Scallywag ist nur noch wenige Meilen vom Hafen in Chile entfernt, während auf der anderen Seite von Südamerika die Kollegen ins Ziel kommen. Wie brutal diese vergangene Woche auf See gewesen sein muss.
Es gab wohl in den vergangenen acht Tagen nicht viele Plätze an Bord, die man so ungerne bekleidet hätte, wie auf dem Volvo Ocean 65 Scallywag. Was für eine harte Situation: Man verliert den besten Kumpel, Kollegen, Mitsegler und muss zusammengepfercht noch eine weitere Woche auf diesem verdammten Schiff sitzen.
Allein mit den Gedanken und Gefühlen. Trauer, Wut, Selbstvorwürfe. Die fehlende Ablenkung durch Wettkampf und Elemente lässt im Kopf die Negativ-Spirale wirbeln. Beim trostlosen Dümpeln Richtung Land ist ihr nicht zu entkommen.
Da kommt die Nachricht, dass Scallywag jetzt auch offiziell die Etappe aufgegeben hat, so unvermittelt und unwichtig daher. Klar, schließlich befindet sich das Schiff knapp 50 Meilen vor dem chilenischen Hafen Puerto Montt, fast genau auf der anderen Seite von Südamerika. Verständlich, dass die Crew nicht mehr ins Ziel wollte, den heftigen Kampf ums Kap Hoorn ablehnte. Aber es hätte wohl gar nicht so viel länger gedauert, die Südspitze zu umrunden.
Es ist noch nicht klar, wie es weiter geht. „Wir alle kämpfen einen gnadenlosen mentalen und physischen Kampf aus, um zur Küste zu kommen“, heißt es vom Team. „Wir werden erstmal in Chile bleiben, uns mit dem gesamten Team besprechen und dann die Pläne für die Zukunft diskutieren.“
Ob es eine Option ist, das Schiff per Landtransport nach Brasilien zu bringen, wird nicht thematisiert. Möglich ist auch ein kompletter Ausstieg aus dem Rennen. Scallywag wird vom dritten Gesamtplatz auf den fünften zurückfallen. Aber ist das überhaupt noch wichtig?
Ein Mensch ist gestorben
Es ist dieser Tage hart, aktuelle Volvo Ocean Race Brutalo-Videos wie dieses von AkzoNobel, dieses von Vestas zu konsumieren oder die Extrembedingungen sogar von der Brunel-Drohne gezeigt zu bekommen. Was eben noch mitreißender, begeisternder Sport war, ist nun ein Trauerspiel. John Fisher wurde bei genau solchen Umständen über Bord gespült. Ein Mensch ist gestorben. Eine Familie steht ohne Mann und Vater da.
Die Segelszene steht unter Schock. Was sagt dieses Desaster nun aus? Wie geht man damit um? Wer trägt die Schuld?
Natürlich kommen sofort die unvermeidbaren Zeigefinger der Couch-Segler zum Vorschein. Warum war der Mann für diesen einen Moment nicht angeleint? Zu unvorsichtig? Zu abgestumpft und routiniert im Umgang mit den Elementen? Zu wenig respektvoll?
Die beste Ausrüstung
Als wenn es so einfach wäre. John Fisher gehörte zu den ältesten und erfahrensten Seglern der Flotte. Vielleicht ist er ausgerutscht, gerade als er sich einpicken wollte. Vielleicht war er für einen Moment unkonzentriert. Er war mit dem Aufräumen einer Schot im Cockpit beschäftigt. Dabei wird er im diffusen Licht kurz vor Sonnenaufgang und bei regnerischem Wetter nicht viel über die Situation vor dem Bug gesehen haben. Er konnte nicht antizipieren, dass das Schiff aus dem Ruder laufen würde.
Sicher ist, dass er die beste Ausrüstung getragen hat, mit denen man solche Unglücke heutzutage verhindern können sollte. Die Crew hat alles getan, um ihn zu finden. Aber offenbar konnte nicht einmal die mit einem Seenot-Sender ausgerüstete John Buoy lokalisiert werden.
Das hängt mit den unvorstellbaren Bedingungen zusammen. Der letztmalige Sieg-Skipper Ian Walker betont im Interview, dass die Rettungssysteme wohl keine große Hilfe gewesen wäre, auch wenn sie perfekt funktioniert hätten.
Bei den herrschenden Bedingungen – 35 Knoten Wind, 6 Meter Welle – dauert es wohl mindestens 45 Minuten, bis ein Volvo65 in voller Fahrt auf einen Amwindkurs gedreht werden kann. Sieg-Skipper Ian Walker sagt, dass es bei angenehmeren Umständen von nur 25 Knoten und besserer Sicht 40 Minuten gedauert habe. Im Southern Ocean müsse man aber damit rechnen, dass 50 Knoten-Squalls dazu kommen.
Ist dieses Rennen nicht eigentlich viel zu gefährlich?
Die Cockpits sind offen, damit medienwirksam möglichst viel Wasser durchschwappt. Und zugegeben, das sind im wahrsten Sinne des Wortes mitreißende Bilder. Die Crews ackern am Grinder umströmt vom Southern Ocean. „Life at the Extreme“ – Das Volvo Ocean Race Motto will mit Stoff gefüllt werden. Und irgendwie ging ja bisher auch immer alles gut.
12 Jahre liegt der letzte tödliche Unfall zurück. Der Holländer Hans Horrevoets ging im Nordatlantik über Bord. Davor waren es in der langen Geschichte des Whitbread Round the World und Volvo Ocean Races sechs Segler, die auf See blieben. Der Sponsor Volvo sorgte schon mit dem Selbstverständnis seiner Automarke zum Thema Sicherheit für Fortschritte beim sicheren Segeln. So nimmt zum Beispiel die virtuelle Eis-Grenze eine der größten Gefahren beim Hochsee-Rennen.
Aber nach solchen Unfällen muss man alles noch einmal auf den Prüfstand stellen. Gehen die Teams und Organisatoren unnötige Risiken ein? Der Tod des Fischers vor Hong Kong mag noch mehr in diese Richtung deuten. Wie kann ein dicht befahrenes Seegebiet mitten im Weg zum Ziel liegen? Warum ist Vestas nicht vom Gas gegangen?
Das Volvo Ocean Race stand schon vor den Unfällen schwer unter Druck, nachdem sich der CEO Mark Turner mit radikalen Ideen zur Zukunft der Regatta nicht durchsetzen konnte und zurückgetreten ist. Nun werden die Diskussionen nicht einfacher. Zumal der Mastbruch bei Vestas auch nicht dazu beigetragen hat, die Lage zu entspannen.
Gedenken an John Fisher
John Fisher wird das nicht mehr helfen. Er war einer der beliebtesten Segler des Teams und offenbar auch einer der besten. Gerade er stand mit seiner Erfahrung dafür ein, wie die Sicherheit-Aspekte an Bord geregelt wurden. Er lehrte die jüngeren Segler an und wies auf die gefährlichen Situationen hin. Was für eine Wendung des Schicksals, dass ausgerechnet er ein Opfer dieses Rennens wurde.
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