Vendée Globe: Pieter Heerema (65) im Ziel – erster Niederländer als Vorletzter in les Sables

"Man darf doch mal Spaß haben"

Vendee Globe, Pieter Heerema, erster Niederländer

Endlich: Pieter Heerema musste zuletzt noch Warteschleifen vor einem Tief drehen © vendée globe/liot

Nach 116:09:24 Tagen segelte Heerema auf seiner „No Way Back“ gestern Abend durchs Ziel. Er musste bis heute Morgen die Flut abwarten, um sich im „Chenal“ von les Sables feiern zu lassen. 

Das mit dem Lebenstraum ist so eine Sache. Von was träumt ein Mann, dessen Leben sowieso schon filmreif verlaufen ist, wenn er sich langsam aber sicher dem Rentenalter nähert? Einer, der so ziemlich alles erreicht hat, was man(n) sich normalerweise so wünscht: eine glückliche Familie, überwältigenden Erfolg im Beruf (Heerema Fabrication Group, Auftragnehmer im Öl-Plattform-Business), ein anständiges Hobby (Pieter segelt seit 54 Jahren erfolgreich Regatten auf 470, Yngling, J’s, Drachen und zuletzt RC 44). Von was träumt so einer nachts und manchmal auch tagsüber? Genau: von einer Einhand-Weltumseglung im Regattamodus. Wie zum Beispiel die Vendée Globe. 

Viel Ahnung hatte er nicht vom Hochseesegeln, als er sich zwei Jahre vor dem Start zur aktuellen Vendée Globe auf die Suche nach einem korrekten Gebrauchtboot machte. Ein paar Mal war er wohl auf Fahrtenschiffen unterwegs gewesen, aber von „Salzbuckel“ (so wie andere Teilnehmer in seiner Altersklasse) konnte keine Rede sein.

Wohlgemerkt, Geld spielte eine eher tertiäre Rolle, als er sich zum Kauf eines Gebrauchtbootes für die Vendée Globe entschloss. Viel wichtiger war ihm, dass seine IMOCA direkt nach dem Kauf einsatzbereit sein sollte. Doch der Markt gab nur wenig Brauchbares her, bis… ja bis der berühmte Spruch „des Einen Leid ist des Anderen Freud“ wieder mal punktgenau zutraf. 

Einer der modernsten IMOCA

Denn kaum hatte Andrea Mura, der italienische Hochsee-Champion, seinen nagelneuen VPLP-Verdier-IMOCA in Lorient für erste Testfahrten zu Wasser gelassen, sprang dessen Hauptsponsor (die Region Sardinien) wegen der grassierenden Finanzkrise ab und einer der innovativsten IMOCA stand von einem Tag zum anderen zum Verkauf. 

Vendee Globe, Pieter Heerema, erster Niederländer

Die No Way Back wird als Boot mit einem der größten Potentiale im Feld angesehen © vendée globe

Heerema überlegte nicht lange, zückte die Kreditkarte und gönnte sich einen Foiler, vor dem selbst die Herrschaften der Banque Populaire oder Baron de Rothschild anerkennend nickend herumlungerten. „Das Problem ist nur, ich weiß nicht so ganz genau genau, ob ich diese Foils jemals in den Griff kriegen werde,“ soll Heerema kurz nach dem Kauf gesagt haben. Doch was soll’s, schließlich hatte er ja nur ein Ziel: Wieder zurück nach Les Sables d’Olonnes kommen. Und zwar nach einer vollständigen Umrundung des Globus. 

Also gab er seiner IMOCA einen Namen, der zwar schon seine RC 44 zierte, der für Heerema auf Hochsee aber Programm werden sollte. Auf der „No Way Back“ wollte Heerema buchstäblich immer nach vorne schauen und segeln. Wohl wissend, dass er dann schon irgendwann wieder in Frankreich ankommen wird. 

Nach einem minimalistischen Trainingsprogramm von 6 Wochen auf den Kanaren, Coaching von Boris Herrmann und eingehender Beratung durch Michel Desjoyeaux qualifizierte sich Heerema schließlich im April 2016 mit der Regatta „Calero Solo Transat“ von Lanzarote nach New York für die Vendée Globe. Die Rückregatta New-York-Vendée gab er zwei Monate später etwa 50 Seemeilen vor dem Ziel auf. 

Ball flach halten

Szenenwechsel. Mitten im Vendée Globe Rummel, ein paar Tage vor dem Start, gibt Pieter Heerema als Einziger aller Teilnehmer in einer Pressekonferenz offen und ehrlich zu, dass er „reichlich Manschetten“ habe vor dem, was da auf ihn zukommen könnte. Seine Erfahrungen mit den beiden Solo-Atlantiküberquerungen hatten ihn offenbar gelehrt, dass „auf diesen Rennern verdammt viel kaputtgehen kann“.

Zudem sei es eine ziemlich doofe Eigenart der Solo-Regatten, dass man eben nicht mal schnell nach einem Techniker rufen könne, führt er weiter grinsend aus. Aber das sei nun mal sein Lebenstraum, und den müsse er sich eben erfüllen. Egal, wie lange das dauern sollte. „Ich habe keinerlei Erfahrung, ich bin mit 65 Jahren einer der Ältesten der Flotte und ich bin auf einem höchst athletischen, völlig überzüchteten Schiff unterwegs,“ sagte er in einem seiner letzten Interviews vor dem Start. „Ich sollte den Ball flach halten“.

Vendee Globe, Pieter Heerema, erster Niederländer

Zuletzt hatte er die „Faxen“ wohl ziemlich dicke © vendée globe / liot

Und genau mit dieser fatalistischen Lässigkeit segelte Heerema über die Startlinie, reihte sich von Beginn an unter den Letzten der Flotte ein, segelte vorsichtig, überaus vorsichtig und behutsam ins „Abenteuer seines Lebens“.  

Noch in der Biskaya musste der Holländer die ersten Probleme an Bord lösen. Ruder, Großsegelschiene und die Elektrik hielten Heerema auf Trab. Es folgte der Körper mit schweren Rückenproblemen, die den Skipper tagelang außer Gefecht setzten. Doch es gibt ja „keinen Weg zurück“, Heerema macht weiter. 

Foils nicht benutzt

Dabei hat er höchsten Respekt vor den Foils. Er sagt, es sei keine gute Entscheidung gewesen, einen Foiler zu segeln. Aber es sei eben kein anderes Boot verfügbar gewesen. Offenbar hat er die Tragflächen gar nicht benutzt. Bis zum Ende der Weltumsegelung kam er auf maximal 16 Knoten im 24 Stunden-Schnitt. Le Cleac’h erreichte bis zu sechs Knoten mehr.

Der 24h-Speed der beiden Foiler von Le Cleac’h (blau) und Hereema.

Trotzdem sagt er: „Wenn alles gut funktioniert und der Wind in der richtigen Stärke aus der richtigen Richtung bläst, ist das Boot richtig schnell. Aber sein gesamtes Potential habe ich noch nicht getestet – mal sehen, vielleicht im Southern Ocean!“ meldete Heerema aus dem Atlantik. 

Erstaunlicher Ost-Schlenker von Hereema. „Es lief gerade so gut.“

Sein Zugang zu dieser Regatta ist irgendwie anders. Das zeigt eine Episode, die er selber auf seinem Blog zum Besten gibt. Man möge sich fragen, warum er in der Nacht so weit nach Osten gesegelt sei, schreibt er. Es ist doch klar, dass man nach Süden müsse.

„Nun…es war so ein toller High-Speed-Reach nach den vielen langsamen Tagen. Als Segler darf man doch auch Spaß haben, oder?… Es war nicht die schlaueste Idee, aber Junge, das war Klasse mal wieder mit über 20 Knoten durch die Nacht zu jagen. Dann bin ich aus der Front gefallen und vernünftigerweise wieder nach Süden abgedreht.“

Scharfe Rothaarige

Wenn er auch zu den ganz Langsamen dieser Regatta zählte, und durch viele kleinere Probleme mit der Elektrik und dem Autopiloten gebremst wurde, so sog eine immer größer werdende Fangemeinde gierig seine Meldungen von Bord auf. Darunter waren nicht nur die Hundertschaften Mitarbeiter seines Unternehmens, die auf jeder Seemeile mit ihrem Boss mitfieberten, auch viele Landsleute, die sonst nichts mit Segeln zu tun haben, interessierten sich plötzlich für die Vendée Globe und deren ersten holländischen Teilnehmer.

In den sozialen Medien machten seine durchaus erheiternden Meldungen schnell die Runde und der Holländer wurde zu einem der Sympathieträger aus der VG-Fraktion „lieber langsam ankommen, als schnell Bruch machen“.

Fast schon legendär ist seine Mail von Bord, mit der er eine vor ihm liegende Schlechtwetterfront mit einer „scharfen Rothaarigen“ vergleicht, die einen Jüngling, der seinen Zug zur Liebsten verpasst hat, in ihrem Sportwagen mitnimmt und schließlich „vernascht“. 

Vendee Globe, Pieter Heerema, erster Niederländer

Hoffentlich hält alles © vendée globe

Im Indischen Ozean folgten Zigzag-Kurse, die besonders dem mangelhaft funktionierenden Autopiloten geschuldet sind. Heerema reihte sich „ganz hinten“ im Feld ein, nur Destremau ist noch langsamer als er. 

Im Southern Ocean bekommt „No Way Back“ „reichlich was auf die Mütze“ und als sich das Jahr 2016 dem Ende zuneigte, gönnte sich Heerema den „Luxus“, vor einigen üblen Tiefs auf die „Bremse“ zu treten, sein Boot deutlich zu verlangsamen, um Stürmen aus dem Weg zu gehen. 

Böse Wetterüberraschungen

Auch im Southern Ocean verändert sich seine Durchschnittsgeschwindigkeit nur wenig. Pieter Heerema segelte respektvoll vorsichtig weiter und ließ Kap Hoorn am 24. Januar an Backbord liegen, als die IMOCA von Armel le Cleac’h, Alex Thomson und Jeremie Beyou längst fest am Steg in Les Sables d’Olonnes vertäut sind.

Im Atlantik wurden die Probleme mit der Navigationselektronik immer schlimmer. Heerema fuhr teilweise orientierungslos und traute sich entsprechend wenige „taktische Schläge“ zu.  Er wich weiträumig mehreren Tiefs aus und verbrachte einige Tage wartend, bis andere Tiefs vor ihm durchzogen. Nach 85 Tagen alleine auf See sprach er erstmals von starker Müdigkeit, und wie sehr er sich nach Hause sehne.

Vendee Globe, Pieter Heerema, erster Niederländer

Geschwindigkeit wird überbewertet © vendée globe

Doch das Wetter hatte noch einige böse Überraschungen für ihn parat: Die Kalmen wollten sich nicht von ihm trennen und später zeigte sich der Nordatlantik von seiner eher ungemütlichen Seite. Noch auf Höhe der spanischen Stadt A Coruna geriet er in die Ausläufer eines weiteren Sturms, der Seegang sei „extrem wild und Southern-Ocean-verdächtig“ schrieb er von Bord. „Das Boot kracht unglaublich laut in die Wellen, hoffentlich hält alles“. 

„Kringel fahren“

Die AIS-Antenne kommt von oben, so dass er in dem stark befahrenen Gebiet eine Notantenne setzen musste. Nach 110 Tagen auf See musste er nochmals zwei Tage lang „Kringel fahren“, bis auch dieses Tief vorüber war.

Nach 29.747 gesegelten Seemeilen erreichte Heerema agestern Abend um halb Elf Uhr als erster Holländer bei der Vendée Globe schließlich das Ziel vor Les Sables d’Olonnes. Etwas mehr als 116 Tage brauchte er für die Erfüllung seines Lebenstraums, was wiederum eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 10,6 Knoten entspricht. In etwa der gleiche Speed, mit dem die Besten der vergangenen Minitransat auf ihren 6,50 m kurzen Booten unterwegs waren. 

„Ich habe das Potential meines Bootes nur zu 60 Prozent genutzt,“ schrieb Heerema während einer seiner letzten „Warteschleifen“. „Dafür bringe ich es mehr oder weniger heil wieder nach Hause!“  Er sei dennoch ziemlich zufrieden mit sich und seiner Leistung, waren mit die ersten Worte, die er hinter der Ziellinie gegenüber der Presse äußerte. „Wenn man etwas anfängt, muss man es auch beenden.“ Und hey, wer glaubt, Lebensträume lassen sich nur im HighSpeed-Modus erfüllen, der ist sowieso auf dem „falschen Dampfer“. 

Vendee Globe, Pieter Heerema, erster Niederländer

Endlich! © vendée globe /liot

Michael Kunst

Näheres zu miku findest Du hier

1 Kommentare zu „Vendée Globe: Pieter Heerema (65) im Ziel – erster Niederländer als Vorletzter in les Sables“

  1. Drachenfan sagt:

    Tolle Geschichte! Vielen Dank über die Einblicke.

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