Sail GP Season Final: Erik Heils Einschätzung – wo steht das Team Germany?

Wer holt die Krone?

Erik Heil ist der erste und einzige deutsche Fahrer im SailGP. Der zweimalige olympische Bronzemedaillengewinner führt in Saison vier der Weltliga erstmals ein Team unter deutscher Flagge in die spektakulären Rennen. In seinem Trendletter „Eriks Echo“ reflektiert und kommentiert Erik Heil Ereignisse und Entwicklungen im Grand Prix der fliegenden Foiler.

© Sail GP Germany

San Francisco, 10. Juli 2024. Wir stehen kurz vor dem Zwei-Millionen-US-Dollar-Finale in San Francisco. Unsere Premierensaison als deutsches Team im SailGP rast mit dem 13. und letzten Event am 13. und 14. Juli dem Showdown entgegen. Während die Spitzenreiter zwischen Golden Gate Bridge und Alcatraz um den Einzug ins Finale der besten drei Teams der Saison kämpfen, wollen wir als Newcomer vom Germany SailGP Team die Chance nutzen, noch einmal alles zu geben und das Finale maximal für unseren Aufstieg in der kommenden SailGP-Saison zu nutzen

Black Foils, Flying Roos, Los Gallos oder Les Bleus?

Peter Burlings neuseeländische Black Foils führen die Saisonwertung mit 93 Punkten souverän vor Australien (78 Punkte), Spanien (76 Punkte) und Frankreich (71 Punkte) an. Die Top-Drei haben die besten Finalaussichten. Die punktgleich mit 67 Zählern auf den Plätzen fünf und sechs liegenden Teams aus Kanada und Dänemark können aus meiner Sicht kaum mehr in den Kampf um eines von nur drei Finaltickets eingreifen.

Erik Heil © Sail GP Germany

Meine Einschätzung: Die Kiwis waren in dieser Saison statistisch das mit Abstand schnellste Team auf den Kursen. Die 49er-Olympiasieger und America’s-Cup-Verteidiger Peter Burling und Blair Tuke sind mit ihrem Team schwer zu schlagen. Meine Hoffnung: Ich wünsche meinem früheren olympischen Sparring-Partner Diego Botin und seinen Spaniern Sternstunden in San Francisco. Die Los Gallos haben gute Chancen, den Finalcut zu schaffen. Vielleicht gelingt den Leichtwind-Besten der Saison das perfekte Rennen?

Ich würde es ihnen von Herzen gönnen. Sollte viel Wind herrschen, sind die Australier im Spiel, auch wenn sie unter den drei Favoriten fürs Finale mit nur einem Event-Sieg in dieser Saison im Vergleich zu den Kiwis (5 Siege) und den Spanien (2 Siege) weniger glänzen konnten als bei ihren vorherigen drei Saisonmeisterschaften in Folge. Es wird Zeit, dass am Ende dieser vierten SailGP-Saison einmal ein anderes Team auf dem höchsten Podestplatz steht.

Eine Zwischenbilanz: Wo stehen wir?

Wir haben im ersten Lehrjahr unsere Ziele übertroffen. Wir wussten, dass der Aufstieg sehr harte Arbeit, viel Zeit und noch mehr Geduld kosten wird. Wir wussten, dass wir Nehmerqualitäten mitbringen müssen. Wir wussten, dass wir das Können und Wissen der erfahrenen Teams, die schon zwei oder sogar drei Jahre dabei sind, mit Blick auf die beschränkten Trainingsmöglichkeiten auf den SailGP-Racern nicht aus dem Stand werden einholen können. Nach zwölf Events liegen wir als jüngster Liga-Neuzugang vor dem großen Finale auf Platz neun vor der Schweiz.

© Sail GP Germany

Oft hat es sich in dieser Saison sogar noch besser angefühlt. Rein rechnerisch ergäbe sich aus unseren bisherigen Rängen 10, 10, 7, 9, 9, 9, 5, 6, 5, 6, 8 und 9 sogar eine durchschnittliche Platzierung von 7,75 im Feld der zehn Teams aus zehn Ländern. Wir konnten mehrfach ins Mittelfeld vordringen, hatten sogar erste Chancen auf einen Finaleinzug. Das ist im Erfahrungssport Segeln und insbesondere auf der Hightech-Bühne des SailGP eine auch von unserer Konkurrenz genau beobachtete gute Leistung für eine Premierensaison. Wir werden in San Francisco angreifen, um den neunten Platz zu verteidigen. Dafür müssen wir selbstbewusst starten.

Die Tech-Ecke: Das Spiel mit Leestarts optimieren

Eine Blende für die Technik-Experten: Wir glauben daran, dass man mit einer guten Startstruktur erfahrenere und erfolgreiche Teams schlagen kann. Ich habe angefangen, von Lee in die Starts zu steuern, um dann nach der Wende schon direkt am Steuer zu sein. Weil sonst beim Rüberlaufen von einer auf die andere Seite, von einem zum anderen Steuer, die Koordination kurz unterbrochen wird. Das könnte ein solcher Schlüsselbereich sein. Das macht bislang kein anderes Team! Wir fühlen uns dabei bisher nicht in allen Bedingungen komfortabel, aber wir sind dran. Es ist eine coole Sache, weil man sofort nach der Wende alle Möglichkeiten hat.

Was die SailGP-Zukunft noch besser machen könnte…

Wir wissen alle, dass Trainingszeiten auf den exklusiven F50-Katamaranen des SailGP sehr knapp sind. Unser deutsches Team hat bis heute inklusive der bislang zwölf Events und Trainings und zusätzlich zur Weiterentwicklung im Simulator kaum 60 Tage auf den Hightech-Foilern gesegelt. Zum Vergleich: Top-Teams der ersten Stunde kommen zum jetzigen Zeitpunkt auf bis zu 700 Tage – und bleiben ja jetzt nicht stehen. Unsere Aufholjagd wird also andauern. Aber wir jagen die Spitze mit Tiefe im Team.

© Sail GP Germany

Sollte die SailGP-Zukunft einen Trainingsort mit einem oder gar zwei Trainingsbooten bieten, wäre das ein Game Changer – vorwiegend für Jäger wie uns. In der Formel 1 gibt es beispielsweise mehr Windkanalzeiten für neue oder bisher nicht so weit oben im Ranking positionierte Teams. Im US-Basketball können die Teams jenseits der Spitzenmannschaften zuerst die besten Spieler unter den College-Absolventen auswählen. Im SailGP könnte man Newcomer mit mehr Trainingszeiten schneller stark machen.

Mit Charakter und Können auf Kurs

Als wir im vergangenen Jahr mit dem Germany SailGP Team durchgestartet sind, mussten wir schnell und treffsicher die richtigen Leute finden. Der SailGP markiert einen Gipfel in unserem Sport: Du suchst zum Auftakt erfahrene Leute, von denen es nicht sehr viele auf der Welt gibt, dazu Talente mit herausragendem Entwicklungspotenzial. Außerdem muss es für mich auch charakterlich gut passen. Die Chemie zwischen den Crew-Mitgliedern muss stimmen, damit das Team in Sekundenbruchteilen und unter Hochdruck erfolgreich zusammenarbeiten, gemeinsam wachsen, Rückschläge wegstecken und vorwärtskommen kann. Ich glaube, das haben wir gut gelöst.

Unsere beiden Strateginnen Sophie Steinlein und Anna Barth waren die beiden größten Talente, die aus ihrem Alterssegment hervorgetreten sind. Sie haben in der SailGP Foiling Base in Cadiz beeindruckt. Wir haben sie zu uns ins Team geholt. Sie machen einen richtig guten Job. Jonathan Knottnerus-Meyer ist jung, ein effizienter Typ, hat eine schnelle Auffassungsgabe und die Power als Grinder. Felix van den Hövel ist ein Kämpfer mit Selfmade-Karriere als Bootsbauer unter anderem im America’s Cup und seit Stunde Null bei uns im Team.

Er hat seine Chance als Grinder im Team aktiv gesucht, bekommen und nutzt sie. Auch erkennt er technische Probleme an Bord, weiß sofort Bescheid, wenn was ist und kann darüber sehr konkret mit dem Tech-Team reden. Dritter im Grinder-Bund ist Dan Morris. Er kam von den US-America’s-Cup-Herausforderer American Magic, ist kein Otto-Normal-Grinder, sondern einer mit gigantischem Verständnis fürs Ganze, der zudem viel Stress puffern und ein Team stark machen kann.

Unser Wing Trimmer Stuart Bithell war mir schon im olympischen Bereich als durchsetzungsstarker Teamplayer aufgefallen. Er hat Silber und Gold bei Olympia gewonnen, gezeigt, dass er mit Druck umgehen kann. Zur ‚Winning Attitude“ hat er noch guten Humor. Auch unser Flight Controller zählt zu meinen liebsten Charakteren im Team: James Wierzbowski kam mit einiger SailGP-Erfahrung ins Team, hat sich uneigennützig und anfangs ohne feste Zusagen hundertprozentig in den Dienst der Mannschaft gestellt. Es gibt kaum einen, der inhaltlich so tief in den Themen steckt wie er. Dabei strahlt er viel Ruhe aus.

Wir sind als Team auf einem richtig guten Weg. Konstanz in der Team-Konstellation ist dabei ebenso wichtig für uns wie die konstante Weiterentwicklung in allen Bereichen. Ich wurde gefragt, welche drei Superkräfte ich mir von den Teams der ersten Stunde wünschen würde, wenn ich könnte. Ich würde die Starts der Australier, den Speed der Neuseeländer und das Leichtwind-Handling der Spanier nehmen. Damit hätten wir die Kernbereiche beisammen, an denen wir auf unterschiedlichen Ebenen auch mit unseren Coaches wie Lennart Briesenick arbeiten.

Danke und Grüße aus San Francisco, Euer
Erik

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