Das Horror-Szenario kann nur zu schnell erschreckende Wahrheit werden: Mann über Bord! Beim schönsten Kaiserwetter kann es ebenso passieren wie beim harten Sturm. In jedem Fall geschieht es urplötzlich und ohne Vorwarnung. Blitzschnelles Überdenken der Situation und sofortiges Handeln sind angesagt.
Je nach Yacht, Crew, Wetterbedingungen, und natürlich je nach Zustand des Havaristen kommen verschiedene Bergungsmöglichkeiten in Frage.
Das Wichtigste ist, dass man den Über-Bord-Gefallenen nicht aus den Augen verliert! Nur zu schnell segelt die Yacht mehrere Schiffslängen weiter, bis das Malheur realisiert, und dann ein Manöver eingeleitet ist. Schon nach wenigen Augenblicken ist der kleine Menschenkopf auch in nur mäßiger Welle nicht mehr zu sehen. Also: Immer mit einem Auge den Mann/Frau im Wasser beobachten.
Dann kommt das Zweit-Wichtigste: Die MOB-Taste am GPS-Gerät drücken, um die genaue Position festzuhalten.
Das Dritte schließlich ist: Eine Verbindung zwischen Boot und Schwimmer herstellen, damit er nicht abtreibt und außer Sicht gerät. Wenn der Havarist bei Bewusstsein ist oder nur mäßig verletzt, dann wird er eigenständig eine zugeworfene Leine fangen können, und sich mit einem Palstek, den er in seiner Panik hoffentlich noch knüpfen kann, selbst sichern. Ist er dagegen ohne Bewusstsein, dann wird es schwierig.
In vielen Lehrbüchern werden Mann-über-Bord-Manöver beschrieben, bei denen versucht werden soll, die Yacht längsseits neben dem Havaristen zum Stehen zu bekommen. Ausdrücke wie „Nahezu-Aufschießer“, „Aufnehmen in Luv oder in Lee“ und „Mann gefasst“ sind Führerschein-Absolventen sicherlich noch im Ohr. Gebräuchlich sind die Q-Wende und das Münchner Manöver, das auch Quick-Stopp genannt wird.
Bei all diesen Manövern hat man stillschweigend einige Dinge vorausgesetzt: Es befinden sich noch mindestens 2 Crewmitglieder an Bord (ein Rudergänger und ein „Aufnehmer“) – das Manöver klappt (möglichst) beim ersten Mal – die Yacht verbleibt so lange neben dem Havaristen, dass der Vorschiffsmann diesen zumindest fassen und sichern kann. In der Praxis sind oft nur zwei Personen, oft ein Paar, an Bord beim Segeln, das Annäherungsmanöver klappt nicht, die Yacht stoppt zu weit weg vom Havaristen und treibt sofort wieder ab. Es kann somit keine Verbindung hergestellt werden und das Manöver muss komplett wiederholt werden.
Als zusätzliche Schwierigkeit kommt die hohe Bordwand noch hinzu: Der Schwimmer kann sich selbsttätig nirgends festhalten und der Retter muss immer mit einer Verlängerung, sprich mit Bootshaken oder Leine, versuchen zu arbeiten. Wie man sich vorstellen kann: Es bleibt spannend …
Und ist dann glücklicher Weise und häufig endlich eine Sicherungsverbindung hergestellt, stellt sich immer noch die Frage: Wie kommt der Über-Bord-Gegangene zurück an Deck?
Der Zubehörhandel bietet eine Vielzahl unterschiedlicher Bergesysteme an: Rettungsnetze, Sprossensysteme, Bergeschlingen und -segel, Taljen und Winden, um auch einen schweren Mann mit vollgesogener nasser Kleidung heben zu können, Tuchsysteme, in die der Havarist einschwimmen kann, etc. Auch hier ist immer die Schwierigkeit, dass ein einzelnes Crewmitglied sicherlich nicht problemlos Boot und Bergung gleichzeitig bewerkstelligen kann.
Hier nun eine neue Version des Mann-wieder-an-Bord-Manövers, das auch von einer Person meist angewandt werden kann: Der „Back-Lift„, der besonders bei Motorfahrt gut eingesetzt werden kann.
Dabei wird der Havarist nicht längsseits der Bordwand, sondern am Heck der Yacht aufgenommen! Die Yacht wird hierbei mit der Maschine rückwärts, also mit dem Heck voraus, und gegen den Wind an die im Wasser befindliche Person herangefahren. Der Rudergänger sieht von seiner Position ganz genau wohin und wie weit er rangieren muss, ohne, dass ein Vorschiffsmann ihn einweist. Er braucht auch keine Angst zu haben, dass der Schwimmer bei einer Segelyacht mit den Beinen in die Schraube kommen könnte, denn ein ganzes Stück vorderhalb der Heckkante befindet sich das oft recht breite Ruderblatt, das den noch viel weiter vorn liegenden Propeller recht wirksam abdeckt. Bei größeren Yachten kann der Abstand vom Heck bis zum Propeller bis zu zwei Meter betragen – da muss man schon unter die Yacht tauchen, um auch nur in die Nähe des Prop zu gelangen. Bei Motoryachten, die den Antrieb direkt am Heck haben, ist dagegen größte Vorsicht geboten! Wer vorsichtig und langsam an den Havaristen manövriert kann sich mit Motorkraft sehr gefühlvoll herantasten und Abstand halten, was bei der Längsseitsmethode mangels direkter Sicht schier unmöglich ist.
Von der Badeplattform am Heck ist es für den Helfer leicht den Schwimmer mit der Hand und ohne Hilfsmittel zu greifen, ihm eine Rettungsleine umzulegen, und ihn an Bord zu bekommen.
Falls nötig, kann eine Leine, auch eine Fockschot, wenn sie denn lang genug ist, als Bergungsleine dienen. Man kann sie über eine Fockwinsch legen und so auch eine schwere Person aus dem Wasser bekommen. Zugegeben, das ist vielleicht nicht die schonendste Möglichkeit zum Herausziehen des Havaristen, aber es ist immerhin eine Version, die schnell und von nur einer Person unternommen werden kann – ohne erst in Backskisten nach geeignetem Leinenmaterial zu fahnden. Eventuell kann diese Bergeleine noch über die Nock des Großbaumes geführt werden, so dass ein regelrechter Kranausleger entsteht und der Havarist fast senkrecht aus dem Wasser gehoben wird.
Gute Gründe, den „Back-Lift“ mal im Training auszuprobieren:
- Von einer einzigen Person an Bord anwendbar.
- Besonders bei Motorfahrt einsetzbar.
- Sehr viele der modernen Yachten verfügen über eine niedrige Badeplattform am Heck, von der aus der Retter dem Schwimmer sogar die Hand reichen kann.
- Keine Hilfsmittel wie Bootshaken etc. notwendig, um den Havaristen zu fassen.
- Eine Badeleiter wird wohl an jeder Yacht vorhanden sein, so dass ein noch aktiver Über-Bord-Gegangener aus eigener Kraft wieder auf das Schiff zurückkrabbeln kann.
- Bei leichten bis mittleren Winden können sogar die Segel in beliebiger Segelstellung gesetzt bleiben, denn moderne Yachten sind meist so stark motorisiert, dass sie ein Boot mitsamt Segeln bis zu einer bestimmten Windstärke sogar gegenan bewegen können.
- In dieser Position – Heck gegen den Wind – lässt sich eine Yacht problemlos auf der Stelle halten, was mit Bug im Wind nicht möglich ist.
Es gibt leider kein Allheilmittel, kein Standardmanöver, das immer funktioniert, um einen Über-Bord-Gegangenen wieder zurück an Deck zu bekommen. Aber das hier vorgestellte „Mann-wieder-an-Bord-Manöver“, der „Back-Lift“ – individuell an Yacht, Crew und Situation angepasst – erscheint als eine auch für kleine Crew recht sichere und praktikable Methode.
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