J/70 Worlds: Erwischt! – Ex-Weltmeister Alberini und 6 Crews nach Betrug nicht zugelassen

Kiel Doping

Die J/70 Rekord-WM mit 171 Crews aus 24 Nationen ist von einem handfesten Skandal erschüttert worden. Italienischen Mitfavoriten sind Manipulationen nachgewiesen worden.

Es ballert aus allen Rohren in Porto Cervo. Der Mistral jagt mit mehr als 50 Knoten über den Hafen. Die Masten der edlen Maxi-Yachten, die vergangene Woche noch in Mini-Feldern um Rolex-Chronographen gesegelt sind, holen mit ihren Kohle-Riggs gefährlich über und sicheln mit ihren Salingen über den nachbarlichen Päckchenlieger.

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J/70 vor Porto Cervo im Sturm. © YCCS/Alessandro Spiga

Aber der exklusive Club der modernen Millionär-Maxis, auf denen alternde America’s Cup-Helden ihr einträgliches Tagewerk verrichten, steht nicht mehr im Mittelpunkt. Vergleichsweise lächerlich kleine und günstige Schiffchen sind auf das Spielfeld gestürmt.

171 Crews aus 24 Ländern haben den beschwerlichen Weg nach Sardinien auf sich genommen, um an einem der kultigsten Segel-Schauplätze der Welt bei der erst vierten Weltmeisterschaft der J/70 Klasse auftreten zu dürfen.

Am schnellsten wachsende Einheitsklasse aller Zeiten

Der mondänen Yacht Club Costa Smeralda (YCSS) feiert sein 50. Jubiläum und man dachte sich, mit der Einladung der am schnellsten wachsenden Einheitsklasse aller Zeiten ein adäquates Zeichen für die eigene Bedeutung setzen zu können. Schließlich ist das kleine Sportboot seit 2013 an mehr als 1400 Eigner übergeben worden.

Die Klasse glänzt durch ihre Masse, und damit hat der Welt-Titel eine Bedeutung erreicht, der die Großen des Sports anlockt. In Porto Cervo sind sie die großen Namen dabei. John Kostecki, Vasco Vascotto, Frencesco Bruni, America’s Cup Segler, Olympioniken wie Gold-Gewinner Jonathan McKee und erfahrene Profis, von denen einige in der vergangenen Woche noch auf den Maxis segelten.

Der Grund: Es hat sich herumgesprochen, dass Eigner am Steuer mit einer guten Crew die Chance haben, in dieser Einheitsklasse Spaß und Erfolg zu finden. Und wenn man genug Geld aufwendet, kann man sogar Weltmeister werden.

Drei Boote für den Titel

Das hat zum Beispiel der Amerikaner Joel Ronning bewiesen, der für das WM-Projekt im vergangenen Jahr gut eine Millionen Dollar ausgegeben haben soll. Damit finanzierte er John Kostecki, den 2013 geschassten Oracle-Taktiker, Volvo Ocean Race Sieger und Olympia-Silber-Gewinner. Der ließ gleich drei Boote kaufen, startete ein Segel-Entwicklungsprogramm, übte ausgiebig auf seinem Heimatrevier und siegte in San Francisco  wie bestellt.

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Competitors Meeting zur Eröffnung der WM in Porto Cervo. © YCCS/Kurt Arrigo

Er drehte an den Schräubchen, an denen Segel-Profis eben so drehen, wenn sie Zeit und Geld für eine durchdachte Segel-Kampagne haben. Die Methoden sind von den Olympiakampagnen bekannt. Dazu gehören lange Trimm-Tests, bei denen die besten Einstellungen notiert und archiviert werden und die Auswahl des besten Materials.

Dieser Teil wird in der Olympia-Szene bestens überwacht, damit sich alles genau im Rahmen der Regeln abspielt. Die J/70 dagegen ist so schnell gewachsen, dass die Überwachungsmechanismen offenbar nicht Schritt halten konnten. So verlief zum Beispiel die Vermessung bei der EM in Kiel überaus oberflächlich.

Gerüchte von überschrittenen Grenzen

Das nährte den Verdacht, dass bei einigen Erfolgen nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Besonders als die traditionell starken italienische Sportboot-Profis ihr Auge auf die Klasse warfen und schnell eine qualitativ hochwertige J/70-Serie auf die Beine stellte, mehrten sich die Gerüchte, dass immer häufiger Grenzen überschritten wurden.

Diese haben sich nun bestätigt. Nach der WM-Vermessung sind gleich sieben Schiffe nicht für die Regatta zugelassen worden, weil sie die erforderlichen Kriterien nicht erfüllt haben. Es wurde festgestellt, dass die fraglichen Teams unerlaubt die Kiele modifiziert haben.

Unter den Erwischten sind klingende Namen: Carlo Alberini stellt als ex Weltmeister  eines der stärkste italienischen Teams, der Russe Alex Semenov arbeitet mit dem portugiesischen North-Sails-Experten und mehrfach Weltmeister (J/80, SB20) Hugo Rocha, für Mascalzone Latino Junior Achille Onorato steht der italienische Super-Profi Francesco Bruni in der Pflicht und bei Mauro Mocchegiani muss sich der Doppel-Olympionike im 470er Matteo Ivaldi als einer der klingendsten Namen der italo-Profi-Szene verantworten.

Kiele unerlaubt passend gemacht

Sein Team versuchte sogar in der Nacht noch einen Kiel vom italienischen Festland zu besorgen. Aber auch der soll nicht gepasst haben. Es wird erzählt, dass der zuvor vom Team der Doppel-Europameisterin Claudia Rossi benutzt worden sei, was kein gutes Licht auf ihre bisherigen Erfolge wirft. In Porto Cervo hat sie allerdings die Vermessung überstanden.

Insgesamt sollen gut ein Dutzend Kiele beanstandet worden sein. Zwei Teams sollen die Kiele für die Nachvermessung bearbeitet haben, um sie für die Schablonen passend zu machen. Ihnen droht nun ein Regel-69-Protest wegen Unfairness. Es ist eben nicht erlaubt, den Kiel überhaupt in stärkerem Maße zu bearbeiten. Es soll aber eine Werft in Riva am Gardasee geben, die solche Aufgaben regelmäßig für die Italiener erledigt.

Segler im kurzen Beinkleid

Damit hat der Yacht Club Costa Smeralda einen handfesten Skandal zu verarbeiten und die YCSS Granden mögen schon jetzt den Tag verfluchen, an dem sie sich diese Massen-Veranstaltung ans Bein geheftet haben. Sie müssen nicht nur zahlreiche Segler mit nicht erlaubtem kurzen Beinkleid vom Eröffnungs-Cocktail ausschließen, sondern auch einige der verdientesten Segler ihres Landes von dieser WM.

Eben noch wehte ein Hauch von America’s Cup Exzellenz durch die zweite Etage des mondänen Clubhauses, als Patrizio Bertelli Hof hielt. Er plauderte gegenüber italienischen Medien aus, dass er den Neuseeländern einen Monohull abringen konnte, weil er ihren Sieg finanziert hat. Nun belastet der Kiel-Doping-Skandal diese Meisterschaft, die eigentlich zum glänzenden Fest werden sollte. Die nationale Klassenvereinigung sah sich gar genötigt, ein Statement zu verfassen, in dem sie die Betrügereien verurteilt und Disziplinar-Maßnahmen ankündigt.

Patrizio Bertelli

Patrizio Bertelli hält Hof im YCSS Clubhaus. © SegelReporter

Dabei ist der America’s Cup das beste Beispiel dafür, mit wie viel krimineller Energie einige Profi-Segler ihren Job erledigen. Der Skandal um die Bleisäckchen im Oracle One-Design Katamaran 2013, der zum Punktabzug führte, ist noch gut im Gedächtnis. Aber wer hätte gedacht, dass in einer vergleichsweise unbedeutenden Klasse wie der J/70 solche Methoden Schule machen?

32 deutsche Teams am Start

Die deutschen Segler in Porto Cervo lächeln eher über diese Entwicklung. Gleich 32 deutsche Crews am Start, aber zu den Favoriten gehören sie nicht. Dafür beschäftigt man sich zu wenig mit Trimm und Material. Die Manöver der Liga-gestählten Teams sind oft besser als bei den Profis, aber bei den Fleetraces geht es mehr um den puren Geradeaus-Speed am Wind. Bei den Liga-Events ist es aber verboten am Rigg zu schrauben.

Der starke Wind bringt zudem den schweren Teams Vorteile, und die besten Italiener fahren längst zu fünft um ein Crewgewicht von etwa 350 Kilo zu erreichen. In der Liga dagegen, dominieren Crews die oft 40 Kilo leichter sind.

Am Tag, als das Practice Race wegen des Sturms ausfällt, sorgt der Skandal jedenfalls für viel Gesprächsstoff. Und Bundesliga-Meister-Steuermann Julian Stückl schießt den Vogel ab. Er macht auf der italienischen Facebook-Seite ein interessantes Angebot. „IMPORTANT INFORMATION: GER 734 is offering their boat to charter, measurement is done: 2650€/day.“ Bisher hat sich noch niemand gemeldet

 

Carsten Kemmling

Der Mann von der vordersten Front. Mehr zu ihm findest Du hier.

5 Kommentare zu „J/70 Worlds: Erwischt! – Ex-Weltmeister Alberini und 6 Crews nach Betrug nicht zugelassen“

  1. RVK sagt:

    Hier sind ein paar mehr Diskussionen zu dem Thema: http://forums.sailinganarchy.com/index.php?/topic/193186-j70-cheating-and-pros/

    Anscheinend geht es ums Profil und bei ein paar Booten auch um wie tief der Kiel runter kommt (da hat man wohl die Delrims in der Kielbox gekürzt)….

    Krasse Sache. Und schon wieder Italien. Letztes Jahr bei der ORC Euro das Ding mit Scugnizza, jetzt J/70. Und ich meine mich auch noch an genug andere „Incidents“ bei den Melges24 zu erinnern.

    • Backe sagt:

      Leider muss ich dem zustimmen. Einige unserer italienischen Bootsbauer im Contender sind auch recht „experimentierfreudig“ … Auslotung der Dehnbarkeitsgrenzen von Bauvorschriften eingeschlossen.

      • Yachtie sagt:

        Dass man im Rahmen des Feintuning an die Grenzen geht, ist doch völlig normal.

        Im Falle der J/70 scheinen die Bauvorschriften darüberhinaus hinsichtlich des Kieles keineswegs eindeutig zu sein.

  2. Egon sagt:

    Wow! Gut das es jetzt bei den Italienern selber passiert und gut zu hören das die Klasse die sehr lasche Einstellung bisher anzieht.

    Hast du genauere Infos worum es genau geht?
    Wo ist das Statement der italienischen KV?

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