New York-Vendée: Herrmann auf der Buckelpiste – Führung verloren aber stark im Rennen

"Aeolus und Neptun haben die Sieger erwählt"

Malizia ist der Absprung von der Konkurrenz geglückt. Er segelt einsam auf Nordkurs. Kann der Extremschlag aufgehen? Der 50-Meilen-Vorsprung zum ärgsten Konkurrenten ist scheinbar aufgebraucht.

Boris Herrmann Malizia

Zufriedener Blick zurück. Schon viele schnelle Meilen liegen imKielwasser. © Team Malizia

Es klingt ein wenig arrogant. „Boris hatte einen guten Start in das Rennen und ist im Norden sehr schnell unterwegs gewesen. Aber wenn wir auch dort positioniert sein wollten, dann wären wir es.“ Sam Goodchild, der den wohl schnellsten IMOCA der vergangenen Generation von Thomas Ruyant übernommen hat, segelt aktuell auf Platz fünf und wird fast 300 Meilen hinter Boris Herrmann gelistet.

Sein Kommentar ist schon ein Tag alt. Und es ist nicht bekannt, ob er ihn inzwischen revidieren würde. Da der Brite eher zu den freundlichen Erscheinungen der Szene gehört, dürfte seine Einschätzung auch nicht abwertend gegenüber Herrmann gemeint sein. Ihm liegt Überzeugung zugrunde.

Boris Herrmann Malizia

Herrmann bei der Arbeit. © Team Malizia

Damit war er nicht allein. Schließlich segelt Goodchild im Pulk der Favoriten zeitweise in Sichtweite der Kollegen. Die schienen sich lange darüber einig, dass der schnellste Weg zur Ziellinie der New York-Vendée-Regatta möglicherweise eher südlich der Azoren verläuft.

Herrmann hingegen befindet sich mehr als 500 Meilen im Norden. Er kämpft sich auf einer brutalen Buckelpiste immer weiter vom Feld weg. Sein jüngstes Video zeigt, wofür er das Bett mit Mountainbike Stoßdämpfern abgefedert hat. Die Schläge für Mensch und Material sind heftig:

Kann das gut gehen? Herrmann gibt dazu keine Eischätzung ab, aber seine Stimmung in der Übertragung kann nicht verhehlen, dass er sich trotz unangenehmer Außenwelt sehr wohl fühlt. Er lässt das Ergebnis offen, spricht von einer „guten Show“, die durch den extremen Split des Feldes dem Publikum geliefert wird und sagt: „Es ist super unklar, was dabei herauskommen wird.“

Aber inzwischen kristallisiert sich immer mehr heraus, dass dem Deutschen wohl ein echter Coup gelingen könnte. Die Konkurrenz legt sich in der Bewertung der Rennsituation jedenfalls schon fest. Bei TR-Racing, dem Rennstall von Thomas Ruyant und besagtem Sam Goodchild, heißt es inzwischen:

„In einer Hochseeregatta ist nie etwas vollständig entschieden, bevor man die Ziellinie überquert. Aber nun scheint es, als hätten die Götter Aeolus und Neptun ihre Sieger gewählt.“ Boris Herrmann und Charlie Dalin hätten die  Sperre einer riesigen aktiven Front passiert kurz bevor sie sich vor die Bugspitzen der 26 anderen Teilnehmer schob.

Boris Herrmann Malizia

Die Schaltzentrale von Malizia. © Team Malizia

Seitdem werden die Abstände zugunsten des entkommenen Duos von Stunde zu Stunde größer. „Der Rest segelt nur noch um Platz drei.“ Die Champions jammern. Goodchild sagt: „Die Vorhersagen ändern sich alle zwölf Stunden, und wir bekommen nie ganz das, was vorhergesagt wurde. Der Golfstrom hat es uns nicht erlaubt, so weit voranzukommen, wie wir gehofft hatten. Wir waren nicht in der Lage, die Front zu erreichen, die sich vor uns weiter nach Osten bewegt.“

Boris Herrmann Malizia

Der „Sessel“ auf dem der Skipper rücklings liegen kann und den Bildschirm über sich sieht. © Team Malizia

Kein Wunder, dass Herrmann froh ist. So hat sich seine gute Position am Wochenende entwickelt:

Am Freitag gegen 22 Uhr ist Malizia in eine gefährliche Lage geraten. Die Favoriten halten etwa 30 Meilen weiter südlich deutlich tiefer…

…Um 6 Uhr Sa Morgen scheint Herrmann böse erwischt zu werden. Er segelte in den vergangenen 4 Stunden gut 5 Knoten langsamer als etwa Goodchild auf Platz 6. Die Gegner scheinen näher am erwarteten Südwind (u.r.). Malizia wird 11 Meilen achteraus auf Platz 3 geführt…

…Fünf Stunden später schiebt sich Malizia mit stärkerem Nordwind wieder heran, aber das Quintett im Süden scheint den starken Südwind eher erreichen zu können…

…Um 17 Uhr am Samstag hat Herrmann mit dem Nordwind den Anschluss wieder geschafft…

…Gegen 21:30 ist dem Trio Herrmann, Dalin und Lunven der Übergang zur Südwindzone geglückt. Sie segeln mit 12 Knoten, Ruyant, Beyou und Goodchild treiben mit fast ohne Fahrt in der Flaute…

…Sonntagmorgen um 7 Uhr ist die Spitzengruppe wieder gleichschnell unterwegs, aber Herrmann begibt sich erneut in eine extreme Luvposition. Das erscheint sehr ambitioniert und gefährlich…

…Aber gegen Mitternacht scheint die Entscheidung gefallen zu sein. Das Feld im Süden wird von der Flaute eingeholt, Dalin (gelb) schafft den Absprung noch nach Norden, Lunven nicht mehr. Ihm ist der Bugspriet gebrochen. Malizia hat die Anliegelinie zum Sperrgebiet erreicht…

…Um 11 Uhr Montagmorgen sind die Karten gelegt. Malizia steuert auf den Nordwestwind im Norden zu, Dalin folgt und wird aktuell in Führung geführt. Aber er muss wohl noch abfallen, um das Hochdruckgebiet im Norden zu umfahren…

„Diese instabilen Bedingungen sind eine Herausforderung“, sagt auch Herrmann. „Jetzt ist es etwas ruhiger, aber die See ist sehr konfus. Damit kommen wir zurecht. Ich beobachte Charlie Dalin auf dem Tracker und kann seine Geschwindigkeit erkennen. Wir sind jetzt auf unterschiedlichen Wegen unterwegs, daran können wir nichts ändern.

Ich bin da ein bisschen gespalten. Einerseits würde ich gerne nahe neben jemandem segeln, um den direkten Wettbewerb zu haben. Das ist immer schön. Aber andererseits denke ich, dass wir so auch eine gute Vorstellung abliefern.

Boris Herrmann Malizia

Herrmann mit Schlafmaske und fixiertem Kopf. © Team Malizia

Nach dem ersten Drittel des Rennens fühle ich mich mental und körperlich in Ordnung. Ich hoffe, dass ich mich nach der ganzen Arbeit in den vergangenen Tagen ein wenig erholen kann. Es war wirklich hart. Jetzt geht es mehr ums Aushalten als um viele Manöver. Wenn ich Glück habe, muss ich nicht zu oft zwischen J2 und J3 wechseln und kann das Boot seine Arbeit machen lassen!“

Dieses Rennen läuft offenbar auf ein Duell zwischen Herrmann und Dalin heraus. Der Franzose hatte sich schon ein wenig geärgert. „Die Querung der Zone mit der Front war kompliziert. Ich denke, ich bin etwas zu weit nach Norden gesegelt und hätte es besser machen können“, berichtet Dalin vor einem Tag. Auch wenn er sich über seine Position nicht beschweren dürfte.

Aber er wundert sich wie die Kollegen über die Ungenauigkeit der aktuellen Wetterberichte. „Ich raufe mir die Haare.  Nichts stimmt mit den Vorhersagen überein. Von einer Datei zur anderen ändert sich alles. Die Systeme sind nicht dort, wo sie sein sollten. Ich habe noch nie eine solche Vorhersagen gesehen…Es ist wirklich Chaos auf dem Atlantik.“

 

Der Kanadier Scott Shawyer fasst die Situation bei seiner ersten IMOCA-Solo-Ocean-Race-Regatta so zusammen: „Es war bisher zermürbend, viel schwieriger als ich dachte, das steht fest. Von Land aus sah das Wetter sehr einfach aus, und es sieht immer noch einfach aus, aber es ist alles andere als einfach. Es sieht nicht annähernd so aus, wie es die Modelle zeigen.

Der Golfstrom hat einen enormen Einfluss, das sieht man an der Streckenführung und auch an dem Vorwärtskommen. Es kostet viel mehr Zeit und Energie, die Segel zu wechseln und sich um das Boot zu kümmern. Ich bin ziemlich erschöpft, ich bekomme nicht genug Schlaf. Ich muss schlafen.“

Vendée – New York Tracker

Carsten Kemmling

Der Mann von der vordersten Front. Mehr zu ihm findest Du hier.

8 Kommentare zu „New York-Vendée: Herrmann auf der Buckelpiste – Führung verloren aber stark im Rennen“

  1. PL_lukas.unertl sagt:

    Danke für den guten Bericht.
    Gefühlt würde ich auch sagen dass das sehr schwer wird. Zwar scheint sich Dalin für den Amwindkurs zu entscheiden. Aber wie auch im Podcast erwähnt, weiß das Team um Boris wohl mehr, oder scheint eine Vermutung zu haben die ich bisher noch nicht sehe.
    Ich bin gespannt ob sich der Tracker für uns Beobachter bis zur Vendée nochmal weiterentwickelt.

  2. PL_michaele.weimann sagt:

    Danke für den schönen Bericht, – besonders für die Screenshots. Sehr anschaulich! Ich frage mich, wie Boris durch die Hochdruckgebiete im Norden kommen will. Da ist ja schon auch ein Zeitdruck.

  3. Joe sagt:

    Das ist jetzt aber ziemlich extrem ……. Erinnert mich ein bisschen an Bernard Moitessier – „Der verschenkte Sieg“.

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