Vendée Globe: Bilanz nach einem Monat auf See – Boris Herrmann im Hagel

“Bereit für das Tief” 

Boris Herrmann rückt bei der Vendée-Globe nach 30 Tagen auf See auf Platz sechs vor. Charlie Dalin (Apivia) segelt mit 250 Meilen Vorsprung in eine höllische Nacht.

Für die Spitzenreiter der Vendée Globe markieren die anspruchsvollen Bedingungen im Indischen Ozean die schwierigsten bislang. Dafür ist aber die nach einem Monat entstandene Müdigkeit weniger verantwortlich als die Autobahnbedingungen, die der Kurs den Skippern und ihren Imoca-Yachten gerade bietet. Aktuell machen die Kombination aus Müdigkeit, anhaltendem Stress und Windgeschwindigkeiten zwischen 35 und 55 Knoten sowie starker Seegang und technische Probleme die Jobs der Segler hart. Die Durchführung größerer Reparaturen an Bord erscheint unmöglich.

Schon am Vortag und in der Nacht auf Dienstag konnte Charlie Dalin mit Zeitraffer-Segeln bei Durchschnittsgeschwindigkeiten von etwas über 20 Knoten seine Führung auf rund 250 Seemeilen ausbauen. Das ist der größte Vorsprung, den er sich während seiner nun schon über die Hälfte des bisherigen Rennens währenden Führung ersegeln konnte.

Während der „Apivia“-Skipper mit Siebenmeilen-Stiefeln voranstürmte, hatten nahezu alle Konkurrenten in seinem Heckwasser entweder mit technischen Problemen zu kämpfen oder sich mit Blick auf das nahenden maliziös wirkende, etwa 800 Seemeilen breite Tiefdruck-System anders positioniert, denn es bringt in seinem Zentrum mehr als 60 Knoten Wind und bis zu acht Meter hohe Wellen.

Keine guten Aussichten, wenn man ohnehin schon mit Abnutzungserscheinungen und technischen Problemen zu kämpfen hat: Sowohl Louis Burton („Bureau Vallée 2“) als auch Damien Seguin („Groupe Apicil“) haben Ärger mit ihren Autopiloten. Beide mussten immer wieder das Tempo stark drosseln und verloren dadurch einiges an Boden. Damien Seguin ist seit Sonntagabend von Platz drei auf Platz sieben zurückgefallen. Burton rutschte von Platz zwei auf Platz vier zurück. Seguin und sein Team bestätigten jedoch am Dienstag, dass der Solist sein Problem auf See gelöst hat.

Sonnenaufgang im Southern Ocean. © Romain Attanasio / PURE – Best Western

In der Zwischenzeit hat sich Yannick Bestaven („Maître Coq“) gut geschlagen. Der Franzose rückte auf Rang drei hinter Charlie Dalin und Thomas Ruyant („LinkedOut“) vor. „Ich habe das Gefühl, in sehr kurzer Zeit mehrere unterschiedliche Lebensabschnitte gelebt zu haben“, sagte Bestaven, der seine zweite Vendée Globe bestreitet, aber bei seiner Premiere schon Tag fünf nicht mehr erlebt hatte. Der 30-jährige Bestaven stellte fest: „Es passiert so viel an einem Tag, dass man es sich nicht vorstellen kann. Manchmal frage ich mich, was zum Teufel ich hier draußen mache, im absoluten Nirgendwo in sehr rauer See.“

Boris Herrmann: „Bereit für das Tief“

Boris Herrmann konnte im Verlauf des 30. Tages auf See nach sehr schnellen Phasen von Platz acht auf Platz sechs vorrücken. Der 39-jährige Skipper der „Seaexplorer – Yacht  Club  de Monaco“ hatte am Dienstagmorgen von Bord vermeldet: „Von jetzt an wird der Wind zunehmen und erst in 48 Stunden etwa 800 Seemeilen von hier wieder nachlassen. Es wird das stärkste Tief sein, das wir bislang hatten. Ich bin bereit dafür. Mein nächster innerer Meilenstein ist die Halse am Donnerstag – dann weiß ich, dass ich das Schlimmste überstanden habe und über die folgenden 1600 Seemeilen bis Kap Leeuwin leichtere Bedingungen haben werde, wo ich voraussichtlich am 13. Dezember sein werde.

Der andere große Meilenstein wird dieser Freitag sein. An diesem 11. Dezember wird der Wind erstmals seit Eintauchen in den Southern Ocean auf unter 15 Knoten abnehmen. Dann kann ich meine J2-Reparatur und einige andere notwendige Jobs abhaken. Die J2 zurückzugewinnen, wird meiner Zuversicht Aufwind bescheren, weil mir dieses Segel einen ganzen Ozean über fehlt. Das hat mein Leben schwerer gemacht und viele Meilen gekostet. Ich freue ich mich auf das Comeback des Segels.”

Die als Gesamt-Neunte und beste Skipperin in den Top Ten segelnde Deutsch-Französin Isabell Joschke („MACSF“) reflektierte am 30. Tag auf See die Verhältnisse nachdenklich: „Ich bin noch nicht total akklimatisiert hier im Southern Ocean. Ich denke, die Vendée Globe ist auf jedem ihrer Schritte mental schwierig. Erst musst du das Südmeer erreichen. Und dann bist du da und denkst: ‚Oh, hier werde ich nun für 40 Tage sein.“ Dann sind da einfach diese Zweifel: Werde ich das alles überleben? Wird mein Boot das alles überleben? Da sind viele, viele Zweifel. Ich fühle mich hier unten viel verletzlicher als im Atlantik.“

Dem Rekordtempo von 2016 hinterher

Obwohl der vergangene Monat kaum weniger als die Hälfte der vor dem Start prognostizierten Rekordzeiten repräsentiert, haben die schnellsten Boote erst 38 Prozent des gesamten Kurses absolviert. Die Spitzengruppe befindet sich mitten im Indischen Ozean. Armel Le Cléac’h, Sieger der letzten Vendée-Globe-Auflage, hatte zum Vergleichszeitpunkt bereits Kap Leeuwin passiert.  Das Wetter hat schon seit dem Start ein schnelles Rennen nur selten ermöglicht. Deshalb blieben imposante 500-Seemeilen Tage bisher aus .

Wetterberater und Weltumsegler Sébastien Josse sagte: „Das Szenario auf  der Bühne der Vendée Globe ist mit elf Booten im Umkreis von 600 Seemeilen im Indischen Ozean, die unterschiedlichen Design-Generationen angehören,  einfach unglaublich!“  So liegen zwischen der Entstehung der aktuell zweitplatzierten „LinkedOut“ von Thomas Ruyant und der fünftplatzierten „OMIA – Water Family“ von Benjamin Dutreux zwölf Jahre.

In der Nacht zum Mittwoch werden alle Augen der Vendée-Globe-Segelwelt auf Charlie Dalins „Apivia“ gerichtet sein, der es voraussichtlich mit Winden von mehr als 50 Knoten und orkanartigen Böen zu tun bekommt. Sein ärgster Rivale Thomas Ruyant dagegen, der bereits den Bruch eines Foils zu beklagen hatte, hat seine Fahrt zeitweise absichtlich verlangsamt, um die schlimmsten Bedingungen zu vermeiden. Ganz ist  es ihm nicht gelungen.

Nicht dem „Wolf ins Maul“ werfen

Das aktuelle Leben auf See beschrieb am Dienstagnachmittag Yannick Bestaven als „tierische Lebensbedingungen“ an Bord von „Maître Coq IV“. Der Skipper sagte: „Ich habe die Foils hochgezogen, weil die Stöße so heftig sind. Ich segle einfach in alle Richtungen. Ich tue alles, um nicht vor die Front zu geraten und mich damit dem Wolf ins Maul zu werfen.“

Das extreme Tiefdruckgebiet beeindruckt die führende Gruppe: Von Bestaven bis Maxime Sorel (11.) sind es neun Boote, die langsamer geworden sind, damit sich die Front nach Süden bewegen kann und die Boote nicht hindurchsegeln müssen. Doch sowohl „Apivia“ als auch „LinkedOut“ sind bereits zu weit im Osten, um intensiverere Begegnung noch zu vermeiden. „Apivia“ noch mehr als „LinkedOut“. „Apivia“-Skipper Dalin hat bereits erste Härtests durchgestanden und am Nachmittag bei verlangsamter Bootsgeschwindigkeit Seitenwind von über 40 Knoten weggesteckt.

DIE BILANZ NACH EINEM MONAT: FAKTEN & ZAHLEN

Vor einem Monat ist die Flotte der 33 Starter – darunter 27 Männer und sechs Frauen – trotz der weltweiten Gesundheitskrise in die 9. Auflage der Vendée Globe gestartet. Der 8. Dezember ist deshalb ein Datum, das sich vier Wochen nach dem Start am 4. November gut für eine erste Zwischenbilanz eignet. Nach 30 Tagen Segelsport auf hoher See fand deshalb eine Pressekonferenz im Regattadorf im Start- und Zielhafen Les Sables d’Olonne statt, bei der Yves Audinet als Präsident der Vendée Globe, Lionel Pariset als Vendée-Globe-Deligierter der Stadt Les Sables d’Olonne und Renndirektor Jacques Caraës anwesend waren.

„Die Organisatoren der Vendée Globe hatten erstmals in der Geschichte des Rennens die Herausforderungen einer globalen Gesundheitskrise zu bestehen. Auf dieses nie dagewesene Umfeld mussten sich alle Beteiligten – die Organisatoren, die Segler, die Teams und die Öffentlichkeit – einstellen, um den Start der 33 Teilnehmer zu ermöglichen, die bereit waren, in die Einhandregatta um die Welt ohne Hilfe von außen zu starten. Trotz aller Schwierigkeiten wurde diese Herausforderung bestanden. Nach einem Monat Regattasport fällt der Rückblick wirklich exzellent aus”, sagte Yves Audinet.

Renndirektor Jacques Caraës blickte auf das Rennen selbst und sagte: „Das Wetter ist bislang nicht einfach gewesen. Im Southern Ocean waren mehrere Systeme sehr aktiv. Was eine sehr chaotische See und hohe Wellen verursacht hat. Es ist eine besonders schwierige Vendée Globe. In der nördlichen Hemisphäre haben sie nicht die erhofften schnellen Kurse in den Passatwinden gefunden. Nur die Passage durch die Doldrums war schneller als sonst.“ Weiter sagte Caraës zur Ausfallquote: „Von den 33 Startern mussten fünf mit Schäden aufgeben. Diese Quote ist unglücklicherweise keine Überraschung. Wir müssen uns daran erinnern, dass die durchschnittliche Ausfallquote bei etwa 50 Prozent liegt. Und für den Moment sind hauptsächlich die neueren Boote betroffen.“

Vendée Globe auf allen Kanälen

# 41 TV-Sender haben live vom Start berichtet, der in 190 Ländern übertragen wurde (vg. 177 in 2016)

# Die internationale Berichterstattung ist sprunghaft angestiegen: Bei 192 Millionen Kontakten und 16.239 veröffentlichten Artikeln beträgt der Anzeigenäquivalenzwert 13,9 Millionen Euro

# Die digitalen Medien wurden intensiv frequentiert: Die Website der Vendée Globe hat 5,48 Millionen Seitenaufrufe verzeichnet. Besonders beeindruckend: Die Zahlen sinken auch nach einem Monat nicht

# Alleine bei Facebook hat die Vendée Globe 379.426 Abonnenten (vergl. 264.000 in 2016 = +44%).
Bei Twitter sind es 90.500 Follower (vergl. 54.000 in 2016 = +68%).
Bei Instagram sind es 168.000 Abonnenten (vergl. 23.800 in 2016 = +606%).
Bei YouTube wurde gar ein Abonnenten-Plus von 684 % registriert.

# Der Erfolg des virtuellen Rennens ist bahnbrechend: Mit 975.000 registrierten Spielern ist die Millionenmarke nicht mehr weit.

Quelle: Vendée Globe

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