Nach seinem Einhand-Weltumseglungsrekord wird der sympathische Hochseeheld von den französischen Medien gefeiert. Stiehlt Coville den Vendée Globe-Seglern die Show?
Ganz am Anfang seiner Rekordfahrt stellten sich viele der sogenannten Szenekenner die gleiche Frage: „Was soll der Quatsch?“ Am selben Tag zu einer Einhand-Rekord-Weltumrundung loszusegeln wie die gefeierten Helden der prestige- und medienschwangeren Vendée Globe – das kann doch PR-spezifisch nur schiefgehen!
Doch neben dem Fakt, dass Rekordtörns letztendlich in passenden Wetterfenstern gestartet werden und nicht nach dem Gusto der Medien, sollte sich dieser zeitgleiche Beginn zweier unterschiedlicher Weltumrundungsabenteuer als genialer PR-Schachzug erweisen.
Denn hätte Covilles Rekordtörn etwa wegen unerwarteter Wetterbedingungen schon im Atlantik abgesagt werden müssen, wäre der Imageverlust für den Sodebo-Rennstall im „Schatten“ der Vendée Globe deutlich geringer ausgefallen.
Im weiteren Verlauf seines Rekordtörns profitierte Coville respektive Sodebo schließlich von der erhöhten Aufmerksamkeit, die ein Großteil der französischen Medien der Vendée Globe respektive dem Segelsport widmeten: Dem Thema Segeln wurde per se mehr redaktioneller Platz eingeräumt. Und je näher Coville seinem Ziel kam, desto öfter wurde genau dieser Platz mit Nachrichten von Sodebos Rekordfahrt gefüllt.
Als der Einhandsegler schließlich an Weihnachten am Sonntag, 26.12. 2016 gegen 18 Uhr abends mit einer neuen Fabelzeit von 49 Tagen und 3 Stunden über die Ziellinie vor Brest bretterte, blieb Coville – gemeinsam mit fünf Freunden aus seinem Team – noch eine Nacht auf See. Nicht nur, um Tausenden Fans die nötige Zeit zu geben, nach Brest zur Jubeltour zu reisen. Sondern auch (oder vor allem?), um der Anfrage zahlreicher TV-Sender gerecht zu werden, die alle ein eigenes Aufnahmeteam vor Ort entsenden und möglichst bei Tageslicht drehen wollten.
Aus der Nische ins Rampenlicht
Seitdem steht für Coville die Welt Kopf. Der sympathische, eigentlich als zurückhaltender Typus bekannte Rekordjäger wird ohne Unterlass von TV-Sender zu TV-Sender „weitergereicht“, eilt von einem Interview zum anderen und steht in zahlreichen Sportsendungen und Talkshows Rede und Antwort.
Alle namhaften Medien – ganz egal ob vom Fach oder eher boulevardesk ausgerichtet – widmeten ihm und seinem Rekord lange Berichte, wenn nicht sogar Cover-Seiten. Viele sprechen jetzt schon von einem größeren Hype um Coville als seinerzeit um die Rekorde eines Loick Peyron. Und ganz offen wird die Frage gestellt, ob die Vendée Globe-Sieger in ein paar Wochen diesen Heldenrummel nochmals toppen können.
Ganz sicher ist jedoch, dass der Lebensmittelproduzent Sodebo (Tiefkühlpizzen, Nudelfertiggerichte, Sandwiches etc.) als Sponsor beider Events – seit 20 Jahren mit Coville, seit diesem Jahr erstmals mit der Vendée Globe – das große Los gezogen hat. Höhere Aufmerksamkeitswerte sind mit Sportevents in Frankreich derzeit jedenfalls nicht zu erreichen.
Am Freitag wurde Thomas Coville eine Ehre zuteil, die unter französischen Journalisten als eine Art intellektueller Ritterschlag verstanden wird. Der Einhandsegler agierte bei der linksliberalen Tageszeitung „Libération“, die nach „Le Monde“ als Frankreichs zweit wichtigste Tageszeitung gehandelt wird, als Ehren-Chefredakteur.
Chefredakteur für eine Ausgabe
Dafür nahm Coville an allen Redaktionssitzungen teil, wählte gemeinsam mit dem Redaktionsteam die Themen des Tages aus, wurde mit einem zweiseitigen Interview geehrt und erhielt zu den wichtigsten Themen dieses Tages die Gelegenheit, seinen Kommentar abzugeben. Der konnte gerne – musste aber nicht – im direkten Kontext zu seiner Weltumseglung stehen. Dabei gab Coville einige überraschende und spannende Details zum Besten. Es folgen Interview- und Kommentar-Auszüge, erschienen in der „Liberation“-Ausgabe Freitag, 30.12.2016:
Coville zum Libération-Titelthema „Das Recht auf Abschalten“ (Von Arbeitnehmern wird immer öfter erwartet, permanent erreichbar zu sein).
Ich habe von meinem Shore-Team erwartet, dass sie 24 Stunden lang erreichbar sein müssen. Drei „Routeurs“ betreuten mich im Acht-Stunden-Takt rund um die Uhr. Natürlich haben wir ihre Verträge entsprechend aufgebessert, aber permanente Erreichbarkeit war ein Muss!
Während der ersten zwei Wochen gab man mir noch regelmäßig Informationen über die Vendée Globe. Als ich von Rious Aufgabe hörte, hab ich gleich zu Heulen angefangen. Fühlte sich so an, als wäre mir das passiert! Danach wollte ich mich nicht mehr mit Informationen von außen belasten. Alle hielten sich daran, mein Team sowieso, auch meine Frau, mit der ich täglich telefonierte. Nur meine 16-jährige Tochter, die derzeit in den USA im Austausch bei einer Familie in Wisconsin lebt, rief mich nach Trumps Wahl völlig schockiert an!
Coville zu einer Reportage über die stimulierende Pflanze Khat:
Doping? Einhandsegler dopen sich nicht – nicht weil sie bessere Menschen als andere Sportler sind, sondern weil die Nebeneffekte des Doping auf hoher See tödlich sein können. Und weil modernes Doping nicht auf unsere Belange ausgerichtet ist.
Doping? Nicht auf unsere Belange ausgerichtet!
Coville zum Thema „Skandinaviens Verzicht auf Kohle“:
Ich finde, Atomkraft ist die beste Energie, um den Übergang zu wirklich sauberer Energiegewinnung zu schaffen. Das große Problem bei der Atomkraft ist aber doch die Endlagerung – vor Jahrzehnten haben uns die großen Energiekonzerne versprochen, dass es hier Lösungen geben wird. Lösungen, die nicht mal im Ansatz gefunden wurden.
Also müssen neue Energie-Ansätze her. Ich persönlich halte viel von den Experimenten, die die Japaner derzeit mit Wasserstoff machen. Doch in Frankreich hinken wir da meilenweit hinterher. Muss etwa Fessenheim erst explodieren, bis wir uns dazu entschließen, aus der Atomkraft auszusteigen?
Coville über das Thema „Arbeit“:
Als Jungspund war ich auf einer Elektro-Fachhochschule. Statt weiter Elektronik zu studieren, bin ich für einen französischen Arbeitgeber nach Australien gegangen. Dort hat’s mir ausgesprochen gut gefallen, und als man mich wieder nach Frankreich zurück beorderte, bin ich ausgestiegen und hab mich auf eine Scheinehe mit einer Australierin eingelassen. Ich wurde denunziert, des Landes verwiesen und der Erste, dem ich in Frankreich über den Weg gelaufen bin, war Laurent Bourgnon. Der führte mich ins Segelbusiness ein.
Heute bin ich Chef einer Firma mit elf Mitarbeitern. Wir arbeiten an einigen wissenschaftlichen Projekten und haben kürzlich etwa einen Sensor entwickelt, mit dem sich die Abdrift eines Bootes und die Stärke aktueller Strömung bestimmen lässt. Außerdem arbeiten wir an einem Algorithmus, mit dem wir Google Konkurrenz machen wollen!
Coville über die politische Situation in Frankreich:
Ich bin heilfroh, dass Sarkozy in den Vorwahlen von den Wählern einen Korb bekommen hat. Wäre der erneut zum Präsidentschaftskandidaten gewählt worden, hätte ich mir demonstrativ mehr Zeit für meine Weltumseglung genommen.
Warum machen nicht mehr Frauen mit?
Coville über das Libé-Thema „Frauen im Business“:
Sie sind das einzig Wahre! Allein in meinem Team stehen mir drei Frauen vor! Wenn ich es jetzt bei meinem fünften Versuch, in Rekordzeit die Welt zu umrunden, endlich geschafft habe, liegt das zu einem großen Teil an Lynn Burney. Ich habe die auf Coaching spezialisierte Neuseeländerin nach meiner bitteren Kollision mit einem Frachter nach dem Start zur Route du Rhum 2014 ins Team geholt.
Das war zwar kein Ponyhof mit ihr, aber sie hat mich entscheidend vorwärts gebracht. Ich engagiere mich auch dafür, dass Samantha Davies wieder ein Boot für die nächste Vendée Globe bekommt. Ich kann sowieso nicht verstehen, warum kaum Frauen im großen Hochseezirkus mitmachen. Weil das zu physisch sein soll? Klar, auf dem Sodebo-Trimaran wiegt ein Segel 150 kg. Aber auf einer IMOCA sieht das doch ganz anders aus!
Coville über das Libé-Thema „ „Hygge“, Dänemarks „Wohlfühl“-Philosophie-Export“:
Sowas ist natürlich völlig unmöglich bei einer Rekord-Weltumseglung. An Bord ist das Schlafmanagement der Schlüssel zum Erfolg. Das Problem ist nicht unbedingt der Schlaf als solcher, sondern dass du bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 30 Knoten einschläfst. Du liegst draußen auf deinem „Pouf“, der Trimaran rast von einer Welle zu anderen, du konzentrierst dich auf die Bauchatmung, spürst die brutale Beschleunigung in den Eingeweiden und sollst eigentlich mental alles loslassen.
Aber das Gehirn lässt niemals los. Wenn ich doch einschlafe, weckt mich ein Wecker automatisch nach 20 Minuten. Diese 20 Minuten können aber über alles entscheiden! Ich habe nie mehr als 2-3 Stunden über 24 Stunden geschlafen. Wenn ich doch mal eine Stunde verschlafen habe, war ich völlig neben der Spur nach dem Aufwecken.
Meistens habe ich dann Proteinhaltiges gegessen, ohne Zucker. Trotzdem bin ich nach dieser Tortur auf dem besten Wege, Diabetiker zu werden. Von mir gibt es nur einen Rat: legt euch lieber auf die Couch und esst Süßkram als Hochleistungssportler zu werden! Aber ihr werdet dann nie ein ähnliches Glücksgefühl erleben wie ich, nachdem ich die Ziellinie überquert habe!
Aleppo ist eine Schande für die westliche Welt
Coville über das Libé-Thema „Aleppo“:
Was sich während meiner Weltumseglung dort abgespielt hat, ist ein unfassbarer Skandal, eine Schande! Wir haben im Kollektiv versagt! Und ich frage mich, ob nicht einer meiner politischen Helden, Barack Obama, schon viel früher einen entscheidenden Fehler gemacht hat. Damals, als er mitten in der Wiederwahl-Kampagne steckte, hätte er in Sachen Syrien reagieren müssen.
Coville über das Libé-Thema „Süden“:
Es war unglaublich, wie sehr ich mit Glück zwischen Australien und dem Kap Hoorn gesegnet war. Ich hatte faszinierende Gleitfahrten mit meinem Ultim-Trimaran, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Später, im Atlantik, da geht es dann zwar mental wieder heimwärts, aber du hast mit größeren Wetterproblemen zu kämpfen. Die Tiefs kommen schneller, man muss viel häufiger Manöver fahren. Und das ist jedes Mal Schwerstarbeit bis zur Erschöpfung.
Außerdem musste ich immer an meine Unfälle und mein Pech im Atlantik denken, wie etwa die Kollision bei der Route du Rhum. Einmal musste ich nachts in den Mast hoch, selbst bei ruhigem Wetter ist das extrem hart da oben, du schwingst über fünf Meter hin und her. Ich verlor dabei meine Stirnlampe, hing ganz oben fest und fummelte, immer weiter hin- und herschwingend, nach dem Seilende für den „Abstieg“. Da dachte ich nur noch: So, jetzt geht der Sch… wieder los!“ Aber Ende gut, alles gut!
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