Leonie Meyer glückt wohl die größte Leistung aller deutschen Olympiastarter. Während ihrer Metamorphose von der 49erFX-Skiff-Steuerfrau zur Formula Kiterin, schließt sie ein Medizistudium ab und wird Mutter.
Mit EM-Platz 9 und Bronze in Palma hat Leonie Meyer 32 Punkte für ihr persönliches Olympia-Punktekonto gesammelt und damit ist ihr die Fahrkarte nach Marseille eigentlich nicht mehr zu nehmen. Deutsche Konkurrenz gibt es nicht und bei der finalen Quali im Rahmen der WM (11. bis 19. Mai in Hyères) kann sie nach den drei Regatten kaum noch aus der Top-Ten-Nationenwertung rutschen. Den deutschen Frauen-Kite-Startplatz für Marseille im Feld der 20 Surferinnen hatte die 31-Jährige schon bei der Weltmeisterschaft 2023 gesichert.
2018 nahm Meyer an ihrer ersten Formula Kite Regatta teil. Hinter ihr lagen damals vier anspruchsvolle Jahre in der 49erFX-Klasse, die auf eine Olympiateilnahme in Rio zielten und sie in die Weltspitze gebracht hatten (u.a. EM 5. 2015). Aber die Qualifikation ging verloren.
Doch wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich manchmal eine andere. World Sailing beschloss nach einem erstaunlichen Hin und Her schon 2012 Windsurfen durch Kiten zu ersetzen, machte dann wieder einen Rückzieher, um dann aber für 2024 sogar beide Stehsegler-Disziplinen in das Programm zu hieven.
Meyer gehörte zu den Pionierinnen in dem Sport, der in diesem Jahr seine Olympia-Premiere vor Marseille feiert. Der internationale Zuspruch ist zwar in der Klasse nach einem frühen Hype verflacht. Bei der Trofeo Sofia Regatta war „Formula Kite Women“ mit 34 Startern die am schwächsten besetzte der zehn Disziplinen hinter den Nacra17 (48) – die junge iQFoil-Surfklasse brachte 76 Sportlerinnen an die Linie. Aber die Spitze ist enorm stark. Schließlich zählen am Ende bei Olympia nur die ersten drei Plätze.
Die Kiterin aus Osnabrück hat nun auch in dieser Hinsicht gute Chancen. Sie schaffte vor Palma souverän als Dritte den Einzug unter die Top Ten und ist längst auf Platz vier der Weltrangliste vorgerückt.
Ein wahres Wunder, denn ihr Programm, das sie in den vergangenen Jahren abgespult hat, erscheint geradezu unmenschlich. Neben der Olympiakampagne schloss sie nicht nur im Herbst 2022 das zweite Staatsexamen ihres Medizinstudiums ab, sondern wurde nebenbei noch Mutter.
Sohn Levi bedurfte auch noch zusätzlicher Fürsorge, weil er im Mai 2021 mit einer Fehlbildung am Unterschenkel zur Welt kam. Bei der jungen Familie sorgte das für weitere emotionale und zeitliche Belastungen. Es folgten Krankenhausaufenthalte in den USA und es war kein Wunder, dass Meyer in der Folge den DSV-Kaderstatus und die finanzielle Förderung verlor – nur vier Monate nach der Geburt hätte sie unter die Top-Acht bei der WM kiten müssen.
Ein Jahr lang fehlte die Unterstützung des Verbandes. Aber Meyer zog die Olympiakampagne weiter durch. Sie sah trotz der großen Aufgaben eine Chance, den Paris-Traum lebendig zu halten. Partner Darian stand fest an ihrer Seite. Zusammen lebte die kleine Familie im Sponsor-Van an den Stränden der internationalen Trainingsorte. Und die Ergebnisse wurden immer besser. Die Raserei nahe der 40-Knoten-Marke scheint ihr zu liegen.
Besonders Meyers Eltern hängten sich voll rein. Sabine Meyer (geb. Hellmich) war schließlich selbst einmal knapp an der Olympia-Qualifikation im 470er für 1988 gescheitert. Und Rolf Meyer gehörte viele Jahre lang zu den besten 505er-Seglern. Sie hatten die Segelaktivitäten der Tochter in jüngsten Jahren am Dümmersee gefördert.
„Ohne mein Umfeld wäre das alles nicht möglich“, bestätigt Meyer im NDR. „Ich habe eine super Unterstützung von meiner Familie erhalten, in erster Linie von Darian, der sich sehr viel frei genommen hat, um auf Levi aufzupassen.“
Ob nun der nächste große Coup wartet? Bei der WM und Olympia scheint kein Kraut gegen die seit Jahren dominierende Amerikanerin Daniela Moroz gewachsen. Aber das spezielle Format der Kiter, bei dem am Ende im Finale der besten vier alle Qualifizierten neue Medaillen-Chancen haben, sind mehr Überraschungen möglich, als bei den Seglern. Vor Palma verlor etwa Moroz gegen die Australierin Breiana Whitehead, die es zuvor als Weltranglisten 11. in noch kein großes internationales Finale geschafft hat.
Beispiel einer Übertragung des Formula Kite Finaltags bei der WM 2023:
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