Siebzehn Kilometer sind selbst für geübte Freiwasserschwimmer keine Kleinigkeit. Für den australischen Einhandsegler John Deer wird es vor der Küste Panamas zur Tortur, die er nur knapp überlebt.
Des Einhandseglers Horroszenario? Es kann nur eine Antwort geben: Unter Autopilot in voller Fahrt über Bord fallen. Und das selbstredend weit draußen auf See. Segelhorrorfilm, die Zweite: auftauchen und sein Boot, das man penibel auf Max-Seed getrimmt hat, davonsegeln sehen. Wer jetzt meint, „kein Problem, da schwimme ich hinterher, wäre doch gelacht, so schnell ist die Kiste nun auch wieder nicht“ dem sei gesagt: Man müsste weltmeisterliche Zeiten auf der Mittelstrecke schwimmen, um selbst bei moderatem Bootsspeed mithalten zu können. Nebenbei bemerkt: Schwimmrekorde werden im Pool und in Sportbekleidung erreicht, nicht auf Hoher See in Segelklamotten.
Welle Eins schwappt über dich hinweg – Du siehst immerhin noch das ganze Rigg und die Segel. Welle zwei – jetzt ist nur noch die obere Hälfte des Segels zu erkennen. Welle 3: Nichts mehr zu sehen außer Himmel, Wolken, Wellen, Wellen und nochmals diese verdammten Wellen. Wer jetzt seinen PLB dabei hat und „nur“ in Hubschrauberreichweite von der Küste entfernt ist, kann sich glücklich schätzen. Wer ohne PLB ins Wasser fällt, hat nur noch zwei Möglichkeiten: Schwimmen, bis man entkräftet ertrinkt oder gleich aufgeben.
Ohne alles über Bord
So oder ähnlich muss es sich abgespielt haben, als John Deer der eine, kleine und entscheidende Ausrutscher passierte und der Weltumsegler ins Wasser klatschte. Der Australier war auf dem letzten Abschnitt einer eher kurzen, 30-Stunden-Etappe von Kolumbien nach Panama. Bei bestem Segelwetter und tropischen Temperaturen machte er den unter Langfahrtseglern sehr populären Fehler, weder Schwimmweste noch PLB zu tragen. Von Anleinen ganz zu schweigen.
Kurz zuvor hatte ein mittelgroßer Thunfisch an der Schlepp-Angelleine angebissen und Deer hatte sein Mühe, das Viech an Bord zu holen. Als es dann endlich geschafft war und die Leine oder den Haken lösen wollte, verlor er aus welchem Grund auch immer das Gleichgewicht und kippte über die Heckreling hinweg ins Wasser. Was folgte, siehe oben.
Erster Gedanke des erfahrenen Seglers, seit 2019 auf Blauwassertörn unterwegs: „Das war’s jetzt. Aus, vorbei!“ Zweiter Gedanke: „Hatte ich nicht vor einer Stunde Land am Horizont gesehen?“ Und tatsächlich: Als ihn eine größere Welle etwas anhob, konnte er einen schmalen Landstrich gerade noch erkennen. 17 h nachmittags – viel Zeit bleib nicht mehr, bis es dunkel werden würde. Strömungen waren nicht zu spüren, also entschied sich der drahtige, eher sportliche Typ fürs Schwimmen.
Tricks der Langstreckenschwimmer
In Australien ist Freiwasserschwimmen eine beliebte Sportart, mit vielen Events und durchaus langen Strecken. Zwar war John Deer keiner dieser Langstreckenschwimmer, er hatte aber schon öfter von deren Tricks gelesen. So konnte er das vielleicht wichtigste Problem beim Schwimmen in Richtung Land relativ schnell lösen: Wohin muss ich schwimmen, damit ich den kürzesten Weg zum Land finde. Antwort: Dorthin, wo das Land am Dunkelsten erscheint!
Also los. John Deer schwamm in abwechselnden Stilarten: Freistil/Kraulen, Brustschwimmen, Rücken. Nächstes, elementares Problem: Wie ist das mit den Strömungen? Komme ich überhaupt vorwärts, also in Richtung Land. Auch dafür nutzte Deer einen alten Freiwasserschwimmer-Trick: Er hielt sich eine Hand vor Augen. Die bedeckte zunächst den gesamten Landstrick am Horizont. Eine (gefühlte) Stunde später ragten hinter der Hand immerhin schon Felsen oder Berge heraus, eine weitere Zeit darauf verdeckte die Hand nur noch einzelne Teile des Landstrichs.
„Du kannst das. du kannst es schaffen! Du wirst es schaffen!“ Das machte Mut und sorgte für den nötigen Adrenalinschub. Der wurde noch etwas „angeheizt“, als John Deer nach stundenlanger Schwimmerei – mittlerweile war längst der Abend angebrochen – bemerkte, dass etwas an seinen Füßen und Beinen knabberte. Haie! Panik! Deer schrie, trat um sich begann die unsichtbaren Fische zu verfluchen. Doch sie kamen immer wieder, kniffen und bissen ihn schmerzhaft ins Bein. Irgendwann konnte er erkennen, dass es sich nicht wohl nicht um Haie handelte. Und dennoch: Die Angst saß ihm im Nacken. Permanent.
Ein Felsen als Rettung
Siebzehn Kilometer schwamm der Australier. Für Langstreckenschwimmer eine durchaus machbare Länge, für eher Ungeübte eine Tortur. Doch Deer hielt durch. Irgendwann gegen Morgen stieß er gegen einen Felsen, der vor ihm aufragte. Er kletterte das spitze, scharfkantige Gestein empor, sah, dass der Strand noch weit entfernt war, legte sein T-Shirt aus, damit er sich auf dem scharfen Gestein nicht verletzte und… fiel erschöpft in tiefen Schlaf. Zwar schreckte der Segler ein paar Mal auf, doch richtig wach wurde er erst, als die Sonne schon wieder hoch am Himmel stand.
Irgendwann sah der Gestrandete Boote vorbei fahren. Mit seinem T-Shirt an einem Treibholz winkte er den Booten entgegen, schrie… und wurde zunächst nicht bemerkt. Ein Boot hielt an, wendete, die Crew sah genauer herüber und fuhr weiter. Das nächste Boot kam auf ihn zu, die Angler holte ihn vom Felsen herunter und brachten ihn zurück in die Zivilisation.
„Stundenlang nachts geschwommen? Bei den Haien?“
Auf einer Polizeistation von Panama City wollte ihm zunächst keiner glauben. Nicht zuletzt, weil das Gebiet, in dem er vom Felsen gepickt wurde, bekanntermaßen extrem Hai-versucht sei. „Darin überlebt kaum keiner, schon gar nicht schwimmend in der Nacht!“ Doch Stunden später meldete ein anderes Polizeirevier, man habe Deers Yacht gefunden: Gesunken vor einer felsigen Küste, Dutzende Kilometer von Deers Rettungs-Felsen entfernt – Totalverlust.
Barfuß, mit nichts anderem als einem T-Shirt und einer Badehose bekleidet, wurde John Deer in die Australische Botschaft gebracht, wo er einen Behelfspass beantragte. Der Segler hatte seine gesamten Ersparnisse in seine Yacht gesteckt, für eine Versicherung hatte es nicht mehr gereicht – der berühmte Neuanfang stand bevor. Doch John Deer nahm es gelassen: „Jeder Aussie braucht ein Abenteuer, das er seinen Enkelkindern erzählen kann. Ich habe meines überlebt – das ist doch schon was!“ gibt er im Interview mit einer australischen News-Website zur Protokoll. Sprach’s und freute sich darüber, dass Daheimgebliebene Freunde in Australien bereits erste Crowdfunding-Aktionen für ihn gestartet haben.
Überlebt und ein Lichtblick am Horizont – mehr kann ein gestrandeter und mittelloser Segler nun wirklich nicht erwarten!
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