Meinung America’s Cup: Unerwartete taktische Optionen sorgen für Spannung

Was für eine Show

Die Höhepunkte der Rennen 3&4: [media id=1086 width=640 height=390]

Wow, was für eine Show, was für eine Spannung. Selbst am Ruhetag in San Francisco hält das kribbelige Gefühl an. Erstmalig habe ich mich in das Gewühl vor der Marina Green gestürzt, wo am zweiten Renntag gut 15.000 Menschen den America’s Cup Rennen folgen.

America's Cup AC72

Wenn die AC72 Boliden auf Land zurasen werden die iPhones gezückt. © ACEA / GILLES MARTIN-RAGET

Das Geschehen wird vor den Tribünen auf große Leinwänden am Wasser übertragen. Dahinter läuft das echte Geschehen ab. Ein Raunen geht durch die Menge, wenn die fliegenden Kats dann wirklich aus dem Nebel auftauchen. Eine Stimmung wie im Fußballstadion.

Vorsätzlich teuer gemacht?

Ich muss zugeben, dass ich dieser Veranstaltung lange sehr skeptisch gegenüber stand. Die geringe Zahl der Herausforderer spricht für sich. Keine Frage, Larry und Russell haben die Schraube überdreht. Das Ding ist zu teuer geworden.

Ob allerdings wirklich Vorsatz dahinter steckte. Je teurer, umso einfach ist der Cup zu sichern? Sind Milliardäre wirklich so einfach gestrickt? Keine Ahnung. Ich kenne nicht so viele. Aber wenn es nur um den Sieg ginge, dann wäre Larry wohl besser bei den alten Version 5 Cupper geblieben.

Er hätte die besten Segler und Ingenieure gekauft und vielleicht noch ein paar mehr, damit sie nicht zur Konkurrenz gehen? Der Sieg wäre einfacher zu erreichen gewesen.

Vielleicht wollte er sich wirklich ein Denkmal setzen. Genauso wie Ernesto Bertarelli? Zeigen, wie toll der Segelsport sein kann. Einmal der Gute sein. Aber genauso wie Larry  Ernestos gute Absicht nicht geglaubt hat, so glaubt man auch Larry nicht. Das ist das Problem mit dem Milliardärsdasein. Niemand hat einen richtig lieb.

Vision scheint zu funktionieren

Aber bevor wir jetzt in Mitleid verfallen, muss man zugeben, dass seine Vision von den besten Seglern auf den schnellsten Schiffen der Welt besser zu funktionieren scheint, als man es bisher für möglich halten konnte.

America's Cup AC72

Die Kats sind auf den Foils wendiger als erwartet und erlauben dadurch taktische Optionen. © ACEA / GILLES MARTIN-RAGET

Das hat allerdings weniger mit Larry als mit den Neuseeländern zu tun. Wenn sie nicht die Regellücke gefunden hätten, die 72 Fußer zum Fliegen bringen, wenn sie Larry nicht so sehr in Bedrängnis bringen würden, wenn das Rennen sportlich nicht so unvorhersehbar wäre, dann könnten die Kats noch so hübsch durch die Bucht fliegen. Die Rennen wären genauso laaaaangweilig wie die Louis Vuitton Cup Duelle.

Aber die Teams scheinen gleichauf zu liegen. Der Rennausgang ist unverhersehbar. Das macht spannenden Sport generell aus. Es gibt Überholmanöver. Die Duelle werden durch taktische Fehler oder Glanzleistungen sowie die Qualität der Manöver entschieden.

Schiere Kraft und Ausdauer an den Grindern führt zu Vorteilen. Der Kiwi Racing Mangager Grant Dalton war beim vierten Rennen nicht mehr an Bord. Mit 55 Jahren mag der zähe Volvo Ocean Race Veteran als Grinder dann doch an die Leistungsgrenze gekommen sein.

Schnelle Manöver für spannende Taktik

Für mich ist der große Unterschied zu den Vorhersagen, dass diese Boote auch im Vergleich zu ihrem ungeheuren Speed enorm schnell wenden und halsen. Das hätte ich nicht für möglich gehalten.

Kurz zuvor konnte man im Youth America’s Cup konnte man noch bei den AC45 sehen, wie die Katamaran-Rümpfe beim Manöver vergleichsweise eher schwerfällig durchs Wasser schieben. Deshalb war ein guter Start so wichtig. Das erste Boot an der ersten Tonne gewinnt bei den AC45 meist, weil es seinen eigenen Kurs segeln und die Wege bis zu den Kursgrenzen ausreizen kann.

Im AC72 dagegen konnte das Team New Zealand im dritten Rennen angreifen, indem es vor dem Wind eine zusätzliche Halse einbaute, und dadurch am Leetor die entgegengesetzte Marke rundete. Dadurch wurde der sogenannte Split erreicht, der später auch das Überholmanöver ermöglichte.

Im vierten Rennen griffen die Kiwis sogar mit einer zusätzlichen Wende kurz vor dem Luvtor an und blieben trotzdem im Rennen. Wieder bekamen sie eine Chance, weil sie eine andere Luvtonne nehmen konnten. Auf dem Vorwindkurs holten sie über die rechte Seite zehn Sekunden auf.

Das Spiel ist deshalb auch taktisch unerwartet faszinierend. Auch die Regeländerungen, wie das Verzichten auf die Proper Course Regel 17 und die Drei Längen Schutzzone an der Spielfeldbegrenzung haben das Spiel offener gemacht, als befürchtet.

Man muss sehen, ob es so bleibt. Aber schon jetzt hat der 34. America’s Cup Segelgeschichte geschrieben. Er hat Menschen die Faszination unseres Sports gezeigt, die sonst nur mitleidig gelächelt haben, wenn es ums Segeln geht.

Die große Frage: Was kommt danach? Schon der 32. Cup in Valencia hatte viel Gutes, auf das man aufbauen konnte, um den Sport spannend zu präsentieren. Aber die Geld-Egomanen haben es geschafft, den Turm mit dem Hintern wieder einzureißen, den sie mühsam aufgebaut haben. Man muss wohl befürchten, dass es irgendwie wieder passiert.

Carsten Kemmling

Der Mann von der vordersten Front. Mehr zu ihm findest Du hier.

26 Kommentare zu „America’s Cup: Unerwartete taktische Optionen sorgen für Spannung“

  1. marsha sagt:

    Warum die großen Cats so schnell wenden, ist leicht zu sehen: mit den Rümpfen fast aus dem Wasser ist die WL ja nur die Hälfte lang. Bei dem guten Trimm ist die Zeit mit beiden Rümpfen getaucht nur sehr kurz.

    Ich gebe zu, dass die Wettfahrten spannender waren, als erwartet. Wendeduelle waren ja eigentlich nicht Programmpunkt…. 🙂 Aber der Euphoria schließe ich mich nicht an: mit so einer „footage“ , 20 und mehr Kameras, on- und offboard wird jede fleed-Dutzendteichregatta zu dem, was sie ja oft ohnehin ist: pure Spannung. Und da haben halt mehr Leute Spaß, als nur die Gorillas auf den 2 Booten.

    Zudem glaube ich nicht, dass mit dem AC die Segelei in der Breite gewinnt. Warscheinlich ist eher das Gegenteil der Fall. Und mit diesem overkill an Kameras kann jede andere Regatta-Übertragung nur alt aussehen.

  2. Wilfried sagt:

    ein wesentlicher Player ist das Revier. Bei wenig Wind ist die ACtion auch schnell weg. Zudem finden bis jetzt die meisten Wettfahrten auch pünktlich statt.

    Ich würde mir wünschen das der lange Kurs wieder genutzt wird. Da die Kats unerwarteter Weise dicht zusammen bleiben und sogar überholen würde das die Spannung weiter erhöhen

    • Uwe sagt:

      Die Wettfahrten haben genau die richtige Dauer. Längere Kurse würden die Fernsehzuschauer gar nicht verkraften.
      .

      • andreas borrink sagt:

        Armer Uwe, wird hier schon pauschal abgewatscht, wo er doch (ausnahmsweise) mal recht hat.

        Selbst bei fast gleichwertigen Booten ist es mehr als wahrscheinlich, dass spätestens nach der Kreuz einer von beiden so weit vorn ist, dass für den anderen nix mehr geht. Insbesondere, wo doch fast immer eine Seite (Strom) deutlich bevorzugt ist und auch die Boundaries recht eng liegen.

        Warum also längere Kurse?

    • Chelm sagt:

      „…Bei wenig Wind ist die ACtion auch schnell weg…“

      Hallelujah!

      Das muss diese Schwarmintelligenz sein von der man so oft hört.

      • Wilfried sagt:

        warte mal auf ne Austragung im Mittelmeer oder Neuseeland bei endlosen Startverschiebungen. Und wenn du dir die Nacht um die Ohren geschlagen hast wird die Übertragung für hallo Spencer unterbrochen

  3. Uwe sagt:

    „Unerwartete taktische Optionen sorgen für Spannung“

    Uwe sagte vor dem 1. Finalrennen am 06.09.2013 um 12:24

    „Spätestens am 1. Gate kann das zurückliegende Schiff einen Seitenabstand herstellen und in ungestörtem Wind segeln. Ausserdem ist es ja schwierig, das Schiff stets mit der optimalen Geschwindigkeit laufen zu lassen. Die Abläufe bei den Wendemanövern sind dermassen komplex, dass sich leicht kleinere oder auch grössere Fehler einschleichen können, die das Schiff abstoppen lassen und dem Gegner Überholmöglichkeiten bieten.“

  4. Küstenschipper sagt:

    http://www.sailingworld.com/blogs/racing/americas-cup/writing-the-rule?page=0,1

    Larry und seine Jungs hätten die „Lücke“ kennen müssen!

  5. VolkerMe sagt:

    Es ist in der Tat eine tolle Show. Und ich werde bestimmt auch weiterhin jedes Mal einschalten wenn die Übertragung läuft. Die heute mögliche mediale Begleitung ist eine ganz tolle Sache.

    Die Kats sind cool, aber wenn man mehr fliegt als durchs Wasser fährt und Flügel statt Segel verwendet, dann ist die Entfernung zum normalen Segeln doch größer als bei Formel1-Autos zum Pkw.

    Ich bin gespannt was mit den Regeln passiert, wenn (hoffentlich) die Neuseeländer gewinnen.

    • Super-Spät-Segler sagt:

      Den Wing könnte man durch ein modernes „normales“ Segel ersetzen und der Performance-Nachteil wäre nicht erheblich, wenn man Gino Morelli glauben darf:
      http://www.sailingworld.com/blogs/racing/americas-cup/writing-the-rule

      Wenn dazu noch die Foil-Steuerung über Flächen an den Rudern käme, anstatt die Schwerter verdrehen zu müssen*, wäre das ein technisch einfacheres und preisgünstigeres Boot, welches trotzdem noch spektakuläre Rennen liefern könnte.

      Foiling ist zwar noch nicht alltäglich, aber inzwischen schon beim Laser möglich. Es wäre schade, wenn das wegfiele.

      * Man stelle sich den technischen Aufwand vor, an einem Flugzeug wären die Höhenruder feststehend und stattdessen müsste der gesamte Flügel an der Wurzel gedreht werden.

  6. Stumpf sagt:

    Ich bin sehr gespannt auf die technische Entwicklung, die der Segelsport in den nächsten Jahren nehmen wird.

    Es gibt jetzt eine neue und unerwartete Situation: 12 Mann können auf einem Segelboot mit fast 50 Knoten über das Wasser rasen, tolle schnelle Manöver fahren, ja sogar Halsen durchgleiten. Wer hätte das noch vor einigen Monaten für möglich gehalten? Sogar auf einem Surfbrett ist das Durchgleiten von Halsen nicht einfach und mit der Geschwindigkeit hätte man noch vor einiger Zeit den Speedweltrekord geknackt!

    (Speedrekorde werden übrigens vor Stränden im flachen Wasser bei ablandigem Wind gebrochen, oder auf künstlichen Kanälen. Die AC72er fahren im (relativ) offenen Wasser! Ich bin schon gespannt auf die erste Teilnahme am TransPac.)

    Ich erwarte einen starken Schub auch für den Breitensport. Nachdem die Motten ja schon jahrelang foilen, fangen nun auch die kleineren Katamarand und Einhandjollen an zu fliegen. Diese Entwicklung wird weitergehen und an Dynamik gewinnen.

    Ich bin unheimlich gespannt auf das was in den nächsten Jahren noch für die normalen Segler entwickelt wird. Eine sehr spannende Phase!

  7. Stevie sagt:

    Wo gibt es denn die Public Viewings wie „früher“? mit Chips usw.

    Gibt es so etwas in Hamburg? Mein Segelclub ist leider so weit weg 🙁

  8. armchairadmiral sagt:

    Mal ehrlich.

    Ich bin neidisch. Wäre auch gern live vor Ort.

    Bring viele Hintergründe mit! Und viel Spaß!

  9. Stevie sagt:

    Ein super Kommentar, der mir aus der Seele spricht.

    Obwohl ich selbst der Faszination von Katamaranen erlegen bin, habe ich beim AC34 nur die technologische Herausforderung und Entwicklung gespannt verfolgt. Und der LVC war dann auch seglerisch, taktisch langweilig. Verglichen mit der Tour de France eher ein Zeitfahren.

    Die AC45 Fleetrennen waren hingegen schon toll anzusehen, ich glaubte, das sei der Höhepunkt in San Francisco.
    Aber nein. Es sind nicht nur die täglichen Dragster-Rennen auf dem Wasser, es ist ein wirkliches Duell mit allem, was man sich wünscht. Segelnationen, Steuerleute als Kämpfer, Tonnenrundungen wie in der Formel 1. Und alles begleitet von hochtrabenden Regelauslegungen wie bei Qualifikationsregularien einer Fußball WM.
    Ich habe meine Meinung geändert, es müssen selbst für den AC keine Monohulls mehr sein. Die Art der Taktik hat sich geändert. Bei den Monohulls war hauptsächlich der Nahkampf spannend und für den Zuschauer einfacher zu verfolgen, denn alles ging langsam und Nuancen waren erfolgsentscheidend.
    Die jetzige Dynamik ist atemberaubend. Mit den technischen Hilfsmitteln in der aktuellen TV-Übertragung bekommt das Auge Unterstützung, sodass wir gar nicht mehr auf die Langsamkeit der Monihulls angewiesen sind. Kats haben ihre Berechtigung im Segelsport. Zu Recht!

    Ich freue mich auf heute Abend und hoffe, dass der youtube-Kanal nicht ruckeln wird …

    sail hard,
    Stevie

  10. T.K. sagt:

    Vielen dank für die tollen Berichte.

    Allerdings glaubt inzwischen doch kaum noch jemand, dass die Neuseeländer eine Regellücke gefunden haben, welche Oracle und die anderen nicht auch gekannt haben. Die Lücke wurde bewusst ins Regelwerk genommen. Hätte man das Foilen verbieten wollen, dann hätte dazu ein einzelener Satz gereicht! Nein – man wollte hier bewusst diese Möglichkeit schaffen.
    Man war zu Anfang nur nicht sicher ob das Foilen tatsächlich Vorteile bringt und ob es in der knappen Zeit der Vorbereitungen zum Erfolg gebracht werden kann. Hier hat eben ETNZ bewusst von Anfang an auf Risiko gespielt und gezielt auf das Foilen hin geplant, während andere (Artemis) nicht überzeugt waren
    Nicht mehr und nicht minder!

    • Stefan sagt:

      Richtig, in den Kommentaren zu anderen Beiträgen hier wurden auch schon die Quellen genannt. Es wurde bei der Schaffung der Regeln darüber mit allen Teams diskutiert. Alle, bis auf LR, waren dafür das Folien explizit zuzulassen. Aufgrund des Einwands von LR hat man es anscheinend in der Grauzone gelassen.

  11. Ballbreaker sagt:

    Ein sehr differenzierter und auf die unterschiedlichen Facetten des AC eingehender Kommentar!

    Top!

  12. christian1968 sagt:

    Der Americas Cup ist schon eine tolle Sache, aber genauso toll ist es, wie und dass ihr hier auf Segelreporter so schnell, kompetent und lesenswert darüber berichtet.

    Dafür möchte ich mich mit einem ganz großen D A N K E bedanken!

    Ahoi

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