Class40-Verlust der „Acrobatica“: Erst vom Frachter überfahren, dann von ihm gerettet

"Es fällt mir nicht leicht, das zu erzählen"

Der Italiener Alberto Riva erklärt, wie es zum Untergang seiner Class40 „Acrobatica“ beim Rennen Québec Saint-Malo gekommen ist. Die Crew der Rekordyacht traf ihre Landsleute um Pirelli-Skipper Ambrogio Beccaria auf den Azoren.

Die Class40-Rekordyacht Acrobatica bei harten Bedingungen. © Martina Orsini /TJV

Die Besatzung der Class40 Acrobatica, Alberto Riva, Tommaso Stella und Jean Marre erlitt vor zehn Tagen 300 Meilen nördlich der Azoreninseln Schiffbruch und wurde von einer Frachter-Crew gerettet. Wie genau es zu dem Unfall gekommen ist, war bisher nicht klar. Nun beschreibt de Skipper den Moment des Vorfalls.

„Es fällt mir nicht leicht, das jetzt zu erzählen“, sagt Alberto Riva, nachdem er auf den Azoren gelandet ist. „Wir wurden von einem starken Tiefdruckgebiet in Richtung Frankreich beschleunigt. Die Wetterbedingungen waren sehr hart. Es gab Böen mit 35 Knoten Wind, hohe Wellen und Brecher, die über das Deck schlugen. Das Boot fuhr sehr schnell, und das Leben an Bord waren wegen der ständigen Erschütterungen kompliziert. Plötzlich gab es einen Aufprall. Innerhalb weniger Minuten war ‚Acrobatica‘ komplett überflutet…

Wir hatten großes Glück, niemand wurde ernsthaft verletzt, aber für uns war es nicht mehr sicher an Bord. Wir aktivierten das EPIRB, setzten einen Notruf ab und wurden von dem Tanker Silver Ray gerettet. Der brachte uns dank einer Anfrage des MRCC (Maritime Rescue Coordination Centre) zu den Azoren, wo wir uns jetzt befinden.“

Aus diesen Worten konnte man viele Möglichkeiten entnehmen, die den Crash verursacht haben mögen. Eine Kollision mit Treibgut, oder einem Wal? Den wahren Grund lässt Riva länger im Dunkeln. „Ich verstehe die Neugier, Details zu erfahren. Und diese Zeit wird bald kommen. Aber wir müssen den Anweisungen der Behörden und Versicherungen folgen.“ Es geht offenbar um die Schuldfrage.

Der 141 Meter lange Öl-Tanker „Silver Ray“

Denn inzwischen ist längst durchgesickert, dass „der Aufprall“ seiner „Acrobatica“ am Rumpf des Frachters „Silver Ray“ erfolgte. Offenbar ist die Class40 in voller Fahrt mit ihm zusammengestoßen. Der unter liberianischer Flagge fahrende Öl-Tanker kreuzte den Weg der Class40. Wie genau es nun zu dem Zusammenstoß kommen konnte, ist dabei nicht geklärt.

Warum haben die AIS-Alarme beider Kollisionsgegner nicht funktioniert? Warum bemerkten sie sich nicht über die Radaranlagen? Der Leser mag sich erinnern. Boris Herrmann stieß auf ähnliche Weise zum Ende der Vendée Globe mit einem Fischtrawler zusammen. Übermüdung und beschädigte Technik spielte dabei eine Rolle.

Für Herrmann ging der Kontakt noch einigermaßen glimpflich aus. Eine Tragfläche wurde beschädigt, er konnte die Regatta aber beenden. Riva dagegen beklagt muss nun den Totalverlust seines Racers beklagen, der zu den schnellsten der Welt gehört.

Auch in diesem Rennen über den Atlantik lag er mit seiner Musa40 Konstruktion in aussichtsreicher Position. Aber am Ende musste er froh sein, überhaupt mit dem Leben davongekommen zu sein. Über eine Leiter konnten die Segler an der Bordwand des Tankers hochklettern. Dabei blieb ihnen kaum Zeit, ihre Habseligkeiten einzusammeln.

Auf den Azoren kauften sie in einem Secondhandladen Bekleidung ein. Für Riva ist das Unglück besonders tragisch, weil er schon bei der Transat Jacques Vabre ausgefallen war. Der hochgewettete Italiener zog sich kurz vor dem Ziel der ersten Etappe bei der Arbeit auf dem Vorschiff eine schwere Verletzung zu und hatte sich gerade erst wieder erholt.

TJV-Sieger“Pirelli“ wird auf der ersten Etappe von einer Welle erwischt. © Jean-Louis Carli / Alea

Von dem Unglück zeigte sich insbesondere Rivas Landsmann Ambrogio Beccaria beeindruckt, der seit eineinhalb Jahren mit seiner Alla Grande – Pirelli die Class40 dominiert. Zuletzt gelangen ihm mit dem Musa40 Prototypen drei Siege in Folge. Beim Saisonhöhepunkt Québec Saint-Malo wollte er die Serie fortsetzen.

Er segelte auf gleicher Höhe mit Riva und knallte mit einem Speed-Durchschnitt nahe 20 Knoten durch die Wellen und erklärt, wie es ihm dabei mit seinen beiden Teamgefährten erging: „Das Leben an Bord ist ausgesprochen ungemütlich. Man kann alles nur mit einer Hand machen, die andere dient dazu, das Gleichgewicht zu halten. Die Beine sind fast nutzlos, man lebt auf den Knien, damit man nicht bei jeder Welle stürzt.“

Richomme herzt den zweitplatzierten Italiener Ambrogio Beccaria mit „Allagrande Pirelli“ 2. bei der Route du Rhum 2022. © Alexis Courcoux / RDR2022

Er habe sich im Vollgas-Angriffsmodus befunden. „Dann die Nachricht, die mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Acrobatica ist zerstört! Tränen vernebeln mir die Sicht. Ich kann kaum atmen. Eine schreckliche Angst ergreift mich. Ich dachte, es geht doch nur um ein Spiel. Solche Dinge stehen nur in den Büchern. Ich war nicht bereit für einen Schiffbruch von Alberto und seiner Mannschaft. Ich fühlte mich fast schuldig, dass es mir nicht selbst passiert ist. Wie oft bin ich schon knapp verschont geblieben?

„Alla Grande Pirelli“, das dominierende Boot des Italieners Ambrogio Beccaria beim Normandy Channel Race 2023. © Jean-Marie LIOT Images #CICINCR2023

Vielleicht ist das nun das Ende meiner arroganten und sorglosen Art zu segeln. Bisher habe ich mich immer unsterblich gefühlt. Aber nun hat mir dieses Unglück die Augen geöffnet. Das kann jedem passieren, selbst den besten Seglern. Und Albi ist der beste Segler, den ich kenne. Wenn ich eine Weltumsegelung, eine Atlantiküberquerung oder eine Überquerung des Südpolarmeers machen müsste, wäre er der erste, den ich anrufen würde.

Ein Teil von mir wollte immer glauben, dass es solche Gefahren nicht gibt, nicht zuletzt, um die Menschen, die man liebt, an Land nicht noch mehr zu belasten. Schon der Abschied fällt schwer, und man muss zugeben, dass es gefährlich ist.“

Beccaria ist nach der Nachricht von Rivas Unglück lange geschockt. „Die Angst lässt nicht nach. Ich will zwei Stunden schlafen, um mich zu beruhigen, Julien und Bastian verstehen, dass ich einen Moment brauche, um mich zu erholen. Aber ich habe nicht geschlafen. Immer wenn ich an den Schiffbruch denke, bricht meine Stimme und meine Augen füllen sich. Zwar geht es Albi und den Jungs gut, und das ist das Wichtigste, aber für mich wird das Segeln nicht mehr wie früher sein, es wird nicht mehr so leicht sein.“

24 Stunden lang dauert dieser Zustand für ihn auf See an. Irgendwann schläft er doch ein. Dann weckt ihn sein Mitsegler. Die Nachricht: Das Vorschiff füllt sich mit Wasser. Ein Riss in der Crashbox hat ein Leck verursacht. 200 Liter strömen in den Bug.

Die beiden italienischen Skipper Beccaria (3.v.r.) und Riva (2.v.r.) stranden nahezu gleichzeitig mit ihren Crews auf den Azoren.

„Dieser Riss hätte mir früher den Magen umgedreht, nach all der Mühe und Energie, die wir in den Versuch gesteckt haben, dieses Rennen zu gewinnen… wie unfair! Ich bin erst ein einziges Mal aus einer Regatta ausgeschieden. Damals schmerzte dieses Gefühl der Ungerechtigkeit in mir. Doch dieses Mal ist dieser Riss fast befreiend. Eine Regatta zu beenden, bei der Albi und seine Crew Schiffbruch erlitten haben, erschien mir ungerecht.“

Ob es Schicksal ist? Nun muss auch Beccaria mit dem Schaden abdrehen, um sein Boot zu retten. Er steuert die Insel Faial auf den Azoren an. Nahezu gleichzeitig verlässt dort Riva mit seiner die Crew den Tanker, der sie umgefahren und gerettet hat. Ob es ihnen gelingt einander zu trösten?

Carsten Kemmling

Der Mann von der vordersten Front. Mehr zu ihm findest Du hier.

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