Kieler Woche weit weit weg

Selbstversuch. Wie sexy ist die Seebahn?

Nach dem Zieldurchgang. Skipper Rotermund rollt die Protestflagge wieder ein.

Die 3DL Fock wird schnell weggepackt um sie nicht unnötig der Sonne auszusetzen.

Vergütungssegeln ist eigentlich überhaupt nicht mein Ding. Es wird versucht, die Leistungsfähigkeit verschiedener Boote theoretisch zu berechnen, um eine Aussage über die sportlich seglerische Leistung der Crew zu erhalten. Wenn man das aber wirklich wollte, dann würde man doch mit gleichen Booten gegeneinander segeln. Oder nicht? Wäre doch logisch. Vergütungssegelei-Verfechter preisen aber auch die Herausforderung, mit den Rennwerten herumzufummeln, um am Ende ein gut vermessenes Boot zu haben. Da mag etwas dran sein. Das erfordert techisches Kow How.

Das kann zwar unter Umständen heißen, ein Boot künstlich langsamer zu machen. Etwa durch einen kleineren Spi. Der Wert mag so weit verändert werden, dass es von der Gruppe, in der es immer als langsamstes Boot permanent in den Abwinden der Großen segelt, eine Gewichtsklasse tiefer rutscht, wo es das schnellste ist und selber Windschatten spendet. Ist doch irre! Genauso sie die Tatsache, dass drei IMX 37 mitsegeln, aber alle einen anderen Rennwert haben. Sie müssen einander jeweils Zeit vergüten. Kann das Spaß machen? Kann man das Ernst nehmen?

Ich teste den Fun Faktor in Kiel beim ORC Kiel Cup. Immerhin geht es um die Deutsche Meisterschaft im Seesegeln. Und ich mitten drin. An Bord der neuen Dehler 35 „Hochwürden“. Ungläubig nehme ich wahr, dass der Wettfahrtleiter trotz eines Meeno Schrader Wetterberichtes, der absolute Flaute prophezeit, die Yachten auf die Bahn schickt. Die Olympioniken warten an Land, nehmen ihr zweites Frühstück ein, chillen beim Cappu in der Sonne, während unsereins der schwulen pinken Bahn Alpha Flagge auf dem Startschiff folgt. Kurs Stollerngrund, Kiel Leuchtturm, Horizont.

Dort angekommen stellen wir überrascht fest, dass der Wind fehlt – Meeno hat es ja gesagt – und motoren dann nach einiger Zeit Richtung Wendtorf zur Bahn Foxtrott. Dort soll Wind gesichtet worden sein. Aber nach zwei Stunden hin- und her-Motorerei muss man schon einmal festhalten, dass das Warten auf einer 35 Fuß Yacht auf dem Wasser nicht so nervig ist wie im juckenden Neoprenaunzug auf einer Jolle. Vielleicht soll mit diesen Motor-Manövern der Wohnwert der Rennyachten dokumentiert werden.

Tatsächlich kann man wie auf einer Zugfahrt Geschäfte erledigen, Telefongespräche führen, Emails abholen. Eine nette Einrichtung ist auch der Einsatz des Gäste Dampfers „Hamburg“. Er lässt sich als mobiles Drive In missbrauchen. Yachten gehen längsseits, geben ihre Pommes-rot/weiß-mit-Würstchen-Bestellung auf, bezahlen ordnungsgemäß und ziehen wieder ab. Auf den Olympiabahnen gibt es das nicht. Dort reichen die Trainer isotonische Getränke und Power-Riegel.

Man kann auch herrlich dummschwätzen auf so einem 35 Fußer. Wenn sieben Männer unter sich sind, wird viel Schlaues aber auch eine Menge Blödsinn geredet, gespickt mit politisch unkorrekten Äußerungen und – sehr selten – Passagen, die von Außenstehenden als frauenfeindlich angesehen werden mögen. Diese auffälligen Sequenzen vermehren sich mit der Dauer der Wartezeit. Das mag sich für sensible Ohren nicht schön anhören, aber es entbehrt nicht eines gewissen Fun-Faktors.

Der Startschuss kommt plötzlich und unerwartet. Kurzer Kurs, schwacher Wind. Es ist schwer, schnell vom Schnack- in den Renn-Modus zu wechseln. Sie Sherry Flasche wird verstaut. Phillip gelingt ein schöner Start am Schiff. Zwei Gegner in Luv werden völlig zurecht aus dem Weg gebrüllt. In Lee brüllt ein Gegner seinerseits in unsere Richtung und wird später an Land von unserer Unschuld, Reue oder was auch immer nötig ist überzeugt. Wir zuppeln die Protestflagge heraus für den Fall aller Fälle. Und los geht´s.

Ein Schlag nach rechts, guter Druck, zweiter an der Luvtonne, die X 37 auf der letzten Vorwind überholt, eine andere gerade noch auf der Ziellinie in Schach gehalten, schwupps gehen wir als erstes Boot von 24 Konkurrenten über die Linie. Auch berechnet liegen wir vorne. Das ist der Beweis. Vergütungssegeln kann richtig Spaß machen. Es bewertet unglaublich exakt die seglerische Leistung. Das ist meine feste Überzeugung. So lange wir vorne liegen…

Carsten Kemmling

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