Ein heftiger Crash bei der World Match Race Tour in Marstrand zeigt, wie heutzutage die Regeln interpretiert werden. Für die meisten mag die Entscheidung der Jury überraschend erscheinen.
Eigentlich sieht der Vorfall (ab 4:20 im Replay) aus, wie eine klare Sache. Der Däne Nicolai Sehested segelt mit Wind von Steuerbord auf den jungen Australier Matt Jerwood zu, der ohne Wegerecht vor seinen beiden Bugspitzen passieren will. Dann erwischt er seitlich den Ausleger der Gegner. Das Kohlefaser-Gestänge zersplittert mit einem lauten Krachen, das für die Zuschauer vom stürmischen Wind verschluckt wird.
Die Schiedsrichter auf dem Wasser werden sofort aktiv. Für sie ist die Sache klar. Sie zeigen den Dänen die schwarze Flagge. Disqualifikation für dieses Rennen. Wie jetzt? Sehested hatte doch Vorfahrt.
Die Entscheidung zeigt, wie Regeln heutzutage interpretiert werden. Das Ziel der Regelhüter ist es, Kollisionen zu verhindern. Und in diesem Fall sind sie davon ausgegangen, dass Sehested nicht alles getan hat.
Kollisionen vermeiden
Regel 14 besagt: Jedes Boot muss Berührungen mit anderen vermeiden. Natürlich muss zunächst das ausweichpflichtige Boot ausweichen, aber auch das Wegerechtboot hat eine Verpflichtung, Schäden zu vermeiden.
Natürlich hat der Australier einen großen Fehler gemacht, als er dachte, vor dem Gegner passieren zu können. Aber irgendwann, als er merkt, dass es nicht mehr passt, ist sein bester Ausweichkurs, einfach weiter zu segeln.
Er wird auch in der späteren Protestverhandlung an Land für den Vorfall mit einem Punktabzug bestraft. Aber Sehested trifft es noch härter. Die Jury entscheidet, dass er hätte früher abfallen können, um ohne Crash am Heck zu passieren.
Ausweichen im letzten Moment
Im Normalfall wäre der Däne im letzten Moment ausgewichen und hätte der Jury auf dem Wasser damit klar gezeigt, dass es nicht gepasst hat. Nach dem Zeigen der Protestflagge wäre Jerwood bestraft worden. Nun muss aber Sehested den Großteil des Schadens tragen. Und nach der Situation gelang es ihm auch nicht mehr, den Australier im Duell zu bezwingen.
Diese Regelsituation dokumentiert noch einmal, dass Regattasegler eben nicht Kollisionen billigend in Kauf nehmen wie beim Boxsport. Juristen haben für ihre Mandanten schon einmal diese Interpretation des Rechts erstritten.
Die internationalen Regeln zielen in eine andere Richtung. Und besonders wenn bei Veranstaltungen auf geliehenen Booten gesegelt wird, achten die Organisatoren genau darauf, dass die Vorschriften eingehalten werden. Kaputte Boote gefährden den Ablauf enorm. Und wenn es wie in Marstrand um eine Millionen Dollar für den Sieger geht, liegen die Nerven ohnehin blank.
Haarige Bedingungen in Marstrand. Berntsson treibt auf die Felsen:
Enges Highspeed-Match zwischen dem Altmeister und Lokalmatador Hans Wallen (55) und dem jungen Australier Sam Gilmour:
Genau das gleiche ist mir mal bei einer F18-WM in Italien unter Genacker passiert: Ein Franzose mit Wegerecht hat uns glatt das Heck abrasiert. Wir haben wg. Regel 14 protestiert – und verloren. Dabei war da noch deutlich weniger Wind als hier in Marstrand – die Franzosen hätten den Crash locker verhindern. Sie haben sich auf einen Strömungsabriss berufen, was totaler Bullshit war. Die WM war für uns nach Tag 1 beendet.