Somira Sao und James Burwick sitzen mit ihren drei Kindern weiterhin in Puerto Williams auf der Insel Navarino fest. Die Fünf leben auf dem Open 40 „Anasazi Girl“ – immer noch ohne Mast.
„Natürlich wollen wir hier weg. Auch wenn die Menschen um uns herum wunderbar hilfsbereit und gastfreundlich sind, ist es doch unser größter Wunsch, unsere Familienweltumseglung wie geplant in Lorient/Frankreich zu beenden. Auf unserem Boot, mit einem sicheren Rigg, in unserem Esprit“.
Somira Sao macht aus ihrer Entschlossenheit keinen Hehl: Gemeinsam mit ihrem Mann James und ihren Kindern hat sie bereits zu viele Weltmeere befahren, als dass sie eine „Kleinigkeit“ wie ein Mastbruch aus dem Konzept bringen würde. „Die Kinder und ich haben diesen Schicksalsschlag ohne Schaden überstanden. James wurde zwar leicht verletzt, ist aber längst wieder in Form. Auch wenn es manchmal schwer erscheint, müssen wir uns jetzt in Geduld üben. Zum Glück können wir auf tiefe Freundschaften aus aller Welt vertrauen,“ schreibt die Fotografin in den sozialen Netzwerken. (SR berichtete)
Blog der Erinnerungen
Und dennoch brauchte Somira, die neben der Fotografie auch reichlich Leidenschaft fürs Schreiben zeigt, viele Monate, um die fatalen und dennoch glücklich endenden Geschehnisse im Southern Ocean auf dem Open 40 „Anasazi Girl“ aus ihrer Sicht aufzuschreiben. Erst in diesem Sommer (also dem Austral-Winter in Puerto Williams) verfasste Somira Sao einfühlsame Beschreibungen ihrer Erlebnisse für ihren Blog, der illustriert mit ihren faszinierenden Bildwelten das Zeug zu einem modernen Langfahrt-Klassiker hat
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Sie findet dabei einen Ton und Stil, der zwischen sachlichen, seemännischen Beschreibungen und emotional aufgewühlten Gefühlsausbrüchen wechselt. Angst um die Kinder unter Deck und Vertrauen in James, der „draußen“ im Sturm nach dem Unfall sein Leben riskiert, werden mitreißend geschildert. Kaum ein Blog aus der Langfahrt-Szene kann bei Beschreibungen extremer Situationen derart fesseln.
Vier Reffs bei Böen bis 70 kn
Sie schildert zunächst die fast schon alltägliche Routine, die sie während eines Sturms im Southern Ocean erlebten. Welchen Aufwand es bedeutet, mit einem nervösen Renner wie der Open 40 zu halsen, wie es sich anfühlt, wenn man mit drei kleinen Kindern unter Deck in dem spartanisch eingerichteten Rennboot bei 40-70 Knoten Wind, mit vier Reffs im Groß und gereffter Sturmfock vor dem Sturm daherrast. Wie sie in drei Tagen unter dieser Beseglung mehr als 1000 Seemeilen absolvierten und die Kids unter Deck seelenruhig Geschichten von Mama und Papa vorgelesen bekamen.
Drei Mal traf sie eine Welle in einem derart ungünstigen Winkel, dass sich das Boot bedrohlich auf die Seite legte. Aber James konnte immer im letzten Moment noch den Kurs korrigieren. „Und dann kam diese eine Welle, auf der mein Name geschrieben stand,“ beschreibt Papa James später. „diese Welle, die mich nur verschonte, weil meine Familie mit an Bord war!“
Die „Anasazi Girl“ hatte eigentlich schon die schlimmsten Wetterkapriolen überstanden, der Wind beruhigte sich auf etwa 30 Knoten und „langsam entspannten sich unsere Muskeln erstmals nach mehreren Tagen“ erinnert sich Somira deutlich. Sie lagen etwa 300 Seemeilen westlich der Diego Ramirez Inseln und wussten, dass sie in den nächsten eineinhalb Tagen das Kap Hoorn umrunden würden.
Doch die See war weiterhin sehr unruhig und die eine Schicksalswelle bretterte bereits auf sie zu, ohne dass die Crew der Open 40 etwas ahnte.
Die eine Welle
James lag mit üblen Kopfschmerzen noch in voller Montur nach den nervenaufreibenden letzten Sturmtagen in seiner Koje und nahm eine Mütze voll Schlaf, auch die Kinder schliefen. Somira beobachtete die Instrumente, als die Welle sie mit voller Wucht traf.
Was dann folgte, war das schiere Chaos. Das Boot lief aus dem Ruder, Mast und Segel schlugen auf die Brecher. James wurde quer durchs Boot geschleudert, Somira wäre beinahe auf die Kinder gestürzt, die aus dem Schlaf hochgeschreckt waren aber ebenfalls durch das Boot purzelten. Somira erlebte dies alles in „Slow Motion“, beschreibt in ihrem Blog minutiös jede einzelne Bewegung ihrer Kinder und ihres Mannes.
Wie durch ein Wunder wurde keiner verletzt, drang kein Wasser ins Innere der „Anasazi Girl“ ein, richtete sich das Boot wie von Geisterhand wieder auf. Wie in Trance kümmerten sich die beiden Erwachsenen zuerst um die Kinder, versicherten sich, das sie wirklich okay waren.
Als James sich berappelte und einen Blick nach draußen geworfen hatte, drehte er sich entsetzt zu seiner Frau um: „Wir haben das Rigg verloren!“
Von Profis gerettet
Der Rest ist Geschichte. Und Teil weiterer, mitunter unglaublicher Geschichten. Wie sich James beim Abschneiden der gefährlichen herumschlagenden Mastteile mehrere Rippen brach, wie sie versuchten, aus eigener Kraft unter Motor an Land zu gelangen, wie sie schweren Herzens doch professionelle Rettungskräfte anfordern mussten, die sie und das angeschlagene Boot bravourös nach Puerto Williams auf der Insel Navarino im Beagle Kanal in Sicherheit brachten.
James pinkelte in der Zwischenzeit Blut, musste ins Krankenhaus, wo er sich jedoch bald erholte. Die restliche Familie war wie durch ein Wunder völlig unversehrt geblieben, auch psychisch. Die Kinder wollten weiter auf dem Boot bleiben und möglichst bald ihre Reise fortsetzen. Doch aus der letzten Etappe ihrer Weltreise, die sie von Auckland nonstop nach Lorient in Frankreich bringen sollte, wurde ein nicht enden wollender Aufenthalt am buchstäblichen Ende der Welt.
Denn die Anasazi-Nomaden waren nicht versichert und hatten keinerlei Geldreserven auf der hohen Kante. Die Schäden am Boot, also hauptsächlich Mast, Rigg, Baum, Segel aber auch wichtige Teile der Elektronik beziffert James auf ca. 100.000 Euro.
Projekt Mast
Also Zeit zum Aufgeben? Den Traum von der Familien-Weltumseglung abhaken? Nicht mit Somira, James, Pearl (damals 1 Jahr jung), Tomentina (5) und Raivo (3).
Papa James rief das „Projekt Mast“ ins (virtuelle) Leben, um entweder mit eigenen Mitteln am Ende der Welt einen Mast für die Anasazi Girl zu bauen oder irgendwie sonst eine adäquate Palme für den Open 40 zu „besorgen“.
Was sich jedoch als echter Problemfall herausstellte.
James und Somira beschreiben minutiös, wie über Monate hinweg teils Dutzende Fachleute aus der ganzen Welt miteinander in Verbindung standen und daran arbeiten, eine Lösung für die Anasazi Girl zu finden. Bisher noch ohne greifbaren Erfolg, aber „wir nähern uns einer Lösung“ schreibt James. „Ich will das Boot und meine Familie nach Frankreich segeln. Zu einem Preis, der weit unter den Überführungskosten auf einem Frachtschiff liegen muss.“
Somira: „’Anasazi Girl’ ist bei uns. Das ist das Wichtigste. Es ist derzeit alles nicht einfach – aber wir schaffen das. Wir schaffen es!“
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