11th Hour Racing Team hat die 4. Etappe des Ocean Race gewonnen. Das US-Team segelte 32 Minuten vor Malizia über die Ziellinie ihres Heimathafens Newport. Warum die Freude bei beiden Teams so groß ist.
„Das bedeutet uns allen so viel“, sagte der siegreiche Skipper Charlie Enright. „Es ist ein unglaubliches Gefühl, dieses Ergebnis auf dieser Etappe in unserer Heimatbasis Newport zu erzielen. Es fühlt sich so gut an, all die Boote auf dem Wasser und die Menschen hier an Land zu sehen, die uns willkommen heißen und dies mit uns teilen. Wir sind dankbar für die Unterstützung und glücklich, dass wir den Sieg für alle erringen konnten.“
Enright wischt sich Tränen aus dem Gesicht. Der Triumph ist für ihn hochemotional, auch wenn das Pech der anderen eine große Rolle spielte. Holcim-PRB lag erneut gut zehn Meilen vor 11th Hour, als der Mast brach. Es sah nicht so aus, als wenn irgendjemand die Spitzenreiter gefährden könnte. Auch Malizia segelte gut zehn Meilen hinter 11th Hour.
Dass es dann anders gelaufen ist, mag diejenigen im Glauben an die Segel-Götter unterstützen, die davon ausgehen, dass sich das Schicksal ausgleicht. Schließlich hatten die Amerikaner gerade auf der wichtigen Monster-Etappe von Kapstadt nach Brasilien durch Schäden schwer leiden müssen. Sie konnten nicht in das Duell an der Spitze eingreifen.
Diesmal bleiben sie von Schäden verschont und konnten sich schließlich ganz auf das Duell mit Malizia konzentrieren. Dass es am Ende so knapp war, macht den Erfolg allerdings besonders wertvoll. Genau 15-mal wechselte die Führung zwischen den beiden Booten.
Das lag allerdings weniger an taktischen Entscheidungen als an der Geschwindigkeit der extrem unterschiedlichen IMOCA-Designs bei verschiedenen Wind- und Wellenbedingungen. Onboard-Reporter Amory Ross bestätigt: „Man konnte sehen, dass wir beide unsere Stärken und Schwächen hatten, und dieses ständige Tauziehen war wirklich interessant und spannend. Wir hatten gute und schlechte Tage.“
Dabei blieb das Malizia-Team erstaunlich zahm im Hinblick auf seine Angriffe. Navigator und Stratege Nicolas Lunven ging kaum Risiken ein, um einen Split für eine wettertaktische Vorentscheidung zu generieren. Er folgte dem US-Team im Kielwasser und hoffte auf ausreichend Wind, um das neue Selbstvertrauen in den Speed des Neubaus auszuspielen.
Eine probate und schlaue Strategie – wenn sie denn funktioniert hätte. Vielleicht spekulierte Lunven auf ein Überholmanöver im Sturm kurz vor dem Ziel. Aber dieser entwickelte sich dann so stark, dass es eher ums Überleben und Schonen des Materials ging. Der Rückstand wuchs auf 30 Meilen besonders auf den Meilen direkt nach dem Sturm. Es war wohl die Vorentscheidung.
Ross erzählt aber, dass sein Team längst nicht entspannt war. Vielmehr sei der folgende Tag sehr schwierig gewesen. „Es war erschreckend, wie knapp es zuging. Denn in der letzten Nacht hatten wir 27 oder 28 Knoten von hinten – das ist eine Stärke von ihnen und eine Art Achillesferse für uns. Wir haben gegen die Uhr gekämpft und gehofft, dass wir weit genug nach Westen und Norden zu den leichteren Amwindbedingungen kommen. Das ist unsere Stärke.“
So kam es. In der folgenden Flaute zwischen den Sperrgebieten hätte zwar noch etwas passieren können, aber der frische auflandige Wind setzte aus Südwest ein, 11th Hour erreichte ihn zuerst und so blieb das Finish unspektakulär. Aber Ross bekundet: „Es war ein Kampf bis zum Ende.“
Für das Team von Charlie Enright ist der Sieg auch deshalb so befreiend, weil plötzlich die Ziele wieder erreicht werden können. Alles andere als ein Gesamtsieg wäre eine Enttäuschung. Man vergisst manchmal, dass 11th Hour das einzige Team ist, das sich rechtzeitig und professionell auf The Ocean Race vorbereitet hat – so wie es früher einmal war, als beim Volvo Ocean Race die Großen der internationalen Offshore-Yacht-Szene starteten.
Nach dem Ausstieg von Volvo und wirtschaftlichen Schwierigkeiten brach diese Szene zusammen und das Rennen konnte nur überleben, indem man sich an die französisch geprägte Vendée Globe hängte. Dann kam auch noch Corona und The Ocean Race schien gänzlich an Profil zu verlieren.
11th Hour stand plötzlich allein da mit einem starken Team, einem frühen IMOCA-Neubau optimiert durch Two-Boat-Testing und einem solchen Favoritenstatus, dass der Sieger eigentlich schon feststand. Auch dadurch wurden potenzielle Teilnehmer abgeschreckt.
Erst das weitere Heranrücken an die Vendée Globe durch einen angepassten Kurs im Southern Ocean, die Verkleinerung der Crew und die Erlaubnis, den Autopiloten im Einhandmodus zu nutzen, weckte das Interesse der Franzosen. Es schien plötzlich strategisch hilfreich, dieses Rennen als Vendée-Globe-Training zu nutzen – was auch Boris Herrmann als wichtiges Argument für die Teilnahme nannte. The Ocean Race passt perfekt zu seiner Kampagne. Und er arbeitete hart im Hintergrund daran, andere Skipper vom Sinn der Teilnahme zu überzeugen.
Und gerade diese vierte Etappe zeigt den Wert, den dies Ocean Race haben kann. Platz zwei erscheint für Malizia unerheblich. So gibt es auch kaum enttäuschte Kommentare. Viel wichtiger ist die Tatsache, dass Malizia bei so vielen unterschiedlichen Bedingungen gegenüber 11th Hour mithalten konnte. Das Team musste nicht nur auf absoluten Starkwind hoffen, bei dem es zuletzt Holcim-PRB in der Endphase der dritten Etappe überlaufen hatte. Auch bei moderaten Bedingungen segelte es auf Augenhöhe mit dem US-Boot, dem am besten optimierten IMOCA der gesamten Flotte und dem Vorbild in Sachen Allround-Eigenschaften.
Das ist die wichtigste Botschaft für Boris Herrmann. Der Lerneffekt war unübersichtlich. Während es zeitweise ein Speedproblem im direkten Vergleich zu 11th Hour gab, wie etwa am 2. und 3. Mai, als Malizia im Highspeed-Modus bei Halbem Wind von Steuerbord 20 Meilen verlor, so dauerte es nicht lange und die richtige Segel-, Foil-, Trimm-Kombination war gefunden, um plötzlich sogar schneller zu sein. Dauerhaftes, hartnäckiges Probieren führt zu so einem Lerneffekt. Dabei hat sicher Neuzugang Christopher Pratt geholfen, der lange Zeit zusammen mit Jérémie Beyou auf dessen Charal an solchen Problemen arbeitete.
Auch deshalb kann Skipper Will Harris stolz sein, das Projekt weiter gebracht zu haben, auch wenn das Duell schließlich verloren ging. „Das war ein großartiges Rennen“, sagt er. Insbesondere auch, weil das Schiff im Sturm zusammenhielt, er rechtzeitig vom Gas gegangen ist und damit eine starke Ausgangsposition für die kommenden Etappen gesichert hat.
„Was für eine unglaubliche Etappe. Ein so enger Kampf, und am Ende haben wir 30 Minuten hinter dem 11th Hour Racing Team gelegen! Ich bin so stolz auf unser Team. Es hat eine unglaubliche Etappe gesegelt und einen fantastischen Job gemacht. Hier auf dem zweiten Platz zu sein und zu beweisen, dass wir bei diesen leichten Windverhältnissen wirklich schnell sein können, ist ein tolles Gefühl. Jetzt können wir auch für die Gesamtwertung richtig kämpfen.“
„Die Rolle des Skippers auf dieser Etappe war eine große Lernerfahrung für mich. Es war nicht die einfachste: Zwei Boote haben auf dieser Etappe ihren Mast verloren, was sehr traurig und enttäuschend für sie war, mich aber auch ein wenig nervös gemacht hat, da ich für das Boot und die Mannschaft verantwortlich war. Das hat auf jeden Fall ein bisschen Stress auf meine Schultern gelegt. Aber wir haben den Sturm überstanden, konnten das Boot in einem Stück halten und haben es fast ohne Probleme ins Ziel gebracht. Ich habe die Herausforderung wirklich genossen und freue mich auf die weiteren Etappen dieses Marathonrennens!“
Newport wird nur ein kurzer Boxenstopp für die Teams sein, denn die nächste Etappe 5 beginnt am Sonntag, den 21. Mai 2023. Dabei werden die Boote nicht aus dem Wasser gehoben, sondern auf dem Wasser kurz überholt.
Parallel läuft das Rennen für Holcim-PRB, rechtzeitig mit gesetztem Mast auf dem Wasser zu sein, um das Inport-Race am 20. Mai zu bestreiten. Es wird immer deutlicher, dass es sich kein Team leisten kann, diese Wertung zu vernachlässigen. Sie mag am Ende den Ausschlag geben. Offenbar gelingt es nur den drei führenden Booten in den topp drei zu punkten. Guyot ist vermutlich raus und Biotherm konnte bisher nur einmal auf der zweiten Etappe das Zünglein an der Waage spielen.
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