Vendée Globe: Großer Bahnhof für Samantha Davies – 102 herzkranke Kinder gerettet

Siegerin FÜR die Herzen

Bei ihrer mental härtesten Vendée Globe wuchs Samantha Davies, die 46-Jährige Mutter zweier Kinder, über sich selbst hinaus. Nach einer Kollision mit einem UFO beendete Sam Davies das Rennen außer Konkurrenz – und zeigte ein Herz für Kinder.

Samantha Davies nach Beendigung ihrer Weltumsegelung. © Vincent Curutchet / Alea

Zuletzt zählten nur noch die Herzen und die Zahl 100. Die Herzen der Kinder, die Samantha „Sam“ Davies mit ihrer Tortour rund um die Welt gerettet hatte. Und die Herzen, die ihr von den Menschen zufliegen würden, die „ihre Sam“ im Ziel erwarten. Ganz egal ob persönlich oder coronabedingt virtuell, also zuhause, in den Schulen und in den Krankenhäusern vor den Bildschirmen.

Riesiges Samantha Davies-Konterfei im Sand von les Sables d’Olonnes © tonnelier

Mindestens 100 herzkranke Kinder wollte Sam Davies gemeinsam mit ihrem Sponsor „Initiative Coeur“ durch gespendete Operationen vor dem sicheren Tod retten. Das hatte sich die britische Skipperin mit Wohnsitz im französischen Lorient felsenfest vorgenommen – und wenige Tage vor dem Ziel meldete „Initiative Coeur“, ein Zusammenschluss französischer Herzchirurgen und medizinischer Mäzene, Vollzug: Die Hundert war überschritten, Sam hatte das für sie ganz offensichtlich wichtigste Ziel dieser Vendée Globe erreicht. 

Initiative für die Herzen der Kinder

Schon seit Jahren ist „Mécénat Chirurgie Cardiaque“ unter dem Label „Initiative Coeur“ im Hochseesegelsport aktiv. Der humanitäre Verein ermöglicht es Kindern mit schweren Herzfehlbildungen in Frankreich operiert zu werden, wenn dies in ihrem Heimatland aufgrund fehlender technischer oder finanzieller Mittel nicht möglich ist.

Ein Herz für Kinder auf dem Tracker der Vendée Globe © vendée globe

Das Prinzip ist simpel: Sponsoren und Mäzene geben etwa für jeden Klick oder jedes Abonnement in den Sozialen Medien einen Betrag an den Verein weiter. Zudem kann im Laufe der Vendée Globe von jedem gespendet werden, der sich für diese Initiative der Herzen begeistert. Weil er oder sie eben mit den Hochsee-Protagonisten von „Initiative Coeur“ mitfiebern.

Vor Samantha Davies segelte Tanguy de Lamotte unter dem Label (und mit der gleichen Intention) während der Vendée Globe 2012 um die Welt. De Lamotte glänzte zwar nicht mit herausragenden Platzierungen, segelte sich aber mit einer hervorragenden Medienarbeit in die Herzen der Menschen. Schon damals war der Spendenerfolg ausgesprochen herzerwärmend. Legendär de Lamottes Video „Smoke on the Water“ aus dem Southern Ocean, der allein Dutzenden herzkranken Kindern buchstäblich das Leben rettete. 

Samantha Davies löste De Lamotte vor vier Jahren bei Initiative Coeur ab. Ihr Vorgänger wollte einen anderen Lebensweg einschlagen, sie selbst fand bei den Ärzten eine ideale Plattform für ihre sportlichen und humanitären Ambitionen. 

Perfekte Nachfolgerin von Ellen MacArthur

Nach einem vierten Rang bei der Vendée Globe 2009 war die Britin sogar bei den sonst eher patriotisch eingestellten Franzosen zu einem Segel-Superstar gereift. Fortan prägte Samantha Davies die Hochseesegelszene der Bretagne maßgeblich mit. 

2010 wurde sie Vierte beim Transat AG2R auf Figaro 2, im Jahr 2012 wollte sie bei der nächsten Vendée Globe unbedingt aufs Podium – und musste schon früh nach Mastbruch aufgeben. Doch auch hier zeigte sie bereits ihr medienspezifisches Gespür. Statt gemütlich von den Kanaren aus nach Hause zu fliegen, segelte sie höchstpersönlich ihren gerupften, entmasteten IMOCA mit einem Laser-Segel (!) als Vortrieb nach Hause. 2015 führte Samantha beim Volvo Ocean Race die Frauencrew auf SCA als Skipperin an – ein Meilenstein für Samantha und wohl auch für alle anderen Frauen in der Hochseeszene. 

Vorsicht – Sam Davies ist nicht nur die herzallerliebste, immer freundliche Team-Mate. Sondern kann auch knallhart segeln  © initiative coeur/davies

Nach ihrer anschließenden Rückkehr in die IMOCA-Szene empfahl sich Sam Davies weiterhin als Spitzenkandidatin. Sie wurde Vierte beim Bermudes 1000 Race, Siebte beim Transat Jacques Vabre, Vierte beim Vendée Arctique. Kein Wunder, dass die französischen Medien und die Szene sie für einen Top Five-Rang bei der Vendée Globe 2020/21 fest einplanten. 

Doch es sollte bekanntlich alles anders kommen. Wie SR-Leser längst wissen, bretterte die Britin kurz vor der Einfahrt in den Indischen Ozean am 2. Dezember in ein UFO. Samantha nimmt an, dass sie einen Wal rammte, die Shore Crew glaubt aufgrund der Schäden am Boot eher an einen Baumstamm oder Container. Wie auch immer, Samantha musste mit schwerem Kielschaden das Kap der Guten Hoffnung anlaufen. Dort ließ sie das Boot von ihrem mittlerweile angereisten Team aus dem Wasser kranen, um den tatsächlichen Schadensumfang zu eroieren. Womit die Nonstop-Einhand-Weltumseglung folgerichtig abgebrochen war und Samantha musste die Vendée Globe aufgeben. 

Doch Sam  gab nur nur das Rennen auf – nicht ihre Mission!

Aufgegeben und doch weitergesegelt

 Zehn Tage später wurde ihr repariertes Boot wieder ins Wasser gelassen. Ohne die sonst üblichen Testschläge segelte die Initiative Coeur außer Konkurrenz ihren ehemaligen Konkurrenten hinterher . Mit 900 Seemeilen Abstand zum letzten Boot war der erfahrenen Samantha Davies klar: Es wird einsam im Southern Ocean. 

Einsam und gefährlich. Denn ein IMOCA, der noch vor ein paar Tagen mehr oder weniger notdürftig am Kiel repariert wurde, ist so etwas wie eine Wundertüte, die nicht nur Erfreuliches enthält. Entsprechend sorgenvoll bog sie in die Antarktischen Breitengrade ein, wohl wissend, dass sie hier niemand retten kann und wird, sollte es ihr ähnlich ergehen wie etwa Kevin Escoffier.  

Sam Davies bei der Arbeit. © davies/ initiative coeur

„Jedes Mal, wenn das Boot auf über 15 kn Fahrt beschleunigte, wurde es mir mulmig,“ schrieb Samantha auf Facebook. „Ich hatte kaum noch Vertrauen in das Boot“. 

Wozu sie allen Grund hatte. Denn die Initiative Coeur war müde, richtig müde. Es gab viel zu reparieren, auszuwechseln, notdürftig zu beheben. Probleme, von denen Samantha nur selten berichtete, die jedoch in ihrem immer erschöpfter wirkenden Gesicht abzulesen waren.

Ehe-Regatta verloren

Ein besonders schwieriger Moment war dann die Zielankunft ihres Ehemannes und IMOCA-Mitstreiters Romain Attanasio, der das Rennen als 14. beendete.  Samantha sagte damals im Video: „Um ehrlich zu sein: Wir dachten ja beide, dass ich als Erste ankommen und ihn dann empfangen würde. Und jetzt ist es umgekehrt. Ich weiß echt nicht, ob mir das so richtig gut gefällt!“ 

„Bravo, mein Liebster“. Samantha Davies freut sich, dass ihr Man Romain Attanasio im Ziel angekommen ist. © Sam Davies / VG

Als auch Konkurrentin und Freundin Isabelle Joschke aufgeben musste, schlug Samantha sogleich vor, nach deren Reparatur am Boot gemeinsam heimzusegeln. Das funktionierte auch während der ersten 10 Tage relativ gut. Beide Boote segelten unweit voneinander durch lange Flauten-Passagen auf Äquator-Höhe und die beiden Frauen tauschten sich im stündlichen, wenn nicht sogar minütlichen Chat über „Gott und die Welt und natürlich über ihr Pech bei dieser Vendée Globe aus“.

Zuletzt machte alles schlapp – auch der Verklicker! © sam davies

Doch selbst dieses gemeinsame „Heimgurken“ konnte Samantha Davies nicht zu Ende führen. Vor der Einfahrt in die Biskaya musste sie Isabelle ziehen lassen, weil der IMOCA Initiative Coeur kein stolzer, auf Foils fliegender Albatross mehr war, sondern sozusagen „auf allen Vieren“ erschöpft den Hafen herbeisehnte.

Ein Herz im Tracker

Letzte Nacht tauchte die Britin auf der Initiative Coeur schließlich doch vor der Vendée-Küste auf. Gerade die letzten Meilen segelte Samantha Davies wie auf Eiern, nachdem sich auch noch ihr Verklicker aus dem Dienst verabschiedet hatte. Ohne Windanzeiger wollte Sam zwischen den Fischerei-Flotten kein Risiko eingehen (in Memory Boris H.). 

Dafür leistete sie sich abschließend ein wahrlich herzerwärmendes Stück Seemannschaft. Auf ihrer Initiative Coeur segelte sie eine herzförmige Route, die auf dem Tracker der Vendée Globe perfekt zu erkennen ist. Mehr als 100 herzkranke Kinde gerettet, zehntausende Kinder in den Schulen und Kindergärten für Initiative Coeur begeistert und bis zuletzt herzerwärmend für die Sache geworben – mehr Herz geht nicht, Frau Davies! 

Heute Morgen harkte eine örtliche Künstlerinitiative ein riesiges Konterfei von Sam als Dankeschön in den Sandstrand von Les Sables d’Olonnes. Ein wunderbares, vor allem aber meidenträchtiges Geschenk an die wohl charismatischste Seglerin dieser Vendée Globe.

Willkommen zurück, Samantha Davies – Siegerin FÜR die Herzen. 

Und so kam es, dass Sam Davies, die Seglerin, die ein Herz für Kinder zeigte und die schwierigste Regatta ihres Lebens zu Ende bringt, wohl den größten „Bahnhof“ dieser Vendée Globe erhält. 

Michael Kunst

Näheres zu miku findest Du hier

1 Kommentare zu „Vendée Globe: Großer Bahnhof für Samantha Davies – 102 herzkranke Kinder gerettet“

  1. alikatze sagt:

    Danke MiKu für diesen wieder wundervollen Beitrag! Es macht immer Freude, Dich zu lesen.
    Sam Davies verfolge ich sehr gerne – das Herz vor der Küste hab ich schon früh am Morgen entdeckt. Es ist sehr schön, dass viele der Segelprofis eine soziale Verantwortung übernehmen und damit ein Beispiel geben.

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