Mann über Bord: Schiffbrüchiger überlebt 28 Stunden schwimmend im Meer ohne Weste

Allein auf hoher See

Video, das Brett Archibalds Horror nachstellt. Und dabei etwas zu sehr auf die Sehnsucht des Mannes nach seiner Frau fokussiert… 

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Hai-Angriffe, Schwärme giftiger Quallen, Dehydrierung, Erschöpfung und fiese Halluzinationen – Brett Archibald war bereit für den Freitod. Doch andere glaubten fest an seine Rettung.

Es war einer dieser „Ich-geh-mal-eben-mit-den Jungs-surfen“- Törns, wie sie auf der südlichen Halbkugel zu Hunderten im Jahr gefahren werden. Brett Archibald, ein Geschäftsmann aus Südafrika, hatte gemeinsam mit acht Kumpeln auf einem Surf-„Dampfer“ einen Trip zu einer der legendären, vorgelagerten Mentawai-Inseln gebucht, wo es mit die besten Wellen der Welt geben soll.

Die „Naga Laut“ war am Abend auf Sumatra gestartet und wollte am nächsten Tag gegen Mittag am Surfspot ankommen. Wenige Stunden nach dem Ablegen hing Brett Archibald jedoch über der Reling: Er hatte sich beim Abendessen den Magen verdorben und die raue See gab ihm nun den Rest – er fütterte die Fische.

Zudem wurde das Wetter immer schlechter, das zweistöckige Boot schlingerte stark. Es war zwei Uhr nachts, und die Kumpels lagen alle in ihren Kabinen, als der seekranke Brett  noch einmal raus an die Reling trat, um sich zu erleichtern. Dabei verlor er das Gleichgewicht und ging über Bord. Niemand merkte es, auch der Steuermann nicht, denn die „Naga Laut“ wird vom Oberdeck aus gesteuert.

Man over board, Rettung, 28 Stunden

Von diesem Schiff fiel Brett in die indonesische See © naga laut

Keine Chance?

„Das war’s“ ist der erste Gedanke, der Brett durch den Kopf schoss, als er in der stockdunklen Nacht der „Naga Laut“ hinterher schrie. Drei Wellentäler später war das Schiff aus seinem Blickfeld verschwunden und der Mann trieb mutterseelenallein auf hoher See. Ohne Schwimmweste, mit einem T-Shirt und einer Short bekleidet.

Instinktiv begann Archibald mit Wassertreten, um Kräfte zu sparen. Doch in der rauen See schluckte er dabei zuviel Wasser, da jede Welle über ihn hinweg schwappte. Also begann er zu schwimmen. In ruhigen, kräftigen Zügen konnte er sich so besser über Wasser halten und sich mental beruhigen. Sein Hirn schaltete zunächst auf „standby“, indem es jeden Schwimmzug zählte und einige Zeit später fasste Brett erste klare Gedanken. „1. Ich war völlig allein ohne jegliche Schwimmhilfe auf See. 2. Keiner hatte bemerkt, dass ich über Bord gegangen war. 3. Ich habe keine Chance zu Überleben!“

Oder doch? Der Mann dachte an seine Familie: „Ich bin doch erst seit 10 Jahren mit meiner Frau verheiratet, meine Tochter ist neun, mein Sohn sechs. Ich will sie nicht verlieren!“

Schwimmen, schwimmen, schwimmen

Wie im Wahn schwamm Brett weiter. In einer 2,5 Knoten starken Strömung, die ihn über 70 Seemeilen weit tragen sollte. Er schwamm und schwamm und schwamm. „Im Morgengrauen hatte ich mir ausgerechnet, dass meine Freunde mein Fehlen frühestens zum Frühstück an Bord bemerken würden, also gegen sieben Uhr. Das würde bedeuten, dass die „Naga Laut“ neun Stunden später bei ihm sein könnte. Im schlechtesten Fall nach 14 Stunden.“ Doch die Freunde bemerkten Bretts Abwesenheit erst um 10 Uhr.

Die Stunden vergingen. Brett schwamm ohne Unterlass, er zählte seine Züge und ließ sich mental treiben. „Die wildesten Gedanken schossen mir durchs Hirn, ich dachte dauernd an meine Frau, an meine Kinder. Meine Stimmung war ein ewiges Auf und Ab – vom Horror des Ertrinkens bis zum Glück der Rettung.“

Zwölf Stunden nachdem der Mann über Bord gegangen war, sah er im gleißenden Nachmittagslicht auf der mittlerweile ruhigeren See einen glitzernden Punkt auf sich zufahren. Ein großes Motorboot, höchstens eine Stunde entfernt. Kurz darauf erkannte der Schwimmer klar deutlich: Es ist die „Naga Laut“!

Man over board, Rettung, 28 Stunden

So ungefähr stellte sich Brett das Ziel ihrer Reise vor. © naga laut

Brett begann zu winken, wollte sich irgendwie bemerkbar machen. Zweihundert Meter vor ihm stoppte das Schiff, wendete… und fuhr davon!

„Schlimmer geht es nicht. Meine kühnsten Hoffnungen schienen erfüllt und dann geht alles kurz vor einem glücklichen Ende erneut den Bach runter,“ erinnerte sich Brett später. „Das war der pure Horror!“

Rettung statt Beerdigung

Szenenwechsel. Tony Eltheringtons Stimmung ist ebenfalls an einem Tiefpunkt angelangt. Die australische Surflegende hatte kurz zuvor seinen besten Freund verloren und sollte nun zu seiner Beerdigung.

Der 57-Jährige hing auf seinem Boot ab, mit dem er – ähnlich wie die „Naga Laut“ – Surfer zu den besten Spots des Archipels schippert und fluchte auf den ganzen Beerdigungszirkus, der ihm bevorstand. „Da hörte ich über Funk von dem Mann-über-Bord-Unfall“,“ berichtete Tony später. „Und ich dachte mir: Den Typ findest du, rettest ihn und machst das alles zum Gedenken an deinen Freund!“

In der Zwischenzeit schwamm Brett weiter. Zug um Zug, heulend, flennend, brüllend, jammernd trieb er in der offenen See. Irgendwann schubste ihn etwas Raues im Rücken. Als er sich umdrehte, sieht er einen Riff-Hai, der ihn neugierig umschwimmt. „Ich war überrascht, wie klar ich denken konnte, ich hatte keine Panik.“ Das Tier wollte offenbar testen, ob es sich hier um etwas Essbares handelt.

„Als der Hai wieder näher kam, habe ich ihm in die Augen gestarrt. Er blickte kurz zurück, drehte sich um und verschwand wieder in den Tiefen.“ Brett handelte intuitiv richtig, denn viele Haiforscher sind der Meinung, dass neugierige Haie, die noch nicht im Angriffsmodus sind, am besten durch Anstarren vertrieben werden können.

Tony Eltherington hatte derweil seine Mannschaft zusammengetrommelt und war längst auf See. Zuvor hatte er sich lange Gedanken über die Strömungen und Windrichtungen gemacht, die am MOB-Ort vorherrschten. Und er entschloss sich zu einer Such-Route, die deutlich von der naheliegenden abwich. „Mir kam plötzlich dieser Gedanke, es auf einem anderen, als dem vernünftigen Weg zu versuchen!“ sagte er später.

Die Original-Aufnahmen der Rettung

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Haie, Quallen, Möwen und Halluzinationen

Brett war zwischenzeitlich am Rande der Verzweiflung. Er hatte sich schmerzhafte Wunden zugezogen, als er in einen Schwarm giftiger Quallen trieb. Die Dehydrierung seines Körpers äußerte sich in furchtbaren Halluzinationen und sein Gesicht und Schädel waren von der Sonne verbrannt.

Irgendwann, als er sich im nun deutlich ruhigeren Wasser treibend ausruhte, setzten sich Möwen auf seinen Kopf und pickten nach seinen Augen. Er schlug nach ihnen, vertrieb sie und schwamm weiter, immer weiter. „In der nächsten Nacht hatte ich dauernd Halluzinationen von Schiffen, die vor mir auftauchten. Darunter eine Galeone, auf der ein Typ stand, der mir zurief, dass ich es schaffen würde!“ erinnerte sich Brett.

Irgendwann, nach der vierten oder fünften Halluzination von Schiffen, die dann plötzlich verschwanden, wollte sich Brett umbringen. Er tauchte ab, versuchte unter Wasser einzuatmen, doch sein Körper revoltierte. Brett holte wieder Luft, erbrach sich und hustete das Seewasser ab.

Da tauchte ein schwarzer Mast vor ihm auf. „Wieder eine Halluzination“, dachte er. Doch diesmal hielt das Schiff nicht direkt auf ihn zu, fuhr langsam, als wäre es auf der Suche nach etwas. Nach ihm?

Man over board, Rettung, 28 Stunden

Brett Archibald wird am Flughafen von seiner Familie empfangen © gallo

Da vorne!

An Bord der „Barrenjoey“, dem Boot des mittlerweile Kette rauchenden Surfcowboys Eltherington, war der Hoffnungspegel nach stundenlangem, erfolglosen Starren auf die See auf dem Tiefpunkt. Ein Crewmitglied ging nochmals zur Reling, vielleicht zum letzten Mal, und suchte mit dem Fernglas die Meeresoberfläche ab.

Brett hatte in der Zwischenzeit kapiert, dass dieses Boot tatsächlich etwas suchte. Er schrie, brüllte, schwamm in Richtung des Schiffes. Er sah den Mann an Deck, bemerkte, wie der plötzlich den Kopf hob, ganz so, als hätte er etwas gehört! Und dann der erlösende Schrei und die deutende Geste von Bord des Schiffes. „Da, dort vorne, da schwimmt er!“

Zwei Rettungsschwimmer rasten mit ihren Flossen wie Torpedos auf Brett zu und zogen ihn zum Boot. Eltherington war überwältigt, murmelte immer den Namen seines verstorbenen Freundes, die Crew feierte ihrer aller Glück und Brett war fassungslos, körperlich völlig fertig und… überglücklich.

Niemals aufgeben, nie!

Nach einer ärztlichen Erstversorgung an Bord der „Barrenjoey“ wechselte Brett Archibald Stunden später erneut zur „Naga Laut“ und seinen Freunden. Am darauf folgenden Morgen stand er an einem der schönsten Surfspots der Welt endlich auf dem Board. Nur schwimmen wollte er an diesem Tag nicht mehr. Und manchmal schaute er verdutzt auf – ganz so, als wähnte er sich erneut in einer Halluzination oder in einem Traum.

Michael Kunst

Näheres zu miku findest Du hier

2 Kommentare zu „Mann über Bord: Schiffbrüchiger überlebt 28 Stunden schwimmend im Meer ohne Weste“

  1. Addi sagt:

    Unglaublich! Und wieder sehr gut geschrieben miku!

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