Profiskipper Rainer Holtorff, der 2012 von Prinzessin Anne als Yachtmaster of the Year 2012 ausgezeichnet worden ist, beschreibt einen Törn durch die Biskaya, bei dem er Streit gerade noch abwenden konnte.
Neulich wurde ich gefragt, ob ich kurzfristig eine Dehler 47 von der Algarve nach Hamburg bringen würde, auch wenn es schon Ende Oktober ist. Natürlich mache ich das. Es war gar nicht so leicht, im Handumdrehen eine Crew zusammenzustellen, die so einen Törn in den Norden um diese Jahreszeit mitmacht. Aber ich fand sie.
„Ich beneide Euch nicht …“, sagte ein Freund. Regentropfen schlugen an die Scheibe. Es war bereits bitterkalt in Hamburg. Würden überhaupt alle kommen? Sicherheitshalber ließ ich die Crew ihre Anreise zunächst selber bezahlen.
Doch sie kamen tatsächlich. Vier Männer mit großem Gepäck. Beim ersten Gespräch stellt sich heraus: Dunkelheit und Kälte fürchten sie nicht. Sie wollen unbedingt nach Norden segeln. Ich muss sie vor der Abreise beinahe dazu zwingen, sich überhaupt noch einmal den Strand anzusehen. Ich tat es, weil ich mich daran erinnerte, wie kalt einem der Atlantik schon an einem Sommertag vorkommen kann. Wie kalt würde es erst im November werden? Und dazu die Dunkelheit …
Eingeweht in Vigo
Nach ein paar Tagen, in denen wir zu viel Zeit unter Maschine verbrachten, mussten wir in Vigo anhalten. Ein Blick auf die Wetterkarten machte klar, dass wir eingeweht waren: Der Atlantik war mit Sturmtiefs übersät. Nun wurde meine Strategie, mit großer Crew zu fahren, um Non-Stop Strecke zu machen, auf die Probe gestellt. Eine Dehler 47 aus dem Jahre 2005 ist eine gute, schnelle Yacht, aber alles andere als ein Raumwunder.
Immerhin hatten wir es mit Vigo in eine Stadt geschafft, die etwas zu bieten hat. War dagegen nicht im Herbst letzten Jahres eine ganze Armada von deutschen und niederländischen Fahrtenseglern auf dem Weg in den Süden irgendwo an der Iberischen Küste in einem Dorf ewig hängen geblieben? Man hat ja keine Garantien, das passende Wetterfenster zu finden.
Jeden Tag hielten wir ein Briefing ab, doch die Grib-Files sagten nur, dass es nicht weiter gehen würde. Ich war drauf und dran, mich nach einem Winterliegeplatz zu erkundigen. Wir waren vielleicht einfach zu spät dran. Es waren ja auch kaum noch Yachten unterwegs.
Wo es Hugo Boss erwischt hat
Draußen vor der Küste hatte es gerade die neue Hugo-Boss-Rennmaschine beim Transat Jacques Vabre in einem Sturm erwischt. Hier bei uns gab es lange Gesichter auf einem deutschen Charterschiff, das von Fehmarn aus spät im Jahr auf dem Weg in den Süden war. Und eine englische 2er-Crew, vom Falmouth Yacht Service, mit einer Hallberg-Rassy 34 auf dem Weg nach Cornwall, war ebenfalls noch nicht wieder ausgelaufen. Der Mate, mit dem ich mich auf dem Steg über die Enge an Bord unterhielt, erklärte mir, dass es im Englischen den Begriff „Cabin Fever“ gäbe.
Es sei schon eng an Bord, sagte ich lachend, aber so schlimm, dass die Crew Fieber hätte, wäre es sicher noch nicht. Immerhin hatte ich in der Beschreibung des Törns doch etwas von möglichen „längeren Liegezeiten bei Gegenwind“ geschrieben. Darauf hatte sich ja jeder einstellen können.
Kurz darauf ging das „Cabin Fever“ bei uns durch die Decke. Ich hatte es gar nicht kommen sehen. Innerhalb der Crew drohte ein offener Streit auszubrechen. Es wurden gegenseitig Beleidigungen und Verdächtigungen ausgesprochen. War es nun die Enge? Der Dauerregen in Galizien? Der Alkohol, der reichlich in die Kehlen der Männer floss? Der Wunsch, fort zu wollen, es aber nicht zu können? Der Törn war im Begriff, mir um die Ohren zu fliegen.
Bei Sturmwarnung wieder raus
Nach nur 6 Tagen, aber einer gefühlten Ewigkeit, fuhren wir wieder raus. Der Atlantik hatte sich noch nicht beruhigt. Es gab Sturmwarnungen und draußen sollten 7 Meter hohe Wellen stehen. Aber kein Arzt in Vigo hätte unser Fieber senken können. Das konnte nur das Kap Finisterre …
Fazit: Wir erreichten Hamburg am 13.November. Die Kälte war bis zuletzt überhaupt kein Problem gewesen. Die Dunkelheit auch nicht. Beim nächsten Törn in so einer „unfreundlichen Jahreszeit“ würde ich aber zu einer kleineren Crew tendieren, wegen der Liegezeiten, die unvermeidlich sind. Der Vorteil an den immer präziser werdenden Wettervorhersagen ist, dass sich Törns zu einer solchen Jahreszeit fahren lassen. Eine Schattenseite hat diese Vorhersehbarkeit aber auch: Man weiß oft ziemlich genau, wie lange man hängt …
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