Der norwegische Anbieter Orca hat das Thema Navigation per App völlig neu gedacht. Und zwar so konsequent, dass nun sämtliche Zweifel, die es bislang an der App-Navigation gab, über Bord geworfen werden können.

boot Düsseldorf im Jahre 2012: Ich stehe am Stand eines großen Anbieters von Kartenplottern und Marineelektronik. Da ich schon damals ausschließlich mit App und Tablet navigierte, kam es dort zu einem interessanten Gespräch mit einem Mitarbeiter. Weil ich zu dieser Zeit, wegen der Art zu navigieren, immer wieder belächelt oder kritisiert wurde, wollte ich wissen, welche wesentlichen Unterschiede es zwischen einem Kartenplotter und meiner Tablet-Navigation gab. Zur Erinnerung: Damals gab es fast keinen einzigen Plotter, der über einen Touchscreen verfügte.
Nach einem sehr konstruktiven Gespräch hatte der Mitarbeiter einen Punkt: Bei schwerem Wetter auf hoher See, mit über Deck kommenden Wellen und Kälte, ist es sicherlich besser und zuverlässiger, einem mit Strom versorgten, wasserdichten Plotter zu vertrauen, dessen Hardware genau dafür gemacht ist. “Um Kap Hoorn willst Du mit dem Tablet sicher nicht rumfahren” – damit hatte er recht.
Ein Rattenschwanz an Fragen
Rund ein Jahr später gab ich in Hamburg für den Deutschen Hochseeyachtverband Hansa (DHH) eine Schulungsreihe zum Thema “Navigation per App mit Tablet und Smartphone”. Bevor es um die Tiefen der Möglichkeiten ging, wurde zunächst über die Hardware gesprochen. Ein Teilnehmer behauptete, die Apps würden nur zur Törnplanung im Hafen taugen. Er zum Beispiel hätte es getestet und nur im Hafenbereich einen GPS-Fix bekommen. Sobald er aus der Hafeneinfahrt raus fuhr, war die Position weg.
Mir war sofort klar, was das Problem war: er hatte ein iPad, und zwar eines ohne SIM-Karten-Slot. Zwar benötigt man zur Navigation keine Sim, aber nur ein Modell mit diesem Slot hat auch ein eingebautes GPS. Solange er also eine Wlan-Verbindung im Hafen hatte, konnte das Tablet die Position ermitteln, ohne Internet natürlich nicht.
Und damit sind wir auch beim Hauptproblem, wenn es um die Navigation mit Tablet oder Smartphone geht: die Hardware. Die gängigen Apps waren alle in der Lage, zuverlässig zu navigieren, Routen anzulegen und zu plotten, nur waren die Tablets und Handys die schwächsten Glieder in der Kette. Denn diese Geräte sind empfindlich gegen Wassereintritt, haben meistens nur ein paar Stunden Akkukapazität, sind im Sonnenlicht schwer ablesbar und schalten sich ab, wenn es ihnen zu warm wird. Man hat es zwangsläufig immer mit einem Rattenschwanz an Fragen zu tun, wenn man per App navigiert: Wie und wo montiere ich das Gerät? Wie verpacke ich es? Woher bekommt das Tablet den Strom?
Also wurden Halterungen montiert, Kabel gelegt und teure Schutzhüllen gekauft, um festzustellen, dass bei eingestöpseltem USB-Ladestecker die Wasserdichtigkeit futsch ist. Stets nach dem Motto: irgendwas ist immer.

Aus “irgendwas ist immer” wird ganz „irgendwas war immer”
Nachdem ich in den letzten vier Jahren ausschließlich in Binnenrevieren unterwegs war, wo man auch mit einem Thermomix navigieren kann, musste ich mich in diesem Jahr, wo das Boot wieder an die Ostsee gelegt wurde, mit dem Thema App Navigation beschäftigen und wie ich diese an Bord umsetze. Nach einigen Enttäuschungen (ich schrieb darüber) bin ich dann auf eine mir neue App gestoßen: Orca.
Orca fiel mir schon deswegen auf, weil es sich dabei nicht nur um eine neue App handelt, sondern der norwegische Anbieter auch gleich eine darauf abgestimmte Hardware entwickelt hat, bestehend aus dem sogenannten “Orca-Core” einem externen GPS Empfänger und Kompass, der allerdings noch wesentlich mehr kann. Dazu später mehr. Und Orca bietet auch gleich ein Tablet an, “Orca Display”, welches die bekannten Schwächen solcher Geräte schlichtweg ausgemerzt hat. Auch dazu komme ich noch.
Da ich diese Herangehensweise imponierend und klug fand, lud ich mir also gleich mal die App herunter, um sie mir anzusehen. Und was soll ich sagen? Nachdem ich mich keine zehn Minuten mit der Orca-App (“Orca Co Pilot”) beschäftigt hatte, drückte ich auf “abonnieren” und kaufte mir ein Jahresabo für die Offline-Karten. Überzeugung kann manchmal sehr schnell gehen. Und das nicht, weil das Abo nur 49 Euro kostet.
Endlich jemand, der die Sache anders und innovativer angeht
Was macht Orca so besonders? Da hat mal jemand das Thema Navigation auf See ganz neu gedacht, ist die Sache schon in der Entwicklung völlig anders angegangen.
Zunächst mal gefällt mir das Kartenbild und die Darstellung sehr gut. Tag- und der rote Nachtmodus sind klar dargestellt, die Menüführung einfach, intuitiv und nicht überladen.
Relevante Elemente wie Tonnen werden bei Annäherung groß dargestellt, Leuchtfeuer mit Kennung angezeigt. Da fühlt man sich gleich “zuhause”, wie auf den Papierseekarten. Gelungen ist die Darstellung auch deshalb, weil man auch aus etwas größerer Entfernung weiß, was Sache ist – wenn das Tablet beispielsweise im Niedergang befestigt ist und man selbst an der Pinne sitzt.

Routen lassen sich schnell und intuitiv erstellen und die automatische Routenberechnung funktioniert nicht nur hervorragend, sondern sie hat besonders für Segler ein sehr schmackhaftes Bonbon dabei: Wetterrouting. Legt man eine Route an und hat vorher die relevanten Bootsdaten wie Tiefgang und Durchfahrtshöhe eingegeben, berechnet Orca die Route anhand der integrierten Winddaten, welche die App von verschiedenen Wetterdiensten integriert. Das heißt, die App wirft nicht nur einen geraden Strich von A nach B innerhalb der Wassertiefe aus, sondern berechnet sogar den Kurs nach Wind und zeigt die möglichen Kreuzkurse an.
In dem Beispiel im Bild habe ich einen Kurs von meinem neuen Heimathafen in Schleswig die Schlei hoch ausrechnen lassen, bei der der Wind auf die Nase kommt. Die Orca App berechnet anhand der Windrichtung und -stärke, wie die Strecke gesegelt werden kann und an den Engstellen der Schlei rät sie durch ein Symbol sogar zu Teilstrecken, bei denen der Motor angeworfen werden soll. Da denkt eine App wirklich mit. Ich teste mit der App nun seit einigen Wochen, fühle mich sehr wohl damit und werde in diesem Jahr ausschließlich mit Orca navigieren. Die machen da ziemlich viel richtig.
Wer es richtig genau nimmt, kann sogar die Polardaten des eigenen Schiffs eingeben oder sich aus einer Datenbank ziehen. Das wird in der Berechnung der optimalen Segelroute mit eingerechnet.
Schön ist auch, dass man entlang der Route immer wieder die Windrichtung und die Stärke angezeigt bekommt. So weiß man immer vorher, was auf einen zukommt, kann sich aufs Reffen vorbereiten oder schonmal das Ölzeug anziehen.
Bereits beim ersten Test fiel mir auf, dass in der Orca App auch der Schiffsverkehr dargestellt wird. Orca entwickelt nach eigenen Angaben ständig weiter und geht dabei Kooperationen ein, um externe Daten nutzen und in die App integrieren zu können. In diesem Fall sind die AIS Daten von Marine Traffic hinterlegt, die dann auf der Seekarte angezeigt werden – ohne einen AIS Empfänger an Bord.

Da ich einen Marine-Traffic Bezahl-Account habe, kann ich mir dann sogar erweiterte Daten der Schiffe, Bilder, Tracks und so weiter ansehen, in dem sie in der Orca App antippe.
Das Gleiche passiert mit den in der App dargestellten Häfen. Deren Daten werden aus der Datenbank von Navily integriert, bis hin zu den Nutzerbewertungen. Ich halte auch das für klug, denn warum nicht bestehende Daten nutzen, die sich bewährt haben?
Startet man die Navigation, gibt es eine Funktion, die sich “3D Kurs” nennt. Wählt man diese Ansicht aus, springt die Ansicht in eine dreidimensionale Ebene, ähnlich wie man das von Auto-Navis kennt. Die Karte neigt sich, und die angezeigten Elemente, wie Tonnen, werden dreidimensional angezeigt. Das funktioniert herausragend gut. Wer es lieber klassisch mag, kann natürlich die Nord-Oben Ansicht oder eine Kursansicht einstellen.
Der Schiffsverkehr wird natürlich nur so lange angezeigt, wie eine Internetverbindung vorhanden ist, aber im Küstenbereich ist das ja dank stabilen Mobilfunk meistens der Fall. In den allermeisten Fällen funktioniert das. Für die Hochsee gibt es entweder Internetlösungen oder auch das, was Orca um die App herum als Hardware bietet. Dazu komme ich jetzt.
Herz, Hirn und Auge
Wenn man die App als Herz von Orca bezeichnet, lässt sich das jedoch noch um ein Hirn und ein Auge erweitern. Denn – und das ist völlig neu – mit dem sogenannten “Orca Core“ wird Orca nicht zu einer App, sondern zu einem integrierten Gesamtsystem. Der Core ist ein GPS Empfänger mit Kompass, der über Wlan, Bluetooth, Ethernet und NMEA 2k Schnittstelle verfügt. Damit lässt sich ein bestehendes System mit Sensoren und Gebern, wie Lot, Logge, Wind, AIS etc. an das Orca System anschließen und in der App nutzen.

Dann wird das Tablet nicht nur zum Plotter, sondern zum Multifunktionsdisplay mit Instrumenten. Radar-Overlay ist möglich und sogar die Steuerung eines kompatiblen Autopiloten über die App. Der Core verbindet sich mit dem Tablet über Wlan und schon stehen alle Daten in der App zu Verfügung, alles frei konfigurierbar. Alles gut ablesbar.

Da wir das mit dem Herz und Hirn nun geklärt haben, bleibt noch das Auge. Und auch das hat Orca gleich mit im Angebot: Das Orca Display, mittlerweile in der Version 2, ist ein auf die Anwendung optimiertes Tablet auf Android-Basis. Und die Entwickler von Orca haben dabei ganze Arbeit geleistet, denn alle Argumente von früher, alle Hardware-Schwachpunkte sind damit hinfällig: Das 10-Zoll Tablet ist gegen Strahlwasser geschützt, bietet volle Lesbarkeit auch bei Helligkeit, schaltet sich nicht ab, wenn es mal warm wird. Und als Kirsche auf der Navi-Torte gibt es als Halterung den passenden Mount dazu, der das Tablet induktiv lädt, wenn es in der Vorrichtung steckt. So schnell sind Gegenargumente Geschichte, wenn ein Hersteller die Sache von hinten nach vorne denkt.
Fazit
Orca hat die Navigation offenbar vom Cockpit oder Steuerstand ausgehend gedacht und nicht von der Programmierabteilung. Bislang musste man immer etwas tricksen und eine eigene Umgebung schaffen, um per App und Tablet oder Smartphone zu navigieren. Orca hat eine komplette Lösung geschaffen, die nicht nur für Kleinkreuzer geeignet ist, sondern sich auch Yachten jenseits der 35 Fuß durchsetzen dürfte. Das macht allein deshalb schon Sinn, weil jeder Segler sowieso mit Apps arbeitet, navigiert oder Routen plant. Da ist es nur konsequent, Mobilgeräte auch in die professionelle Navigation einzubinden.
Das Angebot wurde in den vergangenen Jahren von den bekannten Anbietern ständig verbessert, mal in kleinen, mal in größeren Schritten, manchmal auch verschlimmbessert. Aber Orca hat sich mit völlig neuem Ansatz in das Rennen begeben und meines Erachtens sofort die Pole-Position eingenommen, sowohl bei den Apps als auch bei der Hardware. Orca ist plötzlich auf dem Markt erschienen und dabei durch eine neue Tür eingetreten.
Zuverlässige, übrigens auch im Verhältnis günstige und sichere Navigation geht auch ohne teure Marineelektronik, die erst aufwendig eingebaut werden muss. Orca kann all das, was ein MFD kann, was Instrumente können und was Plotter können. Und das Ganze ohne Löcher in die Bordwand schneiden zu müssen, die dann in 5 Jahren zu klein oder zu groß sind, wenn ein neues Display kommt. Die Hersteller von Marineelektronik und auch die der Navi-Apps sind trotz aller Updates in den letzten Jahren nicht so richtig von der Stelle gekommen. Deshalb halte ich das Orca-System für ziemlich revolutionär. Außerdem können Segler froh sein, dass es mal wieder gute Neuigkeiten gibt, in denen das Wort “Orca” vorkommt.
Orca ist nicht bahnbrechend, Orca ist fast schon eine Revolution. Egal ob nur die App oder das ganze System. Ich bin begeistert von so viel Innovation und deshalb auch umgestiegen. Kap Hoorn kann kommen, auch wenn mir dazu derzeit das passende Boot fehlt.
Offline Karten in der App kosten in der kompletten Abdeckung 49 Euro im Jahr, der Core 549 und das Display 999 Euro. Eine vollständige Beschreibung aller Funktionen des Systems folgt in den kommenden Wochen.

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