Die Sache mit den Sachverständigen: Wie Segler-Anwalt Ole Hecht das Thema sieht

Gibt es keine „guten“ Bootssachverständigen?

Als ich die Kolumne von Stephan Boden “Von Kaviarschnittchen rülpsen“ und die Reaktion darauf gelesen habe, ist mir ganz warm ums Herz geworden. Ich bin seit vielen Jahren als Rechtsanwalt auf den Segelsport spezialisiert und befasse mich daher beinahe täglich mit Sachverständigen und deren Gutachten. Als Organ der Rechtspflege bin ich schon fast verpflichtet, zu dem Thema beizutragen.

Vier Yachten zwischen Strande und Schilksee nach der Oktober 23-Sturmflut am Strand. © Segelreporter

Die Aussage, dass sich jeder „Sachverständiger“ nennen dürfe, ist mit Einschränkungen zu treffend. Eine staatliche Zulassung oder anerkannte Ausbildung gibt es zumindest für „Bootsgutachter“ nicht.

Wer sich als „Sachverständiger“ bezeichnet, rühmt sich aber besonderer Sachkenntnisse in einem bestimmten Fachgebiet. Wer sich solcher Fachkenntnisse rühmt, ohne sie zu haben, täuscht den Rechtsverkehr. Diese Irreführung kann sowohl strafrechtliche wie auch zivilrechtliche Konsequenzen haben. Es droht der Vorwurf des Betrugs und kann z.B. die Unwirksamkeit eines Vertrages oder eine Haftung begründen, aber auch als unlauterer Wettbewerb gelten.

Rechtlich geschützt, ist der Begriff des „öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen“. Die öffentliche Bestellung des Sachverständigen ist in der Gewerbeordnung geregelt. Öffentlich bestellt wird nur, wer im Rahmen einer Prüfung der Handelskammer nachweist, dass er über die persönliche Eignung und die Fachkenntnisse für die Tätigkeit als Sachverständiger verfügt.

Hervorzuheben ist, dass der bestellte Sachverständige zur unabhängigen, weisungsfreien, persönlichen, gewissenhaften und unparteiischen Leistungserbringung verpflichtet ist. Er muss auch über eine Haftpflichtversicherung verfügen. Im Rahmen der Vereidigung schwört der Sachverständige, dass er seine Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen erstellt.

Der Sachverständigenbeweis ist ein gesetzlich geregeltes Beweismittel. Er wird vom Gericht beauftragt, zu einem konkreten Beweisthema Stellung zu nehmen. Er unterliegt bei seiner Stellungnahme strengen Regeln, auf deren Einhaltung nicht nur das Gericht, sondern auch zwei zähnefletschende, interessengesteuerte Rechtsanwälte achten. Neben den Fachkenntnissen benötigt der Sachverständige daher auch Kenntnis dieser prozessualen Regeln.

Wenn er sich z.B. über das eigentliche Beweisthema hinaus zwar neutral äußert, aber dabei einer Partei neue Argumente liefert, droht umgehend ein Befangenheitsantrag. Bei einem begründeten Befangenheitsantrag muss ein neuer Sachverständiger beauftragt werden, was leicht zu einer Verzögerung von einem Jahr führen kann. Einen „guten“ Gerichtssachverständiger macht daher aus, dass er nicht nur inhaltlich qualifiziert ist, sondern auch den prozessualen Anforderungen standhält.

Anzumerken ist noch, dass Gerichte auch nicht öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige beauftragen dürfen, was insbesondere in Süddeutschland mangels bestellter Sachverständiger nicht selten geschieht und zu den oben genannten prozessualen Problemen führt.

Ein weiteres spezielles Problem bei der Auswahl des geeigneten Bootsgutachter ist, dass Gerichte nicht zwischen „Schifffahrt“ und „Sportbooten“ unterscheiden. Gerichte suchen (oder lassen von der Handelskammer suchen) die Sachverständige aus dembundesweiten Verzeichnis der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen der Handelskammern aus. Nicht selten wird dann ein Sachverständiger aus der Kategorie „Berufsschifffahrt“ ausgesucht.

Eine gute Überleitung zu der außergerichtlichen Tätigkeit von Sachverständigen ist der Hinweis, dass der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige auch bei ihr zur Unparteilichkeit verpflichtet ist. Einige Sachverständige lassen sich aus diesem Grund nicht bestellen, da sie sich die Möglichkeit der Erstellung eines parteiischen Gutachtens nicht nehmen lassen wollen, was ausdrücklich nichts Anrüchiges hat, da bei jeder Bewertung ein Spielraum besteht.

Außergerichtlich beraten Sachverständige im Rahmen des Erwerbes oder Baus eines Segelbootes. Sie erstellen Wertgutachten, überprüfen den Zustand der Boote vor Erwerb und vertreten den Eigner technisch gegenüber der Werft während des Baus/der Reparatur.

Daneben werden sie im Rahmen von zivilrechtlichen Auseinandersetzungen von Parteien beauftragt. Ihre Gutachten dienen dabei nicht als Beweis im obigen Sinne, sondern liefern ihren Auftragsgebern (und deren ahnungslosen Rechtsanwälten) lediglich die technischen/nautischen Argumente, die sie dann in den Rechtsstreit als Parteigutachten einführen können. Nochmal: Es handelt sich bei Parteigutachten nicht um Beweise. Im Zweifel muss das Gericht einen Gerichtssachverständigen, um die Stellungnahmen der Parteigutachter zu überprüfen.

Ein weiteres wesentliches Tätigkeitsfeld ist ihre Beauftragung in Versicherungsangelegenheiten. Zwar verfügen einige Versicherungen über Sachbearbeiter mit technisch und nautischer Erfahrung doch verlassen auch diese sich eher auf die Aussagen von Gutachtern.

Damit entscheiden von Versicherungen beauftragte Gutachter nicht selten faktisch, ob und in welcher Höhe ein Versicherungsfall anerkannt wird, was ihnen bewusst ist. Das kann insoweit kritisch sein, wie eine Versicherung eine attraktive Auftraggeberin für sie ist und kein Dienstleister seinen Auftraggeber „enttäuschen“ will.

Sinnvoll kann es in einer solchen Situation auch für den Versicherungsnehmer sein, einen Sachverständigen mit einem „Gegengutachten“ erstellen zu lassen, um auf eine einvernehmliche Lösung hinzuwirken. Auch in Versicherungsangelegenheiten werden diese Parteigutachten im Falle eines Rechtsstreites als Argumentation in einen Rechtsstreit eingeführt werden.

Ein solches Parteigutachten unterliegt nicht den strengen prozessualen Anforderungen. Aber auch bei außergerichtlichen Gutachten gilt, dass sie überzeugender sind, wenn sie den Regeln der Erstellung eines fundierten Gutachtens folgt.

Daher bestimmt die Qualität eines außergerichtlichen Gutachters nicht allein seine fachliche Expertise, sondern auch seine Fähigkeit ein ordnungsgemäßes, in sich stimmiges, nachvollziehbares Gutachten zu erstellen.

Die Fähigkeit, ein ordentliches Gutachten zu erstellen bzw. die prozessualen Pflichten, denen ein Gerichtsgutachter unterliegt, lässt sich problemlos in drei Tagen erwerben, was baer offenkundig nicht für die erforderlichen Fachkenntnisse gilt.

Nach so viel Frömmelei zu des Pudels Kern: Der fachlichen Expertise des „Bootsgutachters“. Bootssachverständige werden mit nautischen und technischen Fragestellungen beauftragt. Was für eine Ausbildung muss er dafür haben?

Ein Bootsbauer ist nicht zwingend ein guter Nautiker. Ein Nautiker z.B. ein Kapitän ist nicht zwingend ein Segler. Ein Segler ist nicht zwingend ein Regatta-Segler. Ein Regatta-Segler kennt den Umgang mit einem klassischen Holzbooten nicht. Ein „Holzwurm“ verachtet Motorbootfahren auf dem Rhein. Einige Binnenschiffer waren noch nie auf dem Meer…

Da der Bootsbau diverse unterschiedliche Gewerke betrifft, lässt sich diese Aufzählung auch zu technischen Fragen fortsetzen. Ein Bootsbauer ist im Zweifel kein „Yachtelektriker“. Ein Yachtdesigner hat keine Ahnung von Bootsmotoren. Ein Maschinenbauingenieur ist weder Rigger noch Segelmacher. Holz- und GfK-Boote sind völlig unterschiedlich gebaut und konstruiert…

Richtig bunt wird es, wenn der Sachverständige sowohl zu nautischen, wie auch zu technischen Fragen beauftragt wird, wobei ich davon absehe, die beiden obigen Aufzählungen zu kombinieren.

Zusammenfassend gibt es also nicht die eine Ausbildung, die von einem Sachverständigenverlangt werden kann. Gibt es demnach keine „guten“ Bootssachverständige?

Meine Antwort: Es gibt hervorragende Bootssachverständige. Am liebsten würde ich zu den jeweiligen Bereichen Namen nennen, was aber unfair wäre, weil auch ich nicht alle kenne. Mein Tipp ist, sich bei der Suche an der konkreten Fragestellung zu orientieren. Ein „guter“ Sachverständiger verweist auch an einen Kollegen, wenn das Thema nicht in seinen Fachbereich fällt. Das oben genannte Verzeichnis der Handelskammer ist eine gute Möglichkeit, solange die Kategorie „Sportboote“ ausgewählt wird. Und insbesondere hilft, sich bei anderen Seglern umzuhören.

Ein „guter“ Bootssachverständiger hat auch einen guten Ruf, der mehr Aussagekraft hat, als ein Zertifikat oder eine gut gemachte Internetseite.

Von Ole Hecht

2 Antworten zu „Die Sache mit den Sachverständigen: Wie Segler-Anwalt Ole Hecht das Thema sieht“

  1. Mal ein gültige und fundierte Äußerung zum Thema Gutachter, auch der Hinweis dass die öffentliche Bestellung und Vereidigung kein zwingendes Qualitätsmerkmal ist finde ich wichtig. Ebenso eigenwillig dass der KFZ-Meister zum Beispiel sich durch einen Wochenendkurs ‚“qualifizieren“ kann ist speziell.
    Was aber jahrelange Praxis im Umgang mit Booten, ein breites Fachwissen durch alle relevanten Gewerke und ein klarer Blick für Wartungsmängel, Pfusch, bauliche Probleme und durch Bauausführung, unsachgemäße Reparaturen oder etwaige Wartungsmängel herbeigeführte Schadensrisiken angeht: Das lehrt kein Schnellkurs!
    Bernd Mattick, selbst Yachtsachverständiger

  2. Hans im Glück

    sagt:

    Danke Ole für den sehr aufschlussreichen Überblick

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