Knarrblog Contender EM Silvaplana: Naturschauspiel Maloja – Zum Schluss noch ein Protest

Ziemlich angefasst

Die Kuhglocken läuten hinter den drei Dixi-Klos. Der Italiener macht Dehnübungen auf der Wiese. Er würdigt mich keines Blickes. Ich kann’s ihm nicht verdenken. Wir warten auf die Entscheidung der Jury. Es geht um einen Vorfall beim vorletzten Rennen der Europameisterschaft am Silvaplana See.

Die Kollegen packen ihre Boote, kühlen ihre erhitzten Gemüter nach den letzten beiden EM-Rennen, wir reden uns seit zwei Stunden die Köpfe heiß. Fünf Jurymitglieder entscheiden über unser Schicksal. Sie sitzen im heißen, stickigen Container im Süden des Sees, wo wir vier Tage lang unsere Boote geslippt und insgesamt zehn Rennen absolviert haben. Die Gruppe zuckt heftig zusammen, wenn der Wind die Türe zukrachen lässt..

Ein irres Revier auf 1800 Metern. Der berühmte Maloja-Wind sorgt für Leben auf dem See. Dieser Tage ab 14 oder 16 Uhr. Morgens gibt es ein wenig Bewegung aus Nord, dann totale Flaute (Video vom Boat Park). Die Schweizer Flagge auf dem Dach vom Beach Club von Sils hängt schlaff herab, dann flattert sie in entgegengesetzter Richtung aus Süd. Nach nur zehn Minuten wehen die Boote vom Slipwagen wenn sie mit dichter Schot falsch zum Wind stehen. Bis zu 25 Knoten wehen über den See. Viel Wind, auch wenn er sich in der dünnen Luft nach weniger anfühlt. Ein echtes Naturschauspiel!

Die Shwezer Fahne am Beach Club von Sils dreht sich endlich in die richtige Richtung. © SegelReporter

Die sieben Bojen für den Rennkurs werden am Vortag der Regatta einmal ausgelegt und dann nicht mehr bewegt. Aber taktisch ist längst nicht klar, ob die linke oder rechte Seite zieht. Entweder den langen Schlag links unters Ufer. Oder mit vielen Wenden im Meter-Abstand an das steil abfallende Ufer heran. Mal so, mal so.

Die Segler haben einen schweren Stand. Surfer und Kiter sorgen für die Umsätze. Sie besetzen den nördlichen Teil des Sees. Wir dürfen bei der EM nur noch die Hälfte der Fläche besegeln. Vier statt sonst zwei bis drei Runden sorgen für ausreichend Strecke. Anstrengend. So viele Manöver wie nie sind nötig.

Schönes Segeln im blaugrünen Wasser. Hier der fünftplatzierte Brite Simon Mussell. © St. Moritz Yacht Club

Ein faszinierender See. Klarstes blaugrünes Wasser, keine Welle, Bergpanorama, strahlender Sonnenschein. Nur in der Nacht wird es kalt. Bis zu fünf Grad geht’s runter. Pudelmütze ist angesagt, wenn die Sonne hinter dem 3000 Meter hohen Piz Polaschin versinkt. Man wohnt auf dem Campingplatz im Norden und fährt mit dem Rad zehn Minuten zum Boat-Park im Süden.

Die deutsche Wagenburg am Campingplatz in Silvaplana. © SegelReporter

Dieser Temperaturunterschied ist der Thermik-Motor. Aber offenbar auch der Grund, warum das Gros der Italo-Flotte auf die EM verzichtet. Ein Tag vor dem Start wurde noch im 1.5 Stunden entfernten Gravedona am Comer See die SUI/ITA-Meisterschaft mit 85 Booten ausgesegelt. Zum eigentlichen EM-Höhepunkt schrumpft die Flotte auf 65. Von den 35 Italienern fahren nur 8 zur EM.

Der Grund? Man wolle nicht Ende August an kalte, regnerische, teure und nicht immer windige Orte fahren, heißt es auf der italienischen Contender-Seite. Soll heißen: Segeln lieber im Warmen. Kann man verstehen, und nichts gegen den Comer See. Warm ist es dort sicher. Aber eben auch der See. Deshalb funktioniert die Thermik längst nicht so gut wie in Silvaplana. Einer von drei Segeltagen fällt aus. Aber sechs Rennen können stattfinden, Max Billerbeck segelt überragend und wird von den Italienern als „Quasi Europameister“ gefeiert. Auch Thomas Wieting hält als Sechster die deutsche Fahne sehr hoch (Ergebnisse).

Max Billerbeck nach dem Sieg am Comer See EM-Siebter. © St. Moritz Yacht Club

Ich Dummbatz fange mir im zweiten Rennen eine neue Buchstabenkombination ein. NSC-Disqualifikation statt Platz vier. “Did not sail the course“, heißt das. Kannte ich auch nicht. Habe die letzte Tonne des finalen Dreiecks vor dem Ziel übersehen. Es wäre kein Umweg gewesen. Muss irgendwie geträumt haben.

Dann noch auf der letzten Vorwind im letzten Rennen das Abschalten der Thermik verpennt, von 15 auf 40 zurückgefallen und so ist die mögliche Top Ten dahin.
Schön war’s. Nette Gastgeber, die Italiener. Auch mein Kollege auf der Wiese ist höflich im Protestraum. Er sieht die Situation anders, das muss wohl so sein. Es mag ihm aber dämmern, dass es schwierig wird. Vor der Verhandlung akzeptiert er eine 30 Prozentstrafe.

Der Rigging-Platz in Sils. © SegelReporter

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Damit hätte man eigentlich ein sogenanntes Arbitration Verfahren in zehn Minuten abhandeln können. Aber die Jury erkennt ein mögliches Vergehen gegen den „Fair Sailing“ Paragrafen (RRS Part1 2). Wollte er mich aktiv über die Linie schieben? Also muss es eine vollständige Verhandlung werden.

Sicher wäre es schneller gegangen, wenn ich das GoPro-Video (oben) technisch früher hätte präsentieren können. Dann wäre der Protest vielleicht sogar abgewiesen worden. Denn anders als behauptet ist bei der ganzen Schreierei das Wort Protest nicht zu hören. Dabei hätte ich schwören können…

Andererseits ist der Vorfall gut zu erkennen. Als der Kollege in Lee überlappt, kommt mein Bug schon nicht mehr am Startschiff vorbei. Ich habe keine Möglichkeit weiter anzuluven, als er eine Überlappung herstellt. Regel 15 gilt, wie die Jury bestätigt.

Momentaufnahme vom Start-Vorfall. Kontakt an der Baumnock. © SegelReporter

Im Video ist aber auch zu sehen, dass das Anfassen und Schieben an der Baumnock mein Segel kurz backstehen lässt und der Impuls zur Kettenreaktion führt. Ich berühre das Startschiff, höre wie meine Nummer als Black-Flag-Frühstarter auf das Band gesprochen wird, versuche durch Wriggen die Kontrolle über das Boot wiederzuerlangen, werde von der Jury mit zwei Strafkringeln belegt und schließlich nicht als BFD, sondern DNS gewertet. Irgendwo hier in diesem Case 140 verbirgt sich die Begründung. Ich hätte wohl nach dem Vorfall hinter die Startlinie zurücksegeln, neu starten und antizipieren sollen, dass mein Gegner disqualifiziert wird. Das hätte dann vielleicht zu einer Wiedergutmachung führen können. Kompliziert. Ich fühle mich ziemlich angefasst.

Unspaßiges Ende einer eigentlich schönen, körperlich anstrengenden aber auch in anderer Hinsicht komischen Meisterschaft. Am dritten Tag der Meisterschaft informiert ein Aushang, dass die Regatta „aufgrund behördlicher Vorgaben“ um einen Tag verkürzt wird, auf nur vier Tage. Also eigentlich auf drei, denn das letztmögliche Ankündigungssignal soll um 13:15 erfolgen. Zu diesem Zeitpunkt ist der Wind an keinem der bisherigen Tage erschienen. WTF?

Erstaunlicher Aushang am Notice Board. © SegelReporter

Der Hintergrund: Am Freitag startet die Schweizer Meisterschaft der iQFoiler und offenbar gibt damit eine Doppelbelegung auf dem See. Die Foiler haben eine Genehmigung, der St.Moritz Yacht Club pocht darauf, dass er immer um diese Zeit einen Regatta-Slot zur Verfügung hat. Surfer und Segelclub sind sich offenbar nicht grün. Vielleicht mag die Behörde die Foiler lieber, weil sie diesen See etwa bei ihrer U23-WM vor einer Woche mit Drohnen und live-Kommentar sensationell in Szene gesetzt haben (Video-Übertragung).

So gibt es erst nach vielen Verhandlungen einen Kompromiss. Am Freitag darf noch bis 16 Uhr Contender gesegelt werden. Und wenn die Zeit nicht reicht, dann nach den Foilern noch mal nach 18 Uhr.

Glücklicherweise erscheint der Wind am Freitag früher, zwei verkürzte Rennen passen perfekt in den knappen Zeitplan, möglicher Ärger unter den Seglern verraucht. Mit guter Laune (Video) geht’s den See hinunter. 30 Minuten von AP down bis zum Start. Es geht hektisch zu an diesem Tag, aber erneut ist das Segeln ein Genuss.

Nach dem Ärger im vorletzten Lauf gelingt auch mir noch ein schöner Abschluss. Die dritte Top Ten in der Serie. Eigentlich ganz Okay nach der vielen harten Arbeit. Diese Wenderei auf diesem Turngerät lässt mich erschreckend oft die Backen aufblasen, wie ich im letzten Rennen erkenne:

Das Galadinner am Abend ist ein echter Höhepunkt. Mit der Standseilbahn geht es auf den 2453 Meter hohen Muottas Muragl zum Panorama-Restaurant mit dem weiten Ausblick über das Oberengadin und der Engadiner Seenplatte. Man spürt die Erleichterung der Veranstalter vom St. Moritz Yacht Club. Sie haben sich mächtig ins Zeug gelegt. Gut, dass schließlich alles geklappt hat.

Vor dem Dessert werden die Sieger geehrt. Der Däne Jesper Armbrust (38) aus Apenrade verteidigt seinen EM-Titel zum zweiten Mal in Folge, nachdem er 2024 schon Kieler Woche und IDM in Warnemünde gewonnen hat.

Jesper Armbrust

Elvström Segelmacher Jesper Armbrust aus Apenrade gewinnt zum dritten Mal hintereinander die Contender EM. © St. Moritz Yacht Club

Bei dem spannenden Duell an der Spitze gibt es mehrfache Führungswechsel im letzten Lauf. Dann überholt der dänische Elvström-Segelmacher den Bremer Christoph Homeier (41) auf den letzten Metern der finalen Kreuz. Der selbstständige Führungskräfte-Coach sah am Vortag schon wie der sichere Sieger aus. Denn es schien unwahrscheinlich, dass der Wind am Freitag rechtzeitig kommt.

So ist es besonders unglücklich, dass im dritten Rennen der Haken seiner Trapezhose bricht. Homeier gehört in der Contender-Klasse schon seit vielen Jahren zur Weltspitze und wurde im vergangenen Jahr bei brutalen Bedingungen vor Kerteminde Vize-Weltmeister. Der Italiener Antonio Lambertini (57) segelt auf den Bronze-Platz.

Christoph Homeier wird knapp geschlagen Vize-Europameister. © St. Moritz Yacht Club

Aufsteiger der Saison ist der Niederländer Pim van Vugt (29) aus den Niederlanden. Der Olympia-Sechste 2021 im 49er an der Vorschot von Bart Lambriex segelt bei seiner ersten Contender EM auf Platz sechs.
Ergebnisse

Felix Krause (27) aus der starken jungen Gruppe vom Ammersee beendet eine gute EM auf Platz neun. © St. Moritz Yacht Club

Eine spektakuläre EM ist beendet. Dass es aber nicht immer ganz so idyllisch war, wie es viele Bilder von diesem wunderschönen See aussagen, mag eine Szene vom letzten Segeltag dokumentieren.

Ich will die schöne Atmosphäre auf diesem herrlichen Bergsee festhalten. Perfekt passt dieser Angler ins Bild, der im glitzernden Wasser seiner wohl meditativen Betätigung nachgeht. So sieht Entspannung aus.

Idyllische Abfahrt mit einem Angler im Wasser. Der ist aber nicht erfreut. Sorry!

Von wegen. Das im Video ein Stinkefinger? Nix Meditation. Das böse A-Wort fällt. Ich bin ihm wohl zu nahegekommen. Sorry dafür. War keine Absicht. Mir fehlt wohl ein wenig das Verständnis.

Carsten Kemmling

Der Mann von der vordersten Front. Mehr zu ihm findest Du hier.

2 Kommentare zu „Knarrblog Contender EM Silvaplana: Naturschauspiel Maloja – Zum Schluss noch ein Protest“

  1. GER 382 sagt:

    Super zutreffender Bericht 💪
    Dicke Backen in der dünnen Luft und mit den vielen Wenden.
    Das war fast der Grund warum ich nicht hin bin 🤣
    Ich war letztes Jahr bei der SM mit ungekanntem Puls von mindestens 180 🤪.
    Aber waren die Italiner wirklich Gastgeber ? 😉
    Wie wenn wir Süd-Europäer im Grenzgebiet im Norden sind. 😇

  2. Joe sagt:

    Schöner Bericht. Das Video zeigt eindrucksvoll wie fordernd das Sportgerät auf den engen Kursen ist. Toll gemacht!

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