Route du Rhum IMOCA: Herrmanns Berichte von Bord – Schnelle Schweizerin greift vorne an

Die Suche nach dem Passat

Boris Herrmann hat alle größeren Probleme bei seiner Route du Rhum vorerst im Griff und hetzt den Top Ten hinterher. Bei seinen jüngsten Berichten von Bord verbreitet er gute Laune.

Boris Herrmann kann es kaum erwarten, die Passatwinde im Süden zu erreichen und hat dabei einen direkteren Weg als die Konkurrenz eingeschlagen. Es geht darum, ein Flautenband schnell zu durchqueren und auf der anderen Seite mit dem Südostpassat belohnt zu werden. Die große Frage: Wo kommt man am schnellsten durch?

Die Führungsgruppe mit Charlie Dalin an der Spitze, der seinen Vorsprung auf 97 Meilen ausgebaut hat, peilt eine westlichere Passage an und nutzt den aktuellen Nordwind, für Herrmann dagegen weht der Wind genau von vorne und er muss auf einen südlicheren Kurs abfallen.

Dabei verliert er insbesondere auf die Gruppe im Norden an Boden. Insbesondere Isabelle Joschke macht aktuell nach ihrem nödlichen Azoren-Abstecher Plätze und Meilen gut. Sie wird im Tracker schon auf Platz acht geführt und Herrmann ist auf 14 zurückgefallen, aber es muss sich noch zeigen, wer schließlich schneller in die Passatwinde kommt.

Herrmann steuert Südkurs, Mettraux (schwarz) scheint den Anschluss an die Spitzengruppe zu schaffen.

Für Justine Mettraux (36) allerdings scheint diese Option bestens aufzugehen. Die 36-jährige Genferin stellt gerade den Anschluss an die sechsköpfige Spitzengruppe her. Ihr radikaler Nord-Schlenker scheint sich auszuzahlen. Der perfekte Windwinkel macht sie zum schnellsten Boot im IMOCA-Feld.

Eine Überraschung ist das nicht. Mettraux segelt mit Charal1 (Bj 2017) den wohl drittschnellsten Foiler der zweiten Generation nach Apivia und LinkedOut, optimiert von Jérémie Beyou. Dabei finanziert ihr der seit zehn Jahren treu verbundene Tech-Sponsor Teamwork nicht nur das Boot für die Vendée-Globe-Kampagne, sondern zahlt auch für die Infrastruktur des Franzosen. Der beschäftigt rund zwei Dutzend Mitarbeiter in seinem Beyou Racing Team. Durch die enge Zusammenarbeit verfügt sie nun auch über die komplexen Daten zu den speziellen Trimmeinstellungen der Yacht. Damit sollte sie in der Lage sein, annähernd 100 Prozent des Leistungsvermögens der Yacht zu erreichen.

Aber die Schweizerin hat für ihr relativ junges Alter im Offshore-Zirkus auch schon jede Menge Erfahrung auf höchstem Niveau sammeln können. Sie segelte schon zweimal beim Volvo Ocean Race mit, absolvierte zwei Figaro-Saisons und ist Mitglied im 11th Hour Team, das bei The Ocean Race als Favorit antritt.

Solitaire du Figaro, Sieger
Justine Mettraux 2019 bei der Solitaire du Figaro. © solitaire du figaro

In dieser Funktion hat sie schon Tausende Seemeilen auf einem IMOCA absolviert. Denn das US-Team bewegte zeitweise zwei 60-Fußer in seinem Rennstall. Der Neubau Mâlama soll die Regatta gewinnen, die ex Hugo Boss galt als Vergleichsschiff. Justine Mettraux segelt mit dem Damian Foxall damit die Transat Jacques Vabre – allerdings nur, bis bei Finisterre der Mast brach.

Inzwischen segelt Benjamin Dutreux das Schiff bei der Route du Rhum (Guyot) und danach mit dem German Offshore Team bei The Ocean Race. Dass sie nun die Spitze angreifen könnte, haben allerdings wenige Insider erwartet. Deshalb mag die Konkurrenz ihren Nord-Schlag wohl auch eher uninteressiert verfolgt haben. Aber nun scheint sie bestens platziert, um für eine der größten Überraschungen bei dieser Regatta zu sorgen zu können.

So gibt sie Gas:

Auch Jérémie Beyou drückt ordentlich auf die Tube. Ihm ist anzumerken, wie sehr er sich freut, dass sein radikaler, schmaler Neubau auf Anhieb so gut funktioniert. „Der Wind wird langsam schwächer“, schreibt er von Bord. „Alle versuchen den schnellsten Weg zum neuen stärkeren Wind im Süden zu finden. Die Modelle gehen auseinander und entsprechen nicht immer der Realität.“

Charal mit mächtiger Wasserschleppe am Heck. © Polaryse

Es komme jetzt auf die richtige Strategie an. Die Tür zum Wind werde sich nur einen Spalt öffnen und es sein nicht wirklich klar, wo sie sich öffnet. „Wenn man spürt, dass diese Öffnung entsteht, muss man versuchen durchzugehen“.

Aber alle aus der Spitzengruppe haben sich für die gleiche Option entschieden. Das mache die Sache etwas entspannter. „Ich bin froh, hier zu sein, und zufrieden mit meiner Strategie von Anfang an. Es macht Spaß, mit dieser kleinen Gruppe zu kämpfen. Charlie (Dalin) war schnell weg, aber ich habe besonders die Azoren genossen. Mann konnte das Wetter kleinräumig aussegeln mit vielen Inseln-Effekten und plötzlich ganz wenig Seegang. Da konnten wir richtig gut fliegen. Ich habe es genossen.“

Route du Rhum Tracker 2022

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