Abenteuer: Bootsbau-Azubis wollen mit eigens restaurierter Jolle Deutschland durchqueren

In den Startlöchern

Clara Böckenhoff und Paul Winter haben es fast geschafft. In wenigen Tagen wollen die beiden angehenden Bootsbauer ihre 68 Jahre alte, liebevoll restaurierte H-Jolle tatsächlich zu Wasser lassen und zu ihrem mutigen Winter-Törn quer durch Deutschland aufbrechen.

Paul Winter und Clara Böckenhoff beim Ausrüstungstest © Clara Böckenhoff/Paul Winter

So langsam werde es ernst, erzählen die beiden Bootsbaulehrlinge der Michelsen Werft in Friedrichshafen in einer kurzen Arbeitspause merklich aufgeregt und gleichzeitig hochzufrieden. Aber auch die Müdigkeit, die ihnen nach monatelangen Restaurationsarbeiten dann doch in den Knochen steckt, ist nicht zu überhören. Kein Wunder: Immerhin fast 20 Stunden täglich standen sie zuletzt in der Werkstatt, um ihre einstige „Schnapsidee“ nun tatsächlich in die Tat umsetzen zu können.

Denn mitten im Winter wollen Clara und Paul es ihren Mitschülern aus dem hohen Norden gleichtun und ihren Schulweg bis zur Berufsschule in Travemünde endlich auch einmal auf eigenem Kiel zurücklegen. Dass dieser mit stolzen 1200 Kilometern ungemein länger ist als jener der anderen Auszubildenden schreckte sie nicht ab – im Gegenteil. Genauso wenig wie der erste Teil ihrer Reise, die bereits vor gut einem Jahr an Land ihren Anfang nahm, als die ambitionierten Azubis ihr eigenes Bötchen, eine morsche H-Jolle aus dem Jahr 1953, adoptierten und zu restaurieren begannen. Eine Mammutaufgabe, die sie in ihrer Freizeit auf eigene Faust bewältigen wollten – ganz nach dem Motto „Learning by Doing“.

© Clara Böckenhoff/Paul Winter

Noch vor zwei Monaten (SR berichtete) war es offen, ob ihr sportlicher Zeitplan aufgehen würde, sich bereits zwischen Weihnachten und Silvester, kurz vor Pauls Gesellenprüfung, in Richtung Ostsee aufzumachen. Doch nun stehen die Zeichen tatsächlich auf Aufbruch. Aus der schrottreifen „Alten Liebe“ ist ein Fast-Neubau geworden, der sich sehen lassen kann.

Gelungen ist das zuallererst, weil Clara und Paul nach Feierabend und am Wochenende alles gaben für ihr Lernprojekt. Nicht jeder Schritt klappte allerdings auf Anhieb. „Wir hatten zum Beispiel noch nie ein Deck konstruiert und auch kein altes da, das wir kopieren konnten. Wir mussten also gucken, wie andere H-Jollen aussehen, wie man so ein Deck aufbaut, schauen, was die Klassenvorschriften sagen und wie die Abstände und Maße sein müssen. Das war richtig spannend und lehrreich“, erklärt Clara. Der erste Versuch sei gleich schiefgelaufen. „Die Decksbalken haben wir letztlich zweimal machen müssen – aber jetzt wissen wir wenigstens wirklich, wie es funktioniert.“ Auch an anderer Stelle waren die beiden Azubis gezwungen, gründlich zu überlegen, umzudisponieren und viel auszuprobieren. Doch am Ende habe alles richtig gut zusammengepasst, erzählt Clara sichtlich stolz. „Es war so superschön zu sehen, wie das Boot zum Boot wird.“

Neben kleinen Rückschlägen gab es zudem auch positive Überraschungen. So stießen die angehenden Bootsbauer im Winterlager doch noch auf den Großbaum der „Alten Liebe“. „Ein Originalteil mehr, was wir nicht neu machen mussten“, berichtet Paul.

Zeitlich eng wird es nun vor allem noch bei den letzten Lackierarbeiten und der Fertigstellung des Vorsegels. „Wir kommen wahrscheinlich nicht so hin, dass wir alles endlackieren können, weil der Lack immer mehrere Tage lang aushärten muss“, so Clara. Stoppen soll sie das allerdings nicht. An der einen oder anderen Stelle müsse eben einfach erst einmal die Grundierung genügen. Endlackiert werde dort dann später. Ähnlich sieht auch die Einstellung in puncto Vorsegel aus, um das sich die beiden laut Clara im ganzen Trubel „zugegebenermaßen nicht ganz rechtzeitig gekümmert“ hätten. „Im Zweifel fahren wir halt ohne Vorsegel oder schauen, was wir noch im Fundus finden“, ergänzt Paul.

© Clara Böckenhoff/Paul Winter

Dass die beiden Anfang 20-Jährigen ihr Projekt verwirklichen können, haben sie aber nicht zuletzt auch zahlreichen Unterstützern zu verdanken, die sie für ihr Vorhaben gewinnen konnten. „Wie viel Support wir im Laufe des ganzen Baus bekommen haben, ist einfach grandios“, sagt Clara. Angefangen mit dem eigenen Arbeitgeber, der Michelsen Werft, die Halle und Maschinen zur Verfügung stellte, bei der Bestellung von Material half und im Endspurt den nötigen Urlaub genehmigte, über fleißige private Helfer wie Freunde und Kollegen bis hin zur Firma von der Linden, die die Lehrlinge beriet und zusätzlich Beschichtungen, Lacke und Epoxy spendete. Eine Rollanlage konnten die jungen Segler über die Firma Bartels zu einem unschlagbaren Preis ergattern, Beschläge und Co. dank der finanziellen Unterstützung der Sportbootvereinigung e.V. (SBV) im Deutschen Motoryachtverband (DMYV) anschaffen.

Doch auch in Sachen Ausrüstung und Segel, wo die Azubis angesichts ihrer eher bescheidenen finanziellen Mittel dringend auf weitere Hilfe angewiesen waren, hat sich in den vergangenen Wochen endlich etwas getan. Rettungswestenspezialist Secumar schickte zwei Auftriebshilfen sowie zwei 150N-Rettungswesten nach Friedrichshafen und der britische Hersteller Gill schnürte ein großzügiges Zubehör- und Kleidungspaket im Wert von mehreren Tausend Euro, das Trockenanzüge, Thermounterwäsche, mehrere Jacken und weitere dringend benötigte Dinge für den Wintertörn enthält. Die Segelmacherei Clownsails rief kurzerhand sogar ein eigenes Azubi-Projekt ins Leben und ließ ihre Lehrlinge die Segel für die „Alte Liebe“ aus ebenfalls kostenlos zur Verfügung gestellten Segeltuchen von Dimension-Polyant herstellen.

© Clara Böckenhoff/Paul Winter

Neben den fordernden Restaurierungsarbeiten lief in den letzten Wochen zusätzlich die Törnplanung auf Hochtouren. Denn obwohl die Strecke für die Tour vom Bodensee bis nach Travemünde, die über den Rhein, den Rhein-Herne-Kanal, Dortmund-Ems-Kanal, Mittellandkanal, Elbe-Seitenkanal, Elbe-Lübeck-Kanal und die Trave führen soll, bereits feststand, gab es noch einiges zu tun. Hier kam erneut der DMYV ins Spiel, der umfassende Planungshilfe bot, logistische Tipps im Hinblick auf Tankmöglichkeiten, Häfen und Ähnliches gab sowie Ansprechpartner in den Landesverbänden vermittelte, die den beiden bei Bedarf auch nach dem Start unter die Arme greifen können. „Diese riesige Hilfe, die wir auch in diesem Bereich hatten und haben, ist unheimlich viel wert und macht das Ganze für uns so viel einfacher“, weiß Clara.

Spätestens seit der Rücksprache mit den Experten ist den beiden auch klar, dass es nahezu unmöglich ist, die Strecke quer durchs Land in nicht einmal zwei Wochen zurückzulegen, um spätestens am 10. Januar pünktlich zum Start von Pauls Gesellenprüfung mit dem Boot an der Ostsee anzukommen. Ihr neuer Plan sieht deshalb inzwischen wie folgt aus: Gefahren werden soll erst einmal, so weit es geht. Fortsetzen könnten sie ihre Tour dann ja einfach kurz vor dem Beginn von Claras nächstem Schulblock Anfang April, so die beiden Azubis. „Dann ist es auch wärmer“, sagt Clara lachend und erzählt ganz nebenbei, dass sie noch immer an ihrem Vorhaben festhalten, überwiegend an Bord zu nächtigen – unter einer Zeltplane in Expeditionsschlafsäcken.

© Clara Böckenhoff/Paul Winter

Dass die Experten vom DMYV zu guter Letzt noch eine Warnung aussprachen, nehmen Clara und Paul ernst, auch wenn es sie nicht davon abhält, aufzubrechen: „Wir wurden deutlich darauf hingewiesen, dass es wenig Sinn macht, im Januar zu fahren und dass das Ganze ein risikoreiches Unterfangen ist – vor allem angesichts unserer fehlenden Erfahrung auf Binnengewässern“, fasst Paul zusammen. Deshalb sei es ihnen besonders wichtig, Grenzen zu kennen. „Auch aus diesem Grund ist es Gold wert, solche Partner wie den Motoryachtverband zu haben, die uns sagen: ‚Das geht gar nicht. Das solltet ihr auf jeden Fall vermeiden und so weiter.‘“ Clara ergänzt: „Wir werden die Tour zwar unternehmen und sind richtig Feuer und Flamme, aber wir müssen es nicht darauf ankommen lassen und unser Leben aufs Spiel setzen, indem wir zum Beispiel bei Starknebel, Gewitterböen oder Eistreiben über den Rhein heizen, um rechtzeitig in Travemünde anzukommen. Das sind nicht unsere Ambitionen. Selbst mit allem großen Wollen, sind wir ja nicht stärker als Naturgewalten.“

 

6 Kommentare zu „Abenteuer: Bootsbau-Azubis wollen mit eigens restaurierter Jolle Deutschland durchqueren“

  1. avatar Kai Schäfer sagt:

    Ist Eure “neue” H-Jolle schon getauft? Ihr kommt auf Eurem Berufsschulgewässer Trave in Lübeck-Schlutup an der Fischerkirche von 1436 vorbei. Pastor Kai Schäfer steht am Ufer bereit, wenn Ihr kommt… Alternativ: herzliche Einladung an Euch und alle SeglerInnen zum diesjährigen, 24. Ansegelgottesdienst der Trave SeglerInnen/MotobootfahrerInnen am Samstag, 7.5.22, 11h St. Andreas Schlutup.

  2. avatar Hartmut sagt:

    Sagt rechtzeitig Bescheid, bevor ihr in den Elbe-Lübeck-Kanal einbiegt – ich lade Euch in Lauenburg zum Essen ein. Euch weiterhin einen guten Törn und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel!

  3. avatar Henning sagt:

    Ein cooles Projekt…. im wahrsten Sinne des Wortes… es wird kalt werden. Ich freu mich für die beiden, dass die Industrie sie unterstützt. Junge Menschen mit Zielen und dem unbedingten Willen etwas in den Fokus gefasstes auch zu erreichen – auch wenn es mühsam ist – muss man doch einfach fördern, oder? Clara & Paul, ich drücke Euch die Daumen für Euren kleinen Wintertörn! Bleibt gesund und erreicht weiter Eure Ziele!

  4. avatar Sven 14Footer sagt:

    Das ist eine wirklich eine beeindruckende Aktion! Respekt für die Fertigstellung der H-Jolle in time!
    Viel Glück und Erfolg für Eure Reise quer durch Deutschland!

  5. avatar Egon Zangenberg sagt:

    Moin, da kann man euch nur ne gute Reise wünschen. Macht’s nich so wie ein gewisser Boris. Haltet großen Abstand von den Berufspötten! Tauscht euch bei nächster Gelegenheit mit einem der Schiffsführer aus. Die sind in aller Regel
    freunlich und werden euch gute Ratschläge geben. Haltet euch dran…
    Fein auch, dass Frank euch so unterstützt hat. Wir hätten unsere Clowns nicht tauschen wollen…

    Kommt gut an und danach viel Erfolg

    Egon

  6. avatar Off, Michael sagt:

    Viel Glück euch beiden.
    Habe vor zirka 5 Jahren die H 706 einem Azubi der Martin Werft gegeben zur Restauration, aber leider nichts mehr gehört davon
    Gruß Michael

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