Vendée Globe: Thomson mit vollem Risiko – Warum sich „Hugo Boss“ vom Feld entfernt hat

Alex geht aufs Ganze

Was macht der Thomson da? Das werden sich viele Hugo-Boss-Fans gefragt haben, als der Brite exakt nach einem Tag drei Stunden und 28 Minuten seine erste Halse bei der Vendée Globe einleitete.

Vendee Hugo Boss
„Hugo Boss“ ist flott unterwegs, verlor aber das Speed-Duell gegen Le Cleac’h. © Hugo Boss

Er segelte weg vom Feld, vom Gegner immer weiter und weiter gen Osten Richtung Portugal. Es muss der Horror in der Nacht gewesen sein mitten im Verkehr der Berufschifffahrt entlang der Küste und durch die dicht gestaffelten Fischerei-Flotten. Viele halten diesen Abschnitt des Rennens für den gefährlichsten, weil er durch eine der am dichtesten befahrenen Schifffahrtsrouten führt. In der Vergangenheit haben schon zahlreiche IMOCA 60 nach Kollisionen in diesem Gebiet aufgeben müssen.

Per AIS kann man den dicken Pötten inzwischen besser aus dem Weg gehen. Aber je näher die Küste kommt, umso größer ist die Gefahr, auf nicht ordnungsgemäß markierte Fahrzeuge zu treffen. Aber Thomson geht aufs Ganze. Er zieht den Schlag bis 20 Meilen  vor das Ufer und mit einem Querabstand von exakt 127 Meilen zum führenden Armel le Cleac’h wirft er den Bug wieder herum Richtung offene See.

Thomson bleibt sich treu

Es ist eine riskante Entscheidung, die viel über Alex Thomson aussagt. Er bleibt sich treu. Er ist eben der Mann, der von Kielen und Masten springt. Man mag sich vorstellen, wie er vor seinem Computer unter Deck sitzt, sich der Gedanke zum riskanten Split formt, er den schwarzen Anzug überstreift, das einströmende Adrenalin genießt und dann das Ruder zur überraschenden Halse herum wirft.

Das Duell von Le Clac'h (blau) und Thomson (schwarz) in Sichtweite gewinnt der Franzose. Lagravieère (Safran) verliert durch einen Schlenker um das Verkehrstrennungsgebiet.
Das Duell von Le Clac’h (blau) und Thomson (schwarz) in Sichtweite gewinnt der Franzose. Lagravieère (Safran) verliert durch einen Schlenker um das Verkehrstrennungsgebiet.
Kurz nachdem Thomson überlaufen wurde, halst er weg.
Kurz nachdem Thomson überlaufen wurde, halst er weg.
Der Qeurabstand beträgt 127 Meilen, als Thomson zurück halst. JP Dick wählt einen Mittelkurs.
Der Qeurabstand beträgt 127 Meilen, als Thomson zurück halst. JP Dick wählt einen Mittelkurs.
Die aktuelle Situation. Das schwarze Boot scheint gut positioniert.
Die aktuelle Situation. Das schwarze Boot scheint gut positioniert.

Profi-Strategen werden sich die Haare raufen. Wer das vergangene Volvo Ocean Race verfolgt hat, mag das Taktieren der besten Crews noch vor Augen haben. Bloß den Gegner nicht aus den Augen lassen, die Schläge der Mehrheit kopieren, mit möglichst geringem Risiko zum Feld platzieren, kleine Chancen für Mini-Meilen-Gewinne nutzen, das war die Sieger-Taktik bei den Einheitsklasse-Yachten.

Alex Thomson ist darin nicht gut. Er geht aufs Ganze. Er liebt das Risiko. Luck oder Kack. Strategische Abwägungen zur Risiko-Minimierung scheinen ihm fremd. Vielleicht ist das für ihn auch richtig so. Er mag akzeptieren, dass er nur auf diese Weise gegen einen kühlen Rechner wie Armel le Cleac’h gewinnen kann. Der hat diese Art des erfolgreichen Segelns schon im Figaro-Zirkus zur Perfektion gebracht, als er 2003 gewann.

Extreme Strategie

Bei dem Briten dagegen hat sich offenbar die Erkenntnis durchgesetzt, dass für ihn nur eine extreme Strategie zum Erfolg führen kann. Die ist schon erkennbar an dem Design seines Bootes, das sich von den anderen Neubauten unterscheidet. Auch die Funktionsweise der Foils ist verschieden. Sie weisen andere Winkel auf, als die der Konkurrenz.

Die Hoffnung liegt darin, bei bestimmten Windbedingungen einen anderen Modus segeln zu können. Es dürfte es für Le Cleac’h schwer sein, die Stärken und Schwächen des gegnerischen Bootes beurteilen zu können. Im Vorfeld hatte es sich kaum im Vergleich gezeigt. Deshalb war es kein Zufall, dass der Franzose an den ersten beiden Tagen Bord an Bord mit „Hugo Boss“ gesegelt ist. Er konnte eigene Trimm-Variationen im Zweikampf ausprobieren.

Es schien so, dass er irgendwann genug Informationen gesammelt hatte und dann den Hebel auf den Tisch legte. Jedenfalls zog Le Cleac’h auf beeindruckende Weise nach einem 2,5 Meilen Rückstand auf direktem Kurs in Sichtweite an dem schwarzen Schiff vorbei. Es muss ein Schock für Thomson gewesen sein, oder war es Strategie? Hat der Brite schon alle Karten auf den Tisch gelegt?

Thomson fahren gelassen

Kurz danach kam jedenfalls die Halse gen Portugal. Der Franzose ließ ihn fahren, blieb lieber beim Feld. So als wolle er sagen: Ich habe genug gesehen. Vor dem Speed brauche ich keine Angst zu haben. Es gibt andere, die mir mehr Sorgen machen können.

Im Moment sieht es allerdings so aus, als könnte sich Thomsons Taktik auszahlen. Denn er macht mächtig Druck und Speed auf seinem östlichen Kurs, auch wenn die Winddrehung nicht gerade zu seinen Gunsten ausfällt.

So könnte der lachende Dritte Jean-Pierre Dick sein, der sich in der Mitte zwischen den beiden anderen Foilern platziert hat. Der erfahrene Franzose hat die Führung übernommen und an den ersten beiden Tagen dieser Vendée Globe gezeigt, dass er diesmal wieder ganz vorne mitspielen kann.

Jean-Pierre Dick Vendee
Jean-Pierre Dick hat die Führung übernommen. © VG

Man mag nun von Thomsons Taktik halten, was man will. Aber dieser Mann sorgt aus Zuschauer-Sicht für Höchstspannung. Er gibt diesem Rennen schon jetzt die gewisse Würze.

Zahn ausgeschlagen

Verlierer der vergangenen Stunden ist Morgan Lagravière. Er hatte mit seiner „Safran“ die ersten Meilen mitbestimmt auf Rang vier, sich dann aber beim Umfahren des Verkehrstrennungsgebietes vernavigiert, viele Meilen verloren und ist auf Rang neun zurückgefallen.

Hart hat es auch schon Jéremie Beyou mit dem nachgerüsteten Foiler „Maître CoQ“ erwischt. In der ersten Nacht klappte sein Ruder hoch, das Schiff schoss in den Wind, er knallte mit dem Gesicht auf eine Winsch und schlug sich einen Zahn aus. Beyou nahm Kontakt mit dem Vendée-Globe-Arzt auf und scheint das Problem inzwischen im Griff zu haben.

Tracker Vendée Globe

Beyou beim Start. Ordentlich Arbeit auf einem IMOCA 60:


Maître CoQ : Images embarquées / Vendée Globe 2016 von VendeeGlobeTV

7 Antworten zu „Vendée Globe: Thomson mit vollem Risiko – Warum sich „Hugo Boss“ vom Feld entfernt hat“

  1. Stefan

    sagt:

    Alex scheint weniger Tiefe fahren zu können, als BP und jetzt halst er auch noch andauernd. Irgendwie sieht das nicht so richtig gut aus, was er da macht. Bei leichtem Wind sind die nichtFoiler klar im Vorteil (2 & 3)

  2. Stefan

    sagt:

    Tja Schade, wohl doch in die Grütze gefahren. Nur noch 7.

  3. Robert

    sagt:

    Sehr schöner journalistischer Beitrag. Geht über die übliche Faktenaufzählung hinaus …

  4. Sehr gut analysiert und übersichtlich dargestellt.
    Das gefällt mir, bitte weiter so!

    1. lauterbach

      sagt:

      kann mir jemand sagen, warum der tracker auf meinem laptop nicht funktioniert ?wäre dankbar für einen tip !

      christoph h. lauterbach

      1. The Great Rock ´n´Roll Swindle

        sagt:

        Wenn Du nicht detailliert beschreibst, was genau das Problem ist ne Ferndiagnose ziehmliche Glaskugelleserei.
        Im Zweifel schieb´s den Franzosen zu – Virtuell Regatta funzt auch nicht richtig.;-)

        Bis Du´s aufgeschrieben hast kannst ja solange hier gucken:

        http://alexthomsonracing.geovoile.com/vendeeglobe/2016/tracker/

      2. Stefan

        sagt:

        Du brauchst einen Firefox oder Chrome

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert