Oldie Trend: Warum Retro Klassen so attraktiv sind

Alte Liebe

Der zweimaliger Olympiamedaillengewinner Rod Davis (59) aus Neuseeland schreibt über das Phänomen der großen Oldie-Flotten in klassischen Jollenklassen. Auch in Deutschland sind steigende Zahlen beim Masters-Segeln im Finn oder Laser zu beobachten wie auch bei den 505er, FD oder Drachen.

Hamburger Segel-Club

Das neu gestaltete Clubheft “HeimatHafen” des Hamburger Segel-Clubs. Der Titel der März 2014-Ausgabe kommt von A.Lindlahr

Der Artikel ist ursprünglich im britischen Regatta-Magazin Seahorse erschienen und wurde von Andreas Borrink für das neu gestaltete Clubheft „HeimatHafen“ des Hamburger Segel-Clubs übersetzt.

 

Die große Schlacht ist schon lange geschlagen. Während die Kiwis noch versuchen, das unbegreifliche Comeback der Amerikaner zu begreifen, läuft in den Segelclubs eine kleine Revolution ab. Sie begann vor ein paar Jahren und gewinnt gerade in den letzten Monaten immer mehr an Schwung.

Sie ist wohl eine Reaktion darauf, wie teuer moderne Regattayachten und -jollen in den letzten Jahren geworden sind. Viele Segler haben ihre Leidenschaft für das Segeln auf Club-Level wieder entdeckt. Die alte Garde bevölkert die Slipanlagen mit ihren Booten und greift mit jugendlichem Eifer in das Regattageschehen ein. Die Devise ist: einfach Regattasegeln, wie in den alten Tagen.

Plötzlich sind sie alle wieder da, und sie segeln ihre Regatten an den Wochenenden und sogar in der Woche abends – einfach zu jeder Gelegenheit. Und sie segeln nicht mit Foils und Flügelriggs, sondern Klassen, die vor 20, 30 Jahren populär waren. Boote wie OK-Jolle, Zephyr, Paper Tiger und Sunburst erleben ein großes Comeback; alles jahrzehntealte Klassen, die zu alter Stärke finden und neuerdings wieder große Felder zusammenbringen.

Altersdurchschnitt: 50 Jahre

zephyr Class

Die Zephyr Klasse in Neuseeland. Nach 50 Jahren wird sie von vielen alten Kiwis wiederentdeckt. © Zephyr class

Die Zephyr aus den 60er Jahren hat ein durchgelattetes Groß und war damit ihrer Zeit voraus. An den letzten Meisterschaften haben 52 Boote teilgenommen und der Altersdurchschnitt der Skipper lag in den 50ern. Einige waren sogar über 70, aber ein paar Zwanzigjährige haben den Durchschnitt gesenkt.

Die OK-Jolle kam auf 40 Boote bei der letzten Meisterschaft und es gibt regelmäßig lokale Felder von 25-30 Booten. Das Alter der Teilnehmer liegt im Schnitt so um die Mitte 40.

Der Paper Tiger ist ein echtes „Zurück-In-Die-Zukunft“-Boot von 1968. Konstruiert als leicht selbst zu bauender Sperrholzkat, hat er die Jahrzehnte bestens überstanden, wie man an den 47 Teilnehmern der Meisterschaften 2013 sehen kann.

Die Sunburst, eine Zweimann/frau-Jolle aus den 60ern, ist nur knapp dreieinhalb Meter lang und eignet sich optimal für Väter oder Mütter mit ihren Kindern als Crew. Zu den Meisterschaften 2014 werden über 50 Booten erwartet!

Stattliche Teilnehmerzahlen

Für ein Land mit eben über 4 Millionen Einwohnern sind das stattliche Teilnehmerzahlen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand:

  1. Alte Boote sind konkurrenzfähig; mit einem 15 oder 20 Jahre alten Boot kann man auf das Podium segeln.
  2. Es kommt nicht so sehr auf das Crewgewicht an; 80 oder 105 Kg – beides ist weder ein großer Vor- noch Nachteil.
  3. Das Alter spielt keine Rolle. Die meisten Titel werden von Seglern deutlich über 40 gewonnen. Ein wenig Fitness schadet nicht, aber man muss kein Modellathlet sein.
  4. Die Boote sind preiswert; für unter 6.000,- € gibt es Exemplare, mit denen man die Landesmeisterschaft gewinnen kann.
  5. Die Kameradschaft und das „Drumherum“ an Land sind mindestens so groß wie die Freude am Wettsegeln!

Ein weiterer Aspekt ist die Möglichkeit, ein altes Boot neu aufzubauen, statt sich ein neues zu kaufen. Viele Segler mit gutem Potential können sich ein Boot nicht leisten (oder die Anschaffung rechtfertigen….). Meine OK zum Beispiel ist 15 Jahre alt und hat knapp 5.000,- € gekostet – kaum ein Drittel eines neuen Bootes!

LKW Ladung Geld

Ein A-Kat oder eine Foiling-Motte kostet Dich eine LKW-Ladung voll Geld und wenn Du Pech hast, ist er/sie nach einem Jahr nicht mal mehr konkurrenzfähig. Mit Glück hast du zwei Jahre Spaß; das heißt, Dein Kapital schwindet schneller als ein Wollpullover im Trockner! Nimm die modernen Klassen und vergleiche sie in unseren fünf genannten Punkten mit den alten – wie sieht es aus!?

Einige werden nun sagen: „Mann, diese Boote sind vor Jahrzehnten konstruiert worden und sie sind langweilig zu segeln!“ Ein klarer Fall von Blendung durch Werbegetöse und Hype. Aber wenn Deine Welt bisher nur aus Xbox, Facebook und Smartphone bestand, sehen wir Dir natürlich nach, nicht beurteilen zu können, was Du nicht kennst. Nichts zu wissen über den Stolz auf ein eigenes Boot und die Kameradschaft in einer Klasse. Und Nein, wir segeln nicht mit Segeln aus ägyptischer Baumwolle – wir haben auch moderne Masten und Segel!

Was bewegt eigentlich „normale“ Menschen zu solch merkwürdigem Tun? Was denkt Ihr, die Ihr 40, 50 oder 60 seid, warum macht es Spaß, sich in eine alte Jolle zu setzen und Regatten zu segeln? Weil Ihr erinnert, wie viel Spaß das Regattasegeln machen kann! Es ist eine Rückbesinnung auf Eure Jugend, als Ihr Regatten gesegelt seid, nur weil es Spaß macht, auf dem Wasser und an Land. Ihr wolltet da draußen sein – mehr als alles andere.

Alle helfen sich beim Abtakeln

Die Regatten sind anspruchsvoll und die Konkurrenz kann auch segeln – oft besser als Du. Aber wenn das Rennen gelaufen ist, gratulieren sie Dir und sagen “Gut gemacht!“ oder „Glückwunsch!“. Wenn Du an Land kommst, helfen sich alle gegenseitig beim Slippen. Bei der letzten OK-Regatta kamen 27 Teilnehmer zusammen an Land zum Abtakeln und jeder bekam ein kaltes Bier gereicht. Einfach weil…..naja, ohne besonderen Grund, einfach weil es schön ist, mit einem Bier in der Hand abzutakeln und dabei die Regatta mit den Konkurrenten zu diskutieren! So und nicht anders sollte Segelsport sein.

Die Ehefrauen kassieren Meldegelder und schreiben Ergebnislisten, Söhne bringen Slipwagen, Töchter ziehen Persenninge auf. Mein eigener Sohn war Schiedsrichter und hat die Frühstarter angesagt; keine Bevorzugung: Der Kerl hat mich doch tatsächlich ge-blackflagged (OK, Grant, ich war wohl drüber….)! Und nach der Preisverteilung gab es ein großes Barbecue und jede Menge Drinks.

Es sind zwar nicht die olympischen Spiele, aber es gibt auch hier jede Menge Gelegenheit, hart zu segeln. Jede Möglichkeit zu nutzen, den Gegner nieder zu ringen – oder selbst nieder gerungen zu werden. Aber es gibt eben auch Gelegenheit, zu reflektieren, alles nochmal durchzugehen, zu diskutieren. Um es beim nächsten Mal besser zu machen. Und das ist es, was unseren Sport so einzigartig macht. Ich sage nicht, dass olympische Spiele und America’s Cup keinen Spaß machen – aber dies hier macht MEHR Spaß.

Revolution auch in anderen Ländern

Ich frage mich, ob eine ähnliche Revolution gerade auch in anderen Ländern abläuft. Die britische Topper-Meisterschaft 2013 hatte über 70 Teilnehmer; ebenso viele Sunfish’s kämpften um den nordamerikanischen Titel. Diese Klassen sind über 40 Jahre alt! Das widerlegt eindrucksvoll die These, man müsse immer das neueste, beste haben, um in große Feldern segeln zu können. Im Gegenteil: wieviele Klassen sind – zumindest auf nationaler Ebene – schon gestorben, nachdem sie olympisch geworden sind?!

Die Finns hatten bei Ihrer letzten Masters-WM gigantische 250 Boote am Start. Da gibt es weltweit eine Konkurrenz, wie sie auf olympischer Ebene auch nie größer war – es ist fast wie ein Kult. Im Drachen ist es ähnlich und auch der Star war immer schon eine Klasse für die Alterslosen. Und ich glaube, auch bei den Snipes ist es nicht anders.

Also – an alle, die meinen, mit dem Regattasegeln ginge es bergab: „Ihr seid nur zur falschen Zeit am falschen Ort!“

2 Kommentare zu „Oldie Trend: Warum Retro Klassen so attraktiv sind“

  1. Sailer29190 sagt:

    Der Bericht spricht mir aus der Seele!
    Die Gesamtstimmung ist es was zählt, wenn sich die Laser Masters auf dem Wasser batteln und hinter die Rennen durchdeklinieren (Links ist immer besser …)!

  2. Stefan Z sagt:

    Das Clubmagazin ist wirklich sehr lesenswert, Meister B!

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