Langfahrt-Traum mit Fragezeichen: Zweifel nagen nach Kenterung der “Flow”

"Ich hatte Angst, zitterte und weinte..."

Anne – Sicht von Innen:

Das Schiff lag platt auf dem Wasser. Die schwere schwarze Kameratasche ist von Backbord nach Steuerbord auf die obere Koje geflogen. © www.flowglobal.com

Marcus stand am Steuer, weil ein Seil der Windfahnensteuerung gerissen war. Das sollte repariert werden. Doch bevor ich rausging, wollte ich noch schnell etwas frühstücken. Am Niedergang waren die Steckschotts drin und die Luke war einen Spalt offen, damit wenigstens etwas Luft reinkam. Plötzlich stürzte durch diesen kleinen Spalt eine Ladung Wasser!

Ich war tropfnass von Kopf bis Fuss und sauer, dass das Brot nass und nun alles salzig war. Und das IM Schiff! Ein Alptraum. Gerade als ich mich von diesem Schreck wieder einigermaßen erholt hatte, rief Marcus von draußen ganz lange „Aaaaaaachtung“.

Ich sah durch Luk und Fenster nur blaues Wasser. Dann kam schon der nächste Wasserschwall herein und die flow legte sich auf die Steuerbordseite. Ich hielt mich an der Stange in der Pantry fest und schlug mit meinem Kopf gegen die Holzleiste unterhalb der Fenster.

Anne ist geschockt und liegt mit verbundenem Kopf auf dem Kajütboden. © www.flowglobal.com

Ich weiß nicht, wie lange ich da so klemmte. Endlich richtete sich die flow wieder auf. Ich spürte eine Beule am Kopf. Dazu kam, dass der Bilgenpumpen-Alarm (Zeichen für Wasser im Schiff) mit seinem durchdringen Ton anging und diese Situation noch bedrohlicher machte.

Um mich herum war Chaos: das Bodenbrett der Bilge am Niedergang war samt Teppich hochgerissen und alle Lebensmittel waren herausgeschleudert worden. Mittendrin lagen Bücher aus der Navigationsecke gegenüber und sogar einige Dinge aus dem Navigationstisch, dessen Tischplatte durch die starke Schräglage hochgeklappt sein muss.

Der neue Außenborder ist von der Halterung gerissen. Der Gesamtschaden nach der Kenterung beträgt rund 2000 Euro. © www.flowglobal.com

Nach einer Ewigkeit rief Marcus: „Ist alles gut bei Dir?“ Ich wollte ihm auch immer etwas zurufen, aber meine Stimme versagte und die Treppe war fast unerreichbar durch alles, was davor lag.

Mir wurde immer klarer, dass wir gekentert waren und die Segel platt auf dem Wasser gelegen haben müssen. Ich fand immer mehr Dinge in der Pantry, die gerade gegenüber an Backbord ihren Platz hatten. Ganz sicher war ich mir, als ich alle Sachen in der oberen Steuerbordkoje sah, die zuvor gegenüber an Backbord lagen. Auch die schwere Kameratasche. Als ob sie jemand direkt von links nach rechts geräumt hätte.

Bei diesem Anblick wurde mir einfach nur schlecht und der erst beste Kochtopf musste herhalten. Ich hatte Angst, zitterte und weinte. Marcus kam in diesem Moment nach Unten und hielt mich ganz fest Er war genauso schockiert. Etwas später verband er meinen Kopf. Dann lag ich stundenlang eingeklemmt zwischen Motorblock und Backbordkoje.

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Carsten Kemmling

Der Mann von der vordersten Front. Mehr zu ihm findest Du hier.

3 Kommentare zu „Langfahrt-Traum mit Fragezeichen: Zweifel nagen nach Kenterung der “Flow”“

  1. avatar Jürgen Brandmüller sagt:

    Ein Mr.Perfekt würde erst gar keine Segeljacht fahren wollen.Ich denke,neben dem Segeln muss man ja auch noch wohnen und leben können.! Also,weiter Kopf hoch und weiter gehts,bei Bobby Schenk sieht es an Bord auch nicht so aufgeräumt aus wie in einem Zahnlabor.!

  2. avatar Grenå sagt:

    Es ist immer das gleiche Szenario, hier nicht anders als bei Rollo Gebhardts Kenterung mit seiner HR 42 vor über 30 Jahren oder bei den Roevers letztes Jahr vor Afrika; totales Chaos unter Deck, Verletzungen, verstopfte Pumpen, usw.. Warum werden Polster, Ausrüstung und vor allem Bodenbretter nicht ordentlich gesichert? Und an Deck das Gleiche, jede Menge beschädigte oder verlorene Ausrüstung. Warum werden Außenborder, Kanister, Solarzellen, Instrumententräger, Biminis usw. schlecht gesichert spazieren gefahren? Man hat es doch schon hundert Mal von anderen gelesen.

    • avatar Torsten sagt:

      Sicher liest man immer wieder solche Kenter-Geschichten. Nur: Kann man wirklich alle die Teile, die Du gerade aufgezählt hast, ernsthaft sichern – und das Boot gleichzeitig noch mit erträglichem Aufwand bewohnen, ohne ständig irgendetwas los- und wieder festzulaschen? Mich würde interessieren, wie Du das schaffst. Ich würde auch behaupten, dass man niemals alle losen Teile sichern kann. Und selbst wenn das ginge, hätte man bei einer ruppigen Kenterung noch eine Verletzungsgefahr. Ich wünsche den beiden jedenfalls gute Erholung – und dass sie irgendwann wieder segeln, wo sie wollen.

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