Flashback 2002: die „Illbruck“ läuft in Kiel ein, gewinnt das Volvo Ocean Race und elektrisiert die Nation. Diese Erinnerung kommt Prof. Dr. Raoul Kübler, wenn er jetzt den Hype um Boris Herrmann beobachtet.
Raoul Kübler ist selbst begeisterter Segler, nimmt mit seiner Farr25 „TamTam“ am ORC-Circuit teil und landete im vergangenen Jahr zur IDM auf Platz vier der Klasse ORC IV. Im Juni 2018 übernahm er an der Uni Münster die Junior-Professur für Marketing. Zuvor war in diesem Fachbereich bereits sechs Jahre als Assistenz-Professor an der Uni Istanbul tätig. Vor der Uni-Karriere übernahm er in der Werbeindustrie verantwortliche Positionen bei Europcar, Axel Springer Media und Bosch. Segelreporter hat bei Raoul Kübler nachgefragt, wie sich der Vendée-Globe-Erfolg von Boris Herrmann auf seine persönliche Karriere, aber auch auf den deutschen Segelsport auswirken könnte.
„Das Medieninteresse um Boris Herrmann ist mit der Ankunft der ‚Illbruck‘ vor fast 20 Jahren in Kiel absolut vergleichbar. Wenn man die Anzahl der TV-Berichte auszählen würde, dann ist es jetzt wahrscheinlich noch mehr. Der Vorteil bei Boris Herrmann ist die Fokussierung auf seine Person. Er allein als einziger Deutscher im Rennen um die Welt: Das lässt sich noch besser darstellen als damals Toni Kolb als einziger Deutscher unter vielen internationalen Legionären an Bord der ‚Illbruck‘“, sagt Kübler. Dazu kommen die technischen Möglichkeiten, die Boris Herrmann noch besser in Szene setzen lassen: „Es ist alles sehr gut nachvollziehbar – selbst viel besser als noch bei der vergangenen Vendée Globe vor vier Jahren. Damals gab es ein paar Helikopter- und Onbord-Bilder. Jetzt ist man komplett – sogar weit draußen auf dem Meer – dabei. Das macht dieses Rennen sehr greifbar.“
Ein Extra-Lob gibt es vom Marketing-Experten auch für Boris Herrmann selbst: „Er macht das sehr gut, besser als die anderen in diesem Rennen.“ Durch die Technik, aber auch die Persönlichkeit von Boris Herrmann seien die Werte der Seefahrt, die Sehnsucht nach Meer, das Gefühl von Abenteuer, sehr gut vermittelt worden. Parallel wurde aber auch das Image des Segelns weg vom Rich-Man-Sports gefördert.
„Für das Marketing ist das top. Marken müssen erlebbar, vermittelbar sein. Boris Herrmann hat das in den vergangen zwei Jahren sehr gut gemacht. Das nützt ihm jetzt“, sagt Prof. Kübler, sieht aber auch einige Zufälligkeiten, die dem deutschen Hochsee-Helden in die Hände gespielt haben. „Er hat von dem Ausscheiden der Favoriten, von Persönlichkeiten wie Alex Thomson profitiert. Dazu kam Corona: Es gab wenig zu berichten, und mit Herrmann auf der Vendée Globe gab es die Gelegenheit, aus dem Alltag auszubrechen und auf eine Reise zu gehen.“
Ob die Sponsoren tatsächlich von dem Erfolg profitieren können, steht allerdings laut Raoul Kübler noch in Frage: „Wen nimmt man neben Boris Herrmann noch wahr oder überstrahlt er alles? Diese Frage müssen seine Unterstützer qualifiziert im Nachhinein bewerten. Die Unternehmen müssen ihre Angebote überprüfen: Gibt es durch die Vendée Globe einen Vertrauenseffekt für ihre Produkte? Sponsoring lässt sich grundsätzlich gut nutzen, um neue Produkte zu pushen, Marken bekannt zu machen, die sich auf die Weltbühne bringen wollen. Dafür muss aber auch das Image passen. Hugo Boss ist das mit dem Engagement bei Alex Thomson sehr gut gelungen. Thomson steht für diese Mischung aus Eleganz und Wagnis. Boris Herrmann ist jung und nahbar, dazu muss die Marke passen.“
Der deutsche Segelsport insgesamt kann aus der Vendée seine Lehren in der Vermarktung ziehen. „Wenn die Verknüpfung zwischen der Marke und der Kampagne passt, dann ist der Erfolg zweitrangig – vorausgesetzt, es wird Content und Identifikationspotenzial geliefert“, sagt Kübler und stellt in Frage, ob die deutschen Werte von Qualität und Technologie-Leadership wirklich im Segelsport funktionieren: „Hochsee-Segeln hat hohes Potenzial. Die Emotionen lassen sich gerade für die Werte wie Abenteuer, Erlebnis, den Ausbruch aus dem Alltag schüren.“ Die Geschichten, die diese Solo-Weltumsegelung erzählt hat, vor allem die Rettung von Kevin Escoffier im Southern Ocean durch Jean le Cam, der damit das Karma seiner eigenen Rettung von 2009 ausgleichen konnte, zahlten auf dieses Wertekonto ein: „Das sind die gelernten Bilder von Seefahrt, der Mythos des Southern Ocean und von Kap Hoorn. Das macht die Marke Vendée Globe aus.“
Die Herausforderung für den deutschen Segelsport sei es nun, diese Vorlage auf andere Bereiche wie das Ocean Race oder die Olympischen Spiele umzumünzen. Kübler: „Es hängt jetzt vom Verband ab, den Unterstützern klarzumachen, was der Segelsport zu bieten hat. Es kann ein spannendes Paket werden, von dem viele profitieren können: Sportler, Medien und Zuschauer.“
Aber auch wenn sich die Emotionen im Offshore-Segelsport besser transportieren ließen, als wenn Sportler auf Skiern im Kreis laufen, glaubt Prof. Raoul Kübler nicht an einen Boris-Becker-Effekt: „Das waren ganz andere Zeiten: Der Sport war noch nicht so ausdifferenziert, es gab nur wenige TV-Kanäle. Damals war alles viel fokussierter auf diesen Moment. Heute ist eine ganz andere Konkurrenzsituation.“
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