Knarrblog Rolex Baltic Week: 4. Rennen, Starkwind, Crash-Jibe, Protest

Ruhe nach dem Sturm

Ruhe nach dem Sturm. Sonnenuntergang vor dem Bug der "Vanity" © Marina Könitzer

28 Knoten im Groß. Überdruck. Der Baum steigt. Beängstigend! Zu langer Baum, zu schmales Schiff. Zwölfer haben keine Niederholer. Verdrehtes Achterliek, Luvkrängung, voller Druck im Spi, maximale Rumpfgeschwindigkeit, das Wasser am Bug schäumt..

Es geht um das vierte Rennen der Rolex Baltic Week. Wilfried gibt Gegenruder. Keine Chance gegen diese Urgewalt. „Trivia“ ist nur mit den Segeln auf Kurs zu halten. Die Crash-Halse scheint vorprogrammiert. Nicht auszudenken was bei diesen Kräften passiert. Andreas kurbelt wie irre an der Spischot. Dem Luvimpuls entgegen.

„Anitra“ liegt voraus. Mit flatterndem Spi versuchen sie gegen den Angriff von „Vanity“ abzuwehren. Nach der Halse fetzt ihr Spi unkontrolliert über das Deck. Sie würden uns nicht ausweichen können.

Hübscher Gegner. Die "Vanity" liegt friedlich vor dem Sonnenuntergang. Als könnte sie niemandem etwas zuleide tun 🙂 © Marina Könitzer

„Halse!“, höre ich mich brüllen. Die Geräusche sind so laut. Es muss schnell gehen. Das Schiff ist wieder einigermaßen unter Kontrolle. Wir müssen rum, um uns nach Luv zu legen.

Das Groß muss rein. Zu dritt reißen wir an der Schot. Hoffnungslos. Dabei lenken drei Blöcke am Baum die Schot um. Eigentlich eine mächtige Übersetzung. Nichts geht. Trotzdem steuert Wilfried in die Kurve. Er muss. Das Achterliek winkt. Thoralf verzieht sich zum Heck. Ich ducke mich tief bei Wilfried in die Steuermulde, die Arme über dem Kopf verschränkt.

Die sechs daumendicken Schotparten schleudern mit dem Baum über das Achterschiff. Sollten sie nur ein Ohrläppchen erwischen, mag man aus dem Schiff gewischt werden.

Der Spi flattert ohrenbetäubend. Wilfried musste „Trivia“ stark überrotieren lassen, um das Groß zu schiften. Der nächste Kurs ist zu spitz, um das Tuch stehen zu lassen.

Die Zwölfer-Flotte im Flensburger Segel-Club. © Marina Könitzer

„Anitra“ luvt in Lee, weil „Vanity“ luvt. Ein sportliches Manöver. Wir müssen ausweichen. Laute Schreie, klappernde Schoten, reißendes Tuch. „Anitra“ killt ihre Blase. Kaum eine Chance, das weiße Tuch zu kontrollieren.

Wilfried dreht den Lenker nach Backbord. Langsam rutschen wir über die schöne, schnelle Holzyacht vom Bodensee. Aus dem Dreikampf wird ein Zweikampf mit „Vanity“. Die weiße Yacht nähert sich auf spitzem Kurs von Lee. Spibaum am Vorstag, schäumender Bug. Andreas kurbelt wieder in Lee an der Spischot. Er ist der Mann, der im Moment den Ausgang des Duells bestimmt.

Sobald sich der Spi füllt, spenden wir Abdeckung. Es sieht aus, als würden wir auf diesem Vorwind-Sprint zum Ziel, von vier auf zwei vorpreschen können. Der blaue Zwölfer „Sphinx“ sichert voraus einen starken Laufsieg. Dabei killt er noch auf der Linie einen Spi.

Schöne Stimmung. Die untergehende Sonne hüllt die Klassiker in ein warmes Licht. © Marina Könitzer

Der Zweikampf mit „Vanity“ ist beinhart. Ein irres Bild, wie sich die beiden 30 Tonnen schweren Bleitransporter mit 16 kämpfenden, pumpenden, astenden Menschen beharken. Die Intensität, die Kraft, ist für jeden an Bord spürbar.

Ein unbedachter Handgriff, eine falsche Bewegung und Bad, Verletzung, Materialbruch sind vorprogrammiert. Adrenalin pulsiert durch die Adern. Die Schreie werden spitzer, die Boot zu Boot Kommunikation wird unsauberer, ungepflegter, unflätiger. Eigentlich ein normaler Vorgang. Aber bei diesen Schiffen schwingt auch ein wenig Angst mit. Angst vor dem Chaos-Manöver, das jede Menge Kleinholz verursacht.

Wir schießen fast am Ziel vorbei. Der Spi muss runter. Halse ohne Blase. Wieder rauscht der Oberschenkel dicke massive Holz-Trumm auf die andere Seite.

„Trivia“ holt weit über. Der Mast ächzt angestrengt. Irgendetwas stimmt nicht. Die Nock hängt im Achterstag. Die extreme Rotationsgeschwindigkeit hat den Baum höher steigen lassen als sonst. Unglaublich, dass der Mast hält.

Mit dem Groß im Stag humpeln wir über die Linie, schießen in den Wind und lösen die Nock. Beängstigend!

Ein wahnsinniges Rennen. Die Aufregung setzt sich bis in den Protestraum fort. Die Gemüter sind noch länger in Wallung. Die Jury erkennt keine Regelverletzungen. Damit ist die Sache geklärt. Aber die Ruhe nach dem Sturm will sich erst spät einstellen.

Wir liegen weiterhin drei Punkte hinter „Vanity“ auf Platz zwei. Heute fiel ein Tag zum Aufholen aus wegen Starkwind. Aber es bleiben noch zwei.

 

Carsten Kemmling

Der Mann von der vordersten Front. Mehr zu ihm findest Du hier.

1 Kommentare zu „Knarrblog Rolex Baltic Week: 4. Rennen, Starkwind, Crash-Jibe, Protest“

  1. Mirko sagt:

    Beim Lesen fühle ich mich, als wäre ich dabei. Klasse geschrieben, unglaublich spannend. Vielen Dank für diesen Bericht und die gesamte Seite – weiter so!!

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