Olympia-Team: Paul Kohlhoff kämpft sich nach Hirnblutung zurück ins Leben und nach vorne

Keine Ausrede

Paul Kohlhoff startet in Enoshima mit Alicia Stuhlemmer im Nacra17-Foiler, der spektakulärsten olympischen Bootsklasse. Das Duo könnte für eine Überraschung sorgen. Der Skipper genießt nach schwerer Krankheit jeden Tag auf dem Wasser.

Paul Kohlhoff (klicken für NDR Video)

2016 war Paul Kohlhoff bei den Olympischen Spielen mit 22 Jahren der jüngste Steuermann in der Nacra-Klasse. Platz 13 genügte nicht seinen Ansprüchen, aber fünf Jahre später ist er im Team mit Alicia Stuhlemmer bestens in Form. Das Duo könnte in Japan für eine Überraschung sorgen.

Dabei spielte ihm die Corona-Verschiebung in die Karten. Das zusätzliche Jahr der Vorbereitung ermöglichte dem Skipper, wieder zu Kräften zu kommen. Die Ergebnisse der letzten drei Weltmeisterschaften 14 (2018), 12 (2019) 11 (2020) dokumentieren zwar aufsteigende Tendenz, sie deuten allerdings noch nicht auf Medaillen-Ansprüche. Das mag aber täuschen. Denn bei den Vorbereitungsregatten auf Lanzarote im März und Januar 2021 zeigten sich die deutschen Schnellsegler stark verbessert. Zwar war nicht die gesamte Weltelite am Start, aber die Ergebnisse bestätigten die gute Arbeit und verschaffte der Crew Respekt.

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Den hat Kohlhoff allerdings längst von seinen Mitstreitern auf anderer Ebene erhalten. Denn es ist alles andere als selbstverständlich, dass der Kieler immer noch auf höchstem Niveau segeln darf.

Es passierte bei einem Trainingslager vor Mallorca im Dezember 2017. Der damals 22-Jährige klagte plötzlich über so starke Kopfschmerzen, dass er sich im örtlichen Krankenhaus untersuchen ließ. Die Ärzte stellten eine Hirnblutung fest und die notwendige Operation schien zu gefährlich. Wochenlang lag er im spanischen Krankenhaus und wartete auf eine Entspannung der Situation. Aber die wurde schließlich immer dramatischer, als eine Nachblutung einsetzte. Der spanische Arzt musste trotz des Risikos dringend operieren.

Fortsetzung der Olympia-Karriere war undenkbar

Die Familie zitterte um sein Leben. Würde er ohne Folgeschäden, wieder auf die Beine kommen? Der Eingriff war erfolgreich. Aber an eine Fortsetzung der Segelkarriere war eigentlich nicht zu denken. Kohlhoff ließ das nicht gelten. Die Aussicht, vielleicht doch wieder einmal am Trapezdraht hängen zu können, gab ihm Kraft für die Genesung.

Denker und Lenker Paul Kohlhoff und seine dynamisch-athletische und maximal fokussierte Vorschoterin Alica Stuhlemmer.© Felix Diemer

Schneller als von den Ärzten geglaubt, ging es ihm besser. Dennoch schien die Fortsetzung der Olympiakampagne eine Utopie. Starke Medikamente sorgten für körperliche Einschränkungen und Gewichtszunahme.

Sportlich schien die Konkurrenz weit enteilt. Schließlich zählte besonders 2017 und 2018 jede Stunde auf dem Wasser, um die Technik des zum Foiler aufgerüsteten Nacra17 zu üben. Vieles von dem, was Kohlhoff und seine Rio-Vorschoterin Carolina Werner auf dem Katamaran für Olympia 2016 gelernt hatten, war unbrauchbar geworden.

Die Arbeit in der Klasse fing bei Null an. Die Lernkurven mit dem neuen Foiler entwickelten sich dramatisch steil. Und Kohlhoff musste sich auch noch mit der neuen erst 20-jähigen Vorschoterin Alicia Stuhlemmer abstimmen. Einen sportlich schlechteren Zeitpunkt für die krankheitsbedingte Auszeit gab es kaum.

Keine Ausrede

Aber der junge Steuermann wollte das nie als Ausrede gelten lassen. Er kämpfte mit seinem Körper, bekam ihn in den Griff und feierte schließlich das Comeback auf dem Katamaran. Die Erfüllung der DSV-Olympiakriterien gelang souverän. Nur Johannes Polgar mit Kohlhoffs ex Vorschoterin Carolina Wernder forderte ihn heraus. Aber Kohlhoff genoss seine Wiedergeburt auf dem Wasser und konnte das Gefühl schnell in Leistung umsetzen.

Der Skipper sagt im NDR-Porträt: „Mir ist klar geworden, was ich wirklich möchte. Und das ist bei mir Segeln. Und mit Alica segeln. Und meinen Traum weiterverfolgen und deswegen habe ich immer daran gedacht und dementsprechend auch trainiert und versucht, wieder auf die Beine zu kommen.“

Er macht keinen Hehl daraus, dass er vor Enoshima ganz vorne angreifen will. „Wir sind immer noch nicht ganz da, wo wir sein wollen“, sagt er. Er will er auf jeden Fall um eine olympische Medaille segeln. „Wenn wir eine durchschnittliche, ordentliche Woche haben, dann sind wir auf jeden Fall im Medalrace dabei. Wenn es sehr gut läuft, können wir auch ganz vorne mitspielen.“

Olympia-Legende Santiago Lange. © 52 SuperSeries/Martinez Studios

Vorschoterin Stuhlemmer ergänzt: „Es gibt keinen Tag, wo wir nicht außerhalb unserer Komfortzone arbeiten und versuchen, besser zu werden. Ich würde auch sagen, dass sich das durch Pauls Krankheit noch verstärkt hat und er einfach viel öfter hinterfragt, was wichtig ist im Leben und was nicht so wichtig ist. Damit haben auch Zielsetzung und Träume einen ganz anderen Stellenwert bekommen.“ Er glaubt, dass acht bis zehn Teams für ein Podiumsplatz infrage kommen.

Dazu gehört auch Santiago Lange. Der Argentinische hat mit dem unglaublichen Olympia-Sieg im Nacra17 2016 vor Rio gezeigt, dass eine Krankengeschichte gerade in der Katamaran-Klasse für einen extra Push sorgen kann. Mit nur einem Lungenflügel holte er nach überstandenem Krebs die Goldmedaille im Alter von 54 Jahren. Auch vier Jahre später gehört er wieder zum Favoritenkreis.

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