Die Gattin steuert beim Helga Cup. Dabei muss ich sonst immer die Anleger fahren. Wie aus einer Schnapsidee ein echtes Team entstanden ist.
Irgendwas ist hier falsch. Ich stehe neben meiner Frau, verlagere mein Gewicht vom einen Fuß auf den anderen, sehe dem Treiben auf dem Markt zu, und warte, dass die beiden Damen ihr Gespräch beenden. Man will ja nicht unhöflich sein. Aber der schwere Obstbeutel schneidet langsam unangenehm in die Finger. Sie reden, reden, reden…
Nun ist das ja gar nicht sooo besonders auf einem Markt. Aber es wehen komische Wortfetzen herüber. Helga… Crew… Spaß… Training…Segeln… Wie bitte? Ich stehe etwas abgehängt daneben und die beiden reden übers Segeln? Typischerweise läuft das andersrum. Ich quatsche mich fest, wenn es um diesen Sport geht, und sie steht eher genervt daneben.
Verkehrte Welt. Es liegt am Helga Cup Fieber. Und ich find’s Klasse. Wenn sonst am Abendbrot-Tisch viel zu häufig über Nichtigkeiten wie das richtig Einräumen der Spülmaschine oder die Müll-Entsorgung debattiert wird, geht es jetzt schon mal um die wirklichen wichtigen Dinge im Leben: Linksdreher, Rechtsdreher, Spi rauf, Spi runter oder die Interpretation von Regel 17.
Geringe Frauen Auswahl
Gut 25 Jahre ist es her, dass sie dieses Spiel wirklich interessiert hat. 1992 hievten die Weltverband-Herren mit der Europe erstmals eine Einhand-Jollenklasse nur für Frauen in das Olympia-Programm. Sie segelte Laser, und beim DSV suchte man Frauen, die einmal das Land vertreten könnten. Die Auswahl war nicht groß. Damals segelten noch deutlich weniger Frauen Regatten als heutzutage.
Sie konnte anfangs mit dem Schiffchen nicht viel anfangen, segelte eine ganze Regatta mit falsch gedrehtem Schwert im Kasten, wurde aber immer besser. Stolz trug sie die fiese grüne Kader-Jacke mit aufgestickter DSV-Rose, trainierte auf Mallorca mit Delfinen, regattierte in Norwegen um Quali-Punkte und fischte im trüben IJsselmeer nach WM-Erfolgen.
Ich schob übrigens in Holland den Slipwagen rein – und führe das heute noch an, wenn mein genereller Unterstützungs-Wille mal wieder in Frage gestellt werden sollte. Dabei gebe ich zu, dass dieses Argument im Laufe der Jahre immer weniger greift.
Wenn der Herr segeln geht…
Schließlich hat sich das mit dem Segel-Backup durchaus etwas gedreht – und ist irgendwie aus dem Lot geraten. Irgendwer musste ja auf die Kinder aufpassen, wenn der Herr segeln geht. Dabei fand ich die vielen Jahre auf der Match Race Tour durchaus familienkompatibel. Schließlich lagen die Spielplätze oft in Regattabahn-Sichtweite. Eine Sichtweise, die allerdings sehr einseitig zu einer Beruhigung des latent schlechten Gewissens beigetragen haben mag.
Und nun kommt da dieser Anruf vom alten Segel-Club aus Duisburg, unserer Basis. Kerstin hat auf SegelReporter vom Helga Cup gelesen und möchte ein Team zusammentrommeln. Dann der entscheidende Satz: „Ich soll steuern,“ sagt die Liebste. Der Tonfall birgt eine Mischung aus Unglauben, Zweifel und Stolz. Dass ihr das noch jemand zutraut.
Nun ist Kerstin nach gerade mal ein paar Urlaub-Frauen-Segel-Sessions bei der Deutschen Hochseeschule Hansa in Glücksburg nicht gerade die erfahrene Regattaseglerin. Aber sie punktet durch Engagement und Überzeugungskraft.
Das Schicksal der Segler-Braut
Auch Michaela ist begeistert von der vermeintlichen Schnapsidee. Sie teilt das Schicksal der Skipperin als Segler-Braut – man könnte auch Spieler-Frau sagen. Schließlich hat Peter viele Jahre zusammen mit mir auf einem Boot gesessen und um sportliche Lorbeeren gekämpft.
Sie fordert gleich: „Aber die Männer müssen am Steg stehen, und auf die Kinder aufpassen. So wie wir damals. Sie sollen orange Schwimmwesten tragen.“ Nun sind uns unsere eigenen Kinder langsam im wahrsten Sinne des Wortes über den Kopf gewachsen und passen eher auf uns auf, aber es ist eine schöne Idee. Dass auch Luisa das Spiel mitmacht, mit 18 Jahren die besten Junioren-Seglerin im Verein, rundet die Sache ab.
„Meinst du wirklich, dass ich das kann?“ „Klar Schatz“, sage ich mit fester Stimme – und überlege, dass sie beim Fahrtensegeln immer noch ungern das Steuer beim Anleger in die Hand nimmt. Zu stressig. Wie das wohl auf dem kleinen Kielboot im Regatta-Gewühl wird?
Anfang Dezember keimt der Gedanke auf, dass ich mit dem Zuspruch einen schweren Fehler begangen habe. Mit Eis-Fingern und -Füßen stehe ich beim ersten Alster-Trainingsschlag hinten auf der J/70. Da habe ich mir was eingebrockt. Wie lange ihre Begeisterung wohl anhält?
Kurz Training bei Jocky
Es wird nicht besser im Januar bei Schneetreiben. Aber ihre WhatsApp-Gruppe glüht immer noch. Ständig pingt das Mobiltelefon. Es geht um Trainingszeiten, Aufgabenverteilung, Manöver. Sie meinen es wirklich ernst. Im März soll am Möhnesee bei der Heinz Nixdorf Academy die Seascape getestet werden.
Es ist dieses Eis-Wochendende in Deutschland, an dem wir beim Saison-Auftakt über die Alster fliegen, und ich mache mir schon Sorgen. Aber Jocky Hellmich passt auf. Und die Mädels sind von ihrem Kurz-Traininsglager begeistert, auch wenn sie im Sturm kaum aufs Wasser kommen und sich thematisch viel um das perfekte Catering an der Möhne dreht. Sie lernen andere Frauen Teams kennen, haben mächtig Spaß, und die Gattin traut sich immer mehr zu.
Interessant, diesen Rollenwechsel zu erleben, als ich Ende Mai noch mal mit auf der J/70 segele. Wenn wir zusammen auf einem Schiff sind, muss ich sonst immer den Ansager machen, nun komme ich mir überflüssig vor. Eigentlich treffen sie sich nur fünfmal zusammen auf dem Wasser, aber nun sind sie schon überzeugt, nicht Letzter zu werden.
Komisches Gefühl als Groupie
Nun ist es so weit. Peter hatte mir schon getextet: „Sie ist ganz aufgeregt – Wie süß!“ Die Crew-Shirts sind rechtzeitig angekommen. Sie nennen sich Pott-Ladies – wegen der Wurzeln im Ruhrpott – haben einen Förderturm als Symbol aufdrucken lassen und sind etwas beleidigt als jemand „Pott“ mit Topf und Küche assoziiert.
Wie versprochen stehe ich als Groupie an Land. Was für ein komisches Gefühl. So war es damals, als das Kind die erste Opti-Regatta segelte. Man ist so hilflos. Peter geht es ähnlich. Sohnemann Nick (6) petzt danach bei seiner Mutter: „Papa hat mit dem Kopf auf den Tisch geschlagen.“
Es war wohl eine Geste der Ohnmacht. Die Ladies haben Probleme mit der Seascape. Der Gennaker will nicht hoch, nicht runter und sich erst recht nicht füllen. Aber da es den meisten anderen auch so geht, gerät der Auftakt sportlich dennoch ordentlich. Die Damen sind zufrieden. Bis ich mit irgendeiner aufbauend gemeinten Bemerkung offenbar den falschen Ton treffe. Oops…ich muss da vorsichtiger sein.
Mit den J/70 klappt es besser. Irgendwann sind sie 29. und mächtig stolz. Wow, ich bin es auch. Toll, was sie da hinbekommen haben. Am Ende ist es zwar doch der finalen 42. Rang, aber es überwiegt die Zufriedenheit. Freundschaften sind geschlossen Adressen ausgetauscht, das scheint noch nicht das Ende zu sein. Es kann sein, dass ich noch öfter etwas abseits stehen werden, wenn sich die Frauen übers Segeln unterhalten.
Nich alles läuft rund bei Helga Cup Teilnehmern. Ein Team trebit bei der Leetonenrundung etwas weit ab und bleibt in der Ankerleine des Startschiffes hängen:
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