Fall Clarisse Crémer: Die Vendée Globe-Jury hat eine Entscheidung getroffen

"Nicht klug oder notwendig"

Clarisse Crémer war verdächtigt worden, bei ihrer vergangenen Vendée Globe 2020-2021 betrogen zu haben. Sie soll von ihrem Ehemann per Handy Nachrichten zur Routenwahl erhalten haben.

Clarisse Cremer nachdenklich. © Alex Thomson Racing

Clarisse Crémer und Ehemann Tanguy Le Turquais, die beide bei der nächsten Vendée Globe starten wollen, sind von einer internationalen Jury im Fall eines möglichen Betrugs entlastet worden. Die Skipperin war von einer anonymen Quelle beschuldigt worden, bei der vergangenen Vendée Globe verbotene Routing-Informationen von Le Turquais erhalten zu haben.

 

Die Skipperin, die sich nach einer turbulenten öffentlichen Auseinandersetzung mit ihrem ex Sponsor Banque Populaire nun unter der Mithilfe von Alex Thomson mit einem der schnellsten IMOCAs auf den VG-Start am 10. November 2024 vorbereitet, hatte die jüngsten Anschuldigungen vehement bestritten. Dennoch war es nicht sicher, wie die Jury entscheiden würde. Könnte es eine Strafe geben, die sie die nächste Vendée-Globe-Teilnahme kosten würde? Steckt diese Absicht hinter den anonymen Anschuldigungen? Schließlich gibt es nach wie vor für 40 Plätze 44 Anmeldungen – vier Skipper wird der Start nicht erlaubt werden.

Seit Montagmorgen ist klar: Beide Segler können aufatmen. Die vom französischen Segler-Verband FFV beauftragte internationalen Jury hat drei Wochen nach den bekanntgewordenen Anschuldigungen entschieden: Clarisse Crémer und Tanguy Le Turquais werden von allen Vorwürfen freigesprochen.

Clarisse Crémer und ihr Mann Tanguy Le Turquais. © Crèmer

In der von der Jury veröffentlichten Begründung heißt es: „Die wichtigsten Beweismittel, die untersucht und diskutiert wurden, waren 14 Screenshots von WhatsApp-Nachrichten zwischen Clarisse und Tanguy, die aus einer unbekannten Quelle stammten. Dabei handelte es sich wahrscheinlich um einige der vielen Nachrichten dieser Art im Rahmen der erlaubten Kommunikation zwischen Clarisse und Tanguy während des Rennens mithilfe des Schiffstelefons und Tanguys eigenem Telefon.

Fünf Fotos enthielten Beispiele für von Tanguy erzeugte Bilder vom Routenverlauf. Diese bezogen sich sehr unterschiedliche Teile des Rennens (Durchquerung des Tiefs Theta, Annäherung an Kap Hoorn, Rücküberquerung des Äquators und Ankunft).

Die internationale Jury akzeptiert die Tatsache, dass Tanguy versuchte, Clarisses Absichten zu verstehen, um sich selbst in Bezug auf ihre Sicherheit (als Ehemann) zu beruhigen und um die Fragen der Medien und der Familie zu beantworten. Die Kurslinien enthielten keine detaillierten Informationen über Wind, Wellengang, Uhrzeiten und Routenoptionen, die Clarisse für ihre eigenen Zwecke hätte anpassen können.

Clarisse Crémer mit ihrem Mann Tanguy Le Turquais bei einer ihrer ersten gemeinsamen Regatten der AG2R auf einer Figaro. © Turquais

Zwei Bilder betrafen die Tatsache, dass Clarisse ein Problem mit ihrem AIS hatte und überprüfen wollte, ob sie auf der Marine Traffic-Website sichtbar war.

Die letzten Bilder betrafen die geplante Ankunft von Clarisse im Zusammenhang mit extremen Wetterbedingungen. Dies war ein Problem, das von der Rennleitung angesprochen wurde, die die Teilnehmer mit Tipps und Wetterinformationen versorgte. Sie hatte die Skipperin dazu angehalten, ihre Pläne mit ihrem Teams abzustimmen. Aus diesem Grund war eine WhatsApp-Gruppe mit der Rennleitung, dem Boot, dem Team an Land und dem Wetterberater eingerichtet worden. Auch die Ankunftszeit der Seglerin war eine wichtige Frage für die Medien und ihre Familien. Ihr Boot lag mehrere Stunden hinter dem vorherigen und mehrere Stunden vor dem nächsten Boot.

Die Wettermodelle, die Clarisse mit ihrem Routingprogramm auf dem Boot verwendete, waren ausgefeilter als die von Tanguy, und sie benutzte sie jeden Tag viele Stunden lang.“

Regeln und Schlussfolgerungen

Ausschreibung (RC) 4.3.2: Definition von Routing.

Die Screenshots belegen nicht, dass ein „Routing“ gemäß der Definition in Artikel 4.3.2 der Ausschreibung stattgefunden hat.

Clarisse hat Tanguy nicht nach Routentipps gefragt. Sie folgte keinem der Screenshots von Tanguy. Es waren keine nützlichen Informationen für sie. Sie war immer im Besitz besserer Informationen und hatte Zeit, an ihren Plänen zu arbeiten.

AC 4.3.3 Hilfe bei der Verbesserung ihrer Leistung

Die Screenshots belegen nicht, dass Clarisse eine Leistungshilfe wie in Artikel 4.3.3 der Ausschreibung beschrieben erhalten hat.

AC 6.4.5 Nachverfolgung des Rennens / Außergewöhnliche Umstände

Das Team der Wettfahrtleitung wandte den Artikel „Außergewöhnliche Umstände“ am Ende des Rennens für Banque Populaire an, da es aufgrund von starken Winden und außergewöhnlichen Wetterbedingungen zu Sicherheitsproblemen kam. Die Sicherheit der Teilnehmerin und ihres Bootes sollte gewährleistet sein. Dies beinhaltete die Genehmigung von Gesprächen und Optionen für die Ankunft von Banque Populaire.

Cremer mit ihrem neuen, schnellen Spielzeug. der ex Apivia von Charlie Dalin. © L’Occitane

Clarisse fragte Tanguy zwar nach seiner Meinung über seine Ankunftsabsichten, aber das geschah aus Sicherheitsgründen und schloss die Möglichkeit ein, absichtlich langsamer zu segeln, um Ebbe und Flut zu vermeiden oder angesichts des schlechten Wetters eine Ankunft in der Nacht zu ermöglichen. Es handelte sich um Probleme, über die die Rennleitung alle Teilnehmer und Shorecrews der möglicherweise betroffenen Boote informiert hatte. Sie hatte also keine Hilfe von außen erhalten.

Tanguy hatte Clarisse auf eigene Initiative mehrere Routenoptionen geschickt. Die internationale Jury ist der Ansicht, dass dies nicht klug oder notwendig war, räumt aber ein, dass seine Absicht eher darin bestand, Klarheit über Clarisses Pläne zu erhalten, als ihr zu raten, was sie tun sollte.“

Regel 69, Fehlverhalten

Die Internationale Jury ist vollständig davon überzeugt, dass es kein Fehlverhalten von Clarisse Crémer oder Tanguy Le Turquais gegeben hat.

Der Vorwurf des Fehlverhaltens von Clarisse Crémer wird zurückgewiesen. Die Behauptung des Fehlverhaltens von Tanguy Le Turquais wird zurückgewiesen“.

Tanguy erfährt 2023 während der Route du Rhum von der Geburt seiner Tochter © le Turquais

Eine große Erleichterung

In einer ersten Reaktion von Tanguy Le Turquais heißt es: „Das ist eine große Erleichterung. Seit einem Monat leben wir einen Albtraum und alles um uns herum bricht zusammen. Segeln ist unser ganzes Leben und uns einen Betrüger zu nennen ist so ziemlich das Schlimmste für einen Spitzensportler.

Es ist vollkommen verständlich, dass unser Austausch Zweifel oder sogar noch mehr hervorgerufen hat, indem diese Screenshots aus dem 87-tägigen Rennkontext herausgeholt wurden.  Und wir akzeptieren vollkommen, dass sich eine Jury mit dem Fall befasst hat.

Aber das war keineswegs Routing. Routing ist viel komplexer als das. Es war Clarisses erstes Rennen mit einem Telefon – sie hatte weder Mini noch Figaro – und meine erste, die ihr an Land gefolgt ist. Ich gebe zu, dass ich ungeschickt und sogar dumm war, habe ich den Geschworenen gesagt, aber ich bin kein Betrüger.

Man war davon überzeugt, dass wir gegen keine Regeln verstoßen haben, und wir sind froh, dass wir uns in Übereinstimmung mit den Verfahren erklären konnten. Unsere Partner waren sehr beruhigend mit uns. Sie kennen uns und haben keine Zweifel geäußert.“

Carsten Kemmling

Der Mann von der vordersten Front. Mehr zu ihm findest Du hier.

5 Kommentare zu „Fall Clarisse Crémer: Die Vendée Globe-Jury hat eine Entscheidung getroffen“

  1. Atlantis sagt:

    SR hatte berichtet:

    “Was denkst du über das kleine Tief am Mittwochmorgen?” lautet eine Frage von Bord. Ein anderer Satz: “Ja, aber wenn ich warte, dann muss ich wirklich lange warten. Das ist das Schwierige. Na gut, ich werde sehen. Morgen, wenn der Seegang stärker wird.” Beides sollen neben anderen Textpassagen Beispiele dafür sein, dass aktiv mit einer externen Person über Wetterroutings kommuniziert wurde. Ein solcher Austausch wäre streng verboten.“

    Auch für mich sieht das nach verbotener Unterstützung aus. Der Freispruch ist daher schwer nachvollzuziehen

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    • Sven 14Footer sagt:

      Über den Teil hat der Artikel ja Auskunft gegeben. Es geht hier um die Ankunft im Ziel bei widrigem Wetter. Hier hatte, laut obigem Artikel, die Wettfahrtleitung die Teilnehmer aufgefordert, sich mit ihren Teams abzusprechen, um die Sicherheit zu gewährleisten. Also war es in dem Fall nicht unerlaubt sondern gewünscht.

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      • Atlantis sagt:

        Nein !

        „Tanguy hatte Clarisse aus eigenem Antrieb mehrere Kursoptionen geschickt. Die internationale Jury ist der Meinung, dass dies weder klug noch notwendig war, akzeptiert aber, dass er Clarisse eher Klarheit über ihre Pläne verschaffen wollte, als ihr Ratschläge zu erteilen, was sie tun soll.”

        Wers glaubt, wird selig. Ich denke eher, dass man Clarisse nicht weh tun wollte !

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    • Andreas Borrink sagt:

      Mag sein. Das Gespräch war zwar sicher wenig hilfreich für das Routing, aber allemal dumm.
      Man muss aber auch bedenken, dass so ein Rennen Lichtgestalten braucht, mit denen sich das Publikum identifizieren kann. Da ist zwar der Boris, klar, aber eine attraktive, weibliche Gegenspielerin zerschiesst man sich nicht mal eben so. Da wird auch mal ein Auge zugedrückt und der Fan verzeiht.
      Denkt nur an Schumi……was hat der sich auf der Piste für linke Nummern erlaubt und wurde trotzdem weiter gehyped.
      That’s business!

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  2. Fastnetwinner sagt:

    Es ist immer fies als unschuldiger Segler mit falschen Vorwürfen in der Presse zu stehen. Eine kleine Chance der Wiedergutmachung wäre deshalb eine Überschrift, die die Ehre wieder herstellt. In diesem Fall wäre es charmant, wenn die Überschrift lautete „Clarisse Cremer vollumfänglich von falschem Vorwurf freigesprochen“. Natürlich wird leider immer etwas hängen bleiben, umso mehr sind die, die den Reputationsschaden mit verursachen, gefordert ihn wieder zu repariere, wenn die Vorwürfe denn falsch waren.

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