spontan entschieden sie deshalb, das Segelboot gemeinsam wieder auf Vordermann zu bringen und machten mit ihrem Arbeitgeber einen Deal: Gearbeitet werden darf in der Werft – allerdings erst abends nach Feierabend und am Wochenende.
Mittlerweile sei die Jolle fast schon ein Neubau, erzählt die 22-Jährige. „Wir haben leider nicht so viele Teile gefunden, die man wiederverwenden kann und die nicht ganz rott sind.“ Paul erklärt, was das im Detail heißt: „Angefangen haben wir mit dem Rumpf, an dem aber der Bug gefehlt hat. Wir haben die Spanten und den Kiel neu gemacht, den Bug neu definiert, dann alle Bodenwrangen, den Spiegel, das Kielschwein und den Vorsteven neu gemacht.“ Die ursprüngliche Idee sei es eigentlich gewesen, die Planken zu erhalten, schiebt Clara ein. Aber das Holz sei letztendlich doch nicht brauchbar gewesen. Am Ende werde im Grunde alles neu sein außer das Spiegelknie, der Mast und das Schwert, so Paul weiter. „Demnächst schließen wir das Schleifen innen ab, sodass das ganze überschüssige Epoxy draußen ist. Und dann werden Schwertkasten und Bodenbretter gebaut, bis es dann losgeht mit dem Deck.“
Weit über 1000 Stunden haben sie bereits jetzt in das Projekt gesteckt. Etwa 60 bis 70 Prozent der Arbeiten sind nach eigener Schätzung geschafft. Von Überdruss ist jedoch keine Spur. Auch weil die Azubis im dritten und vierten Lehrjahr das Projekt als große Chance begreifen, sich neben der Arbeit in der Werft weiterzubilden. Bei der Restauration der „Alten Liebe“ können sie ihre ganz eigenen Vorstellungen verwirklichen und Neues ausprobieren.
Da sie ihr Lernprojekt ganz allein stemmen, ist fast jeder Schritt eine große Herausforderung. „Wir haben ja zum Beispiel noch nie aus dem Nichts heraus ein Deck konstruiert“, so der 23-jährige Paul. Was helfe, sei der Schulstoff, Bücher und Gespräche mit Kollegen und Vorgesetzten. Eine genaue zeitliche Planung ist angesichts der vielen Unsicherheiten aber fast unmöglich. Das wissen die angehenden Bootsbauer. Trotzdem haben sie sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Damit sie pünktlich zu Pauls Gesellenprüfung Anfang Januar an der Berufsschule in Travemünde sind, wollen sie nach Weihnachten aufbrechen. „Die ganzen Azubis im Norden kommen immer mit ihrem Bötle zur Schule und wir haben gedacht: Das können wir auch. Wir kriegen das auch über den Wasserweg hin“, erklärt Clara. Die Idee, die ursprünglich aus einem Spaß heraus entstand, ließ sie nicht mehr los. „Wir hoffen, dass es der krönende Abschluss wird, das Boot zu Pauls Prüfung hochzusegeln.“ Einen Plan B gibts zur Not aber auch: Sollte die Jolle bis Ende Dezember doch nicht fertig werden, gehts einfach drei Monate später gen Norden – pünktlich zum Start von Claras nächstem Schulblock im April.
Die Route für die Tour wäre in beiden Fällen dieselbe. Um die 1300 Kilometer müssen sie zurücklegen. Eingewassert werden soll in der Werft in Friedrichshafen. Nach der Überquerung des Bodensees wollen Clara und Paul dann den Rhein bis nach Stein am Rhein hochfahren, wo wieder ausgewassert werden muss. Hinter dem Rheinfall, in Schaffhausen, soll es zurück ins Wasser gehen. Auf den Rhein folgt ab Duisburg der Rhein-Herne-Kanal, irgendwann der Dortmund-Ems-Kanal, der Mittellandkanal, der Elbe-Seitenkanal, der Elbe-Lübeck-Kanal und schließlich die Trave.
Auch unterwegs wird es wieder „Learning by Doing“ für die Azubis heißen. Die nötigen Patente haben die beiden zwar bereits in der Tasche, dennoch ist die Fahrt quer durchs Land in vielerlei Hinsicht Neuland. Während sich Pauls Erfahrung an Bord von Booten grundsätzlich in Grenzen hält, sammelte Clara vor allem Meilen auf großen Traditionsseglern. „Das ist aber ein ganz anderer Schnack als das Jollen- und Binnensegeln“, weiß sie. Für die beiden ist daher klar: Sie segeln und motoren im Zweifel lieber gemütlich. „Wir tasten uns da ganz langsam ran, bevor wir nachher Mist bauen“, sagt Clara. Respekt hat sie besonders vor dem vielen Schleusen und den großen Pötten. „Ich kenne das aus dem Nord-Ostsee-Kanal, dass man den Sog da nicht unterschätzen darf.“ Doch auch die Temperaturen sind ein Sorgenfaktor. Schließlich wollen die beiden knapp zwei Wochen im tiefsten Winter unterwegs sein – mit einer offenen Jolle, auf der unter einem Zelt auch geschlafen werden soll.
Optimal ausgerüstet sind sie dafür noch lange nicht. Deshalb hoffen sie nun auf ein bisschen Hilfe aus der Branche. Bereits in den vergangenen Monaten konnten sie wichtige Unterstützer für das Projekt „Alte Liebe“ gewinnen. Anders hätte es angesichts der knappen Azubi-Kasse wohl auch kaum funktioniert. Neben der Michelsen Werft, die ihre Halle und Maschinen zur Verfügung stellt, holten die ehrgeizigen Lehrlinge unter anderem die Firma von der Linden ins Boot, die Lacke und Epoxy spendete. Pfeiffer Marine sicherte Rabatte auf Beschläge zu. Und auch die Sportbootvereinigung (SBV) e.V. im Deutschen Motoryachtverband (DMYV) will helfen, wo sie kann, unter anderem auf der Reise, wenn Liegeplätze und Orte zum Aufwärmen benötigt werden. Aktuell arbeiten Clara und Paul mit Hochdruck daran, warme Schlafsäcke, Ölzeug, einen Gaskocher, einen Bootstrailer, Rettungswesten und einen Motor zu organisieren. Sollte das alles gelingen, gäbe es nur noch einen Punkt: Am liebsten würden Clara und Paul ihr Bötchen wieder mit seinen Original-Segeln ausstatten. Frühere Bilder der „Alten Liebe“ zeigen sie mit einem durchgelatteten Großsegel. „Einfach wunderschön“, schwärmt Clara. „Falls das nicht klappt, kriegen wir es auch anders hin und nähen irgendein Segel, aber unser großer Traum ist es, ihr das Original-Rigg zu verpassen. Das ist allerdings von uns allein definitiv nicht zu stemmen.“
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