Es sieht so gut aus im letzten Rennen. Dritter Platz an der letzten Luvtonne. Das Schicksal scheint es gut zu meinen. Denn was wir nicht wissen: Ein Frühstarter voraus fällt noch aus der Wertung. Also eigentlich Rang zwei. Der würde am Ende Platz zwei im Travemünde-Ranking bedeuten und die Tabellenführung.
Es ist kühl geworden an der Trave. Den ganzen Tag nieselt es schon. Die Spraytopps werden übergeworfen, die Sonnenbrillen weggelegt. Nach zwei Tagen mit traumhaften Bedingungen und rasanten Glitsch-Einlagen am Sonntag sind nun wieder Flauten-Fähigkeiten gefragt.
Beim dritten „Spieltag“ der Segel Bundesliga geht es in die entscheidende Phase. Vier Rennen sind noch zu absolvieren. Und es läuft wirklich gut für unser WVH-Team. Erstmals sind WVH-Urgestein Jens Tschentscher und Neuzugang Sven Gauter bei mir an Bord. Nur Kite-Trimmer und Kreuz-Taktiker Eike Martens war gerade beim Russland-Abenteuer und in Starnberg mit dabei.
Wir kommen gut in die Serie. Die Kommunikation spielt sich mit jedem Lauf besser ein. Und selbst ohne Starkwind-Praxis überstehen wir den hektischen Sonntag auf hohem Niveau. In zehn Rennen gelingen vier Siege und wir bewegen uns stabil auf einer Podium-Position. Und die direkten Tabellennachbarn VSaW, BYC und NRV haben Schwierigkeiten.
Die Berliner schleppen einen Frühstart durch die Serie und sind nach 11 von 16 Rennen Elfte, die Bayern kommen nicht in einstellige Regionen, und selbst der NRV rutscht nach sechs Läufen auf Platz 16 ab, bevor die Hamburger einen eindrucksvollen Zwischenspurt mit vier Siegen in Folge hinlegen.
Also nun den Sack zumachen in diesem letzten Rennen der Serie. Die ersten beiden an diesem Tag waren äußerst mühsam mit zwei vorletzten Plätzen. Einen Nachzügler am Start übersehen, einmal die Layline zur Luvtonne zu hoch angefahren – das reicht schon für die volle Punktzahl.
Aber nach einem Sieg im dramatischen 15. Lauf sind wir wieder Dritte.
Interview nach dem vorletzten Rennen:
Erst sieht es schon so aus, als würde Rennen 16 nicht mehr stattfinden. Der Wind dreht weiter nach links, der Kurs muss verlegt werden, Startverschiebung wird gezogen. Das Zeitlimit für den letzten erlaubten Flight-Start um 15:15 Uhr droht abzulaufen. Dann geht doch noch was.
Guter Start, aber falsche Seite. Links geht nix, und der Weg nach rechts ist versperrt. Wieder nur Rang fünf an der Luvtonne. Doch die Jungs an Bord können kämpfen. Das haben sie in den vergangenen beiden Tagen gezeigt. Ruhig bleiben und die Chancen nutzen.
Am Leetor sind wir wieder dran. In Luv sogar Dritter. Vor dem Wind erstmal geradeaus. Auf dieser Seite haben wir bei der ersten Runde aufgeholt. Ob die parallel strömende Trave dort hilft? Schließlich bremst dort irgendetwas auf der Kreuz.
Jens würde lieber früh halsen, aber ich habe kein gutes Gefühl dabei. Wir würden die Kontrolle des SV03 aufgeben, der mächtig Druck von hinten macht. „Welle von vorne“, sagt Sven. Mist. Anspitzen, Speed und Schwung holen. Der Spi flappt hin und her, die Strömung reißt ab, die Geschwindigkeit sackt auf vier Knoten.
Die Berliner rutschen nach Lee in die Blockier-Position. Dann werden sie selber vom Wellenschlag erwischt. Wir rutschen wieder vorbei. Aufatmen. Das Duell ist gewonnen. Nur noch eine Halse und der letzte Schlag zum Ziel.
Aus dem Augenwinkel sehe ich etwas Blaues von links kommen. Shit. Ist das schon Kumpel Willi? An der Luvtonne lag er noch fünf Längen achteraus und ist dann früh gehalst. Kann er wirklich so sehr aufgeholt haben? Große Druck-Unterschiede waren nicht zu erkennen. Ich will es nicht wahr haben.
Wir ahnen nicht, dass sie wohl von unserem Wellen-Malheur profitieren. Offenbar schwappen die Stopper nicht gleichmäßig über die Bahn. Wir erwischen nur die Bug- und Heckwellen der ORC-Yacht-Flotte, die von ihren Meisterschaftsrennen zurückkommen. Einigen Skipper ist es nicht bewusst, dass sie das Zünglein an der Waage spiegeln könnten. Und wir antizipieren diese Gefahr nicht, die den möglichen Vorteil auf der rechten Vorwindseite zunichte macht.
Aber es ist ja Willi, der da nun von links kommt. Mein ehemaliger FD-Steuermann und bester Kumpel. Mit seiner Frau Suzy steuert er den Aufsteiger vom Schlei Segel-Club an diesem Wochenende immer wieder in sensationelle Spitzenpositionen.
Vergangene Woche haben wir uns noch gemeinsam eisenhart beim Family-Cruising im Ionischen Meer auf diese Liga-Herausforderung vorbereitet. Willi übte schon mal das Pumpen mit der direkten Part und war kurz davor, den Bavaria-Charter-Eimer auf eine Welle zu reißen:
https://www.facebook.com/carsten.kemmling/videos/3110465415645457/
Keine Ahnung, was so richtig in meiner Birne vorgeht. Irgendwie verzögert der Gedanke an die Identität des Gegners meinen Drang zum regelkonformen Ausweichen. Es klappt nicht mit dem Cross. Ignorieren hilft einfach nicht. Sicher ausweichen, Willi vorbei lassen, den Punktverlust akzeptieren und Gesamtplatz vier sichern.
Aber nein. Irgendwas hakt da im Oberstübchen. Viel zu spät drehe ich in die Ausweich-Halse, ein klarer Regelverstoß, ich sehe unter meinem Großbaum ins gegnerische Schiff, erkenne, wie eine Hand zur Protestflagge greift, und weiß genau, was kommt: Pfiff vom Schiri, rote Flagge, Penalty vor der Ziellinie, letzter Platz!
Was für eine beschissene Dramaturgie. Ausgerechnet der Kumpel verpasst uns den entscheidenden Niederschlag. Er ist danach bestürzt. Ärgert sich, die Flagge gezogen zu haben. Schließlich hatte er in dem Moment, als wir zum Ausweichen gezwungen wurden, Rang zwei gesichert. Auch in der Gesamtwertung. Ein unglaublich starkes Ergebnis. Die größte Überraschung an diesem Liga-Spieltag.
Der verflixte letzte Vorwindkurs mit dramatischem Ende:
Aber Quatsch! Natürlich muss der Call kommen. Alles andere wäre Wettbewerbsverzerrung. Außerdem ist der Reflex tief verwurzelt. Willi hat auch schon Deutsche Match Race Titel gesammelt und war als bester Deutscher unter den Top Twenty der Duell-Weltrangliste platziert, als diese noch etwas zählte. Ich hätte es wohl genauso gemacht.
Unser entscheidendes Rennen 16 im Tracker
Der Tunnel, das Adrenalin – bei diesem Spiel gibt es keine Freunde. Und genau das lieben wir beide daran. Es gibt nur Züge in einem Schachspiel. Und die Schiedsrichter entscheiden. Deshalb sind wir ihnen so dankbar. Man muss sich an Land nicht böse sein. Auch Fehlentscheidungen passieren. Und auch sie gehören zum Spiel.
Diese Situation gehörte sicher nicht dazu. Ein ganz blöder, blamabler Fehler. Der wohl irgendwie mit dem gemeinsamen Griechenland-Urlaub zusammen hängt. Möglicherweise ein Fall für den Psychologen.
Wie auch immer. Eine tolle Veranstaltung fand in Travemünde einmal wieder ihre würdigen Sieger. 16 Rennen auf höchstem Niveau mit pausenlos wechselnden Positionen im Ranking.
Die Württemberger hielten sich in der Serie lange zurück. Zeigten sich zweimal kurz in Podium-Nähe, starteten dann aber am letzten Tag bei leichtem Wind mit der Serie 2/1/2/1 megastark durch und sicherten den Sieg. Dennis Mehlig, Lukas Ammon, Yannick Hafner und Kevin Mehlig bestätigten die Leistung ihres Vereins vom Vorjahr, die sie auf Rang drei in die Champions League gebracht hatte.
Sie schienen in dieser Saison nach Rang 12 beim ersten Spieltag in Starnberg schon aus dem Rennen. Aber nun spielen sie wieder mit.
Perfekt lief der Spieltag für den Tabellenführer vom VSaW. Lange sah es so aus, als würden Tim Elsner mit seiner Crew Probleme in Travemünde bekommen. Aber ein starkes Finale am letzten Tag mit 1/1/2/3 ließ sie doch noch auf Rang vier vorrücken mit einem Vorsprung von nun fünf Punkten.
Neben den Überraschungs-Zweiten von der Schlei, die sich auf Rang 12 vorgeschoben und von den Abstiegsplätzen entfernt haben, glänzten vor der Trave insbesondere die Überlinger vom SMCÜ. Die Heßberger-Brüder mit Dominic Fritze und Alexander Gaiser sahen immer wieder wie die möglichen Sieger aus, und belohnten sich schließlich mit Rang drei für eine starke Leistung.
Ergebnisse 3. Spieltag Segel Bundesliga Travemünde 2019
Das Auf und Ab im Travemünde Ranking. Die laufende Platzierung nach den jeweils abgeschlossenen Flights. Ein echtes Wechselbad:
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