Es war der Tag der Superlative bei der Kieler Woche. Die Aktiven hatten am Freitag (24. Juni) für Wind, Welle und Wetter auf den Bahnen der Kieler Förde nur Begeisterung übrig. Lediglich die Bootsklassen in der Spät-Session (49er, iQFoil) bekamen nur gedämpften Segelspaß geliefert. Bei ihnen brach der Wind ein. Bis zu vier Rennen führten die Wettfahrtleitungen auf den anderen Bahnen über den Kurs. Die Liste der Führenden ist bunt gemischt. Irland, Australien, Finnland, Italien, Großbritannien und Deutschland können auf Kieler Woche-Gold am Sonntag hoffen.
470er
Trotz zwei mäßiger Ergebnisse gelang der Olympia-Sechsten Luise Wanser aus Hamburg mit Philipp Autenrieth (Augsburg) an der Vorschot der Sprung auf Platz eins in der neuen olympischen Mixed-Disziplin. „Wir haben zwei dumme Fehler gemacht, erst einen taktischen, und dann ein Foul mit Strafdrehungen“, war die 25-Jährige mit sich unzufrieden, bevor sie den Blick auf das komplette Tagesergebnis werfen konnte. Im ersten Rennen des Tages segelten sie auf die benachteiligte Seite der Startkreuz (Rang 16), im letzten schätzten sie eine Wegerechts-Situation falsch ein (Rang 19). Dazwischen lag aber ein Tagessieg, durch den sie nun mit drei Zählern Vorsprung vor den nationalen Konkurrenten Malte und Anastasiya Winkel (Kiel) und dem schwedischen Olympia-Zweiten Anton Dahlberg mit Lovis Karlsson in Führung liegen.
49erFX
Das Hamburger Mixed-Team Sophie Steinlein/Thomas Plößel macht Vilma Bobeck/Rebecca Netzler in der olympischen Frauen-Skiffklasse das Leben schwer. Doch die Schwedinnen nehmen es gelassen, dass sie sich nach acht Wettfahrten vorerst hinter Thomas Plößel einreihen müssen, der im vergangenen Jahr mit Erik Heil zum zweiten Mal Olympia-Bronze gewann. „Thommy ist ein guter Freund, der uns viel Unterstützung gibt. Jetzt gegen ihn zu segeln, macht einfach Spaß“, sagt Bobeck. Vier Wettfahrten in herausfordernden Bedingungen führte die beiden Schwedinnen an die Grenze ihrer Kraft. „Das war hart heute“, so Bobeck. Zudem kostete sie ein zu frühes Abbiegen in Richtung Ziel im dritten Rennen den Sieg: „Das war einfach dumm. Wir haben die Bahnkarte am Startschiff nicht richtig registriert.“ Ihre Vorschoterin ergänzte: „Ich bin wirklich platt jetzt. Gerade im vierten Rennen fehlte uns im Vergleich zu Thommy die Man-Power.“
Thomas Plößel strahlte an Land unglaublich Spaß aus: „Vier Rennen in perfekten Bedingungen. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann genau das!“ Der Faktor für die Top-Serie 8, 2, 1, 1 war laut Plößel der Bootsspeed: „Ich habe erst ein Verständnis für den Riggtrimm entwickeln müssen. Jetzt habe ich ihn. Der Bootsspeed war unser Freund heute. Auch wenn wir am Start mal nicht so gut weggekommen sind, haben wir uns wieder nach vorn gearbeitet.“ Die Zusammenarbeit mit Steuerfrau Steinlein, zu der er spontan an Bord gegangen ist, da ihre Vorschoterin erkrankt ist, klappe perfekt. „Manchmal fühlt es sich schon fast an wie mit Erik.“
49er
Trainingsrückstand und Corona-bedingte Zurückhaltung bestimmten den verhaltenen Einstand in die Kieler Woche-Regatta der Kieler Vize-Weltmeister Tim Fischer/Fabian Graf. „Tim hat sich in den vergangenen Wochen um das Studium gekümmert, daher sind wir lange keine Regatta gemeinsam gesegelt“, berichtete Vorschoter Graf. „Am ersten Tag hatten vielleicht ein zu hohes Ergebnis, aber ansonsten war es solide. Es ging darum, sicher ins Goldfleet zu kommen.“ Das hat das deutsche Spitzen-Duo geschafft und nun mit den Platzierungen vier und neun nachgelegt. „Das ist okay, aber der neunte Platz war etwas ärgerlich. Wir haben an der letzten Bahnmarke gleich gehalst und damit einige Plätze verloren“, so Tim Fischer. Der Blick der beiden geht aber auch über die Kieler Woche hinaus. Graf: „Ab jetzt kommt eine längere Wettkampfphase mit EM in Aarhus und der WM in Kanada.“
Die EM ist für die dänische Crew Frederik Rask/Jakob Precht Jensen von besonderer Bedeutung. Dann starten sie auf ihrem Heimrevier. „Die Kieler Woche ist so etwas wie das Pre-Event – eine sehr gute Vorbereitung. Kiel ist wie unser zweites Zuhause“, so Precht Jensen, der im vergangenen Jahr an der Vorschot von Jonas Warrer Olympia-Fünfter wurde und danach mit Frederik Rask ein neues Team gebildet hat. Ihr Ziel für die EM: Gold! Zur Kieler Woche liegen die Dänen auf Platz zwei hinter den Iren Robert Dickson/Sean Waddilove und vor den Kroaten Sime und Mihovil Fantela.
Wichtig für alle Crews bis zur EM ist, gesund zu bleiben. Wie schnell das Aus kommen kann, zeigte sich beim Team Jakob Meggendorfer/Andreas Spranger. Der Vorschoter, WG-Kollege von Tim Fischer, ist Corona-positiv: Das Team musste die Kieler Woche absagen.
Ilca 6
„Wir hatten tolle Bedingungen heute, leider habe ich das Muster nicht so erkannt“, sagte Julia Büsselberg. „Das Problem waren die Druckunterschiede auf der Bahn. Wenn ich rechts rausgefahren bin, war links mehr Druck.“ Trotz der Platzierungen 18, 9, 6 bleibt die 22-Jährige als Gesamt-Vierte im Ilca 6 in einer starken Ausgangsposition, um sich am Sonnabend den Platz im Medal Race zu sichern und dort angreifen zu können: „Weiter konstant zu segeln, ist das Ziel. Dann sehen wir, was dabei rauskommt. Auf jeden Fall ist es hier ein starkes internationales Feld, auch wenn aus der absoluten Spitze zwei, drei Mädchen fehlen.“ Mara Stransky aus Australien führt aktuell vor den beiden Niederländerinnen Mirthe Akkerman und Maxime Jonker die Konkurrenz an.
Ilca 7
Der Finne Kaarle Tapper hat für die Kieler Woche ein klares Ziel: „Ich bin hergekommen, um zu gewinnen. Aber es ist eng“, so der Olympia-Neunte von Tokio. Punktgleich mit seinem Landsmann Valtteri Uusitalo übernahm er aber vorerst die Führung. Der 26-Jährige vermisst in Kiel seinen Trainingspartner Philipp Buhl: „Es ist schade, dass er nicht da ist. Aber er braucht wohl Urlaub.“ Der Tag auf dem Wasser stellte ihn indes absolut zufrieden: „Es waren tolle Bedingungen – wirklich Champagner-Segeln.“ Der Schleswiger Nik Aaron Willim zeigte zwar weiterhin konstant gute Ergebnisse, fiel aber vorerst hinter dem Belgier Wannes van Laer auf Platz vier zurück.
iQ-Foil Männer
Zur Europameisterschaft der foilenden Surfer auf dem Gardasee im Mai sorgte Fabian Wolf (Kiel) noch für das beste deutsche Ergebnis (Platz 13). Doch in Kiel diktiert sein nationaler Konkurrent Sebastian Kördel (NRV Hamburg) das Geschehen. „Die Windbedingungen am ersten Tag forderten vor allem Speed, und da ist Sebastian einfach schneller. Taktisch war nicht viel zu machen“, so Wolf. Gefordert ist bei den Surfern auch viel Kraft und Kondition. Ständig müssen sie am Segel reißen, um niemals von den Foils zu fallen. In den zwei Rennen am Freitagnachmittag gehörte bei nachlassenden und drehenden Winden auch Glück dazu. Das gebührt dem Tüchtigen. Und der ist Sebastian Kördel, der mit zwei weiteren Siegen weiterhin eine blütenreine Weste behält und vor Ethan Westera (Aruba) und Fabian Wolf führt.
iQ-Foil Frauen
Die Surferinnen brachten am Nachmittag nur ein Rennen ins Ziel – und das war enttäuschend für die Gesamt-Führende Lena Erdil (Kiel). Sie kassierte eine Frühstart-Disqualifikation, kann das Resultat aber streichen und liegt weiter an der Spitze vor Laerke Buhl-Hansen (Dänemark) und Aleksanda Blinnikka (Finnland).
Nacra 17
Ein Patzer und drei Siege – in diesem Rhythmus gestalten die italienischen Olympiasieger Ruggero Tita/Caterina Banti ihre Regattatage vor Kiel. Damit demonstrieren sie zwar eindrucksvoll ihre Stärke, gewähren im Kampf um das Kieler Woche-Gold den Konkurrenten aber Schlagdistanz. Die direkten Vorleger, die britischen Doppel-Weltmeister John Gimson/Anna Burnet, sind zwar noch ohne Tagessieg, aber auch ohne dicken Ausrutscher. „Aktuell sind die Italiener einfach etwas schneller. Wir versuchen, uns ran zu arbeiten und mit mehr Konstanz in den Ergebnissen zu punkten“, sagt Gimson. „2022 ist für uns ein Jahr, um die neuen Konfigurationen der Klasse zu lernen. Wir haben uns für dieses Jahr daher keine großen Ziele gesteckt, auch wenn wir die WM in den beiden vergangenen Jahren gewonnen haben. Aber natürlich nehmen wir die großen Regatten mit. Die Kieler Woche ist eines unserer Lieblingsevents und ein guter Test für die EM in Aarhus in zwei Wochen.“ Auf Rang drei haben sich die Neuseeländer Micah Wilkinson/Erica Dawson vorgearbeitet, während die Kieler Olympiadritten Paul Kohlhoff/Alica Stuhlemmer als Gesamt-Zehnte die Chance auf das Medal Race wahren.
11. ACO Musto Skiff-Weltmeisterschaft
Einen Führungswechsel gab es bei der 11. ACO Musto Skiff-Weltmeisterschaft an einem Tag voller Arbeit. Der Brite Rick Peacock zog an dem Südafrikaner Andy Tarboton vorbei. Jamie Hilton komplettiert als zweiter Brite und Gesamtdritter das Podium. „Es war fantastisch da draußen, auch wenn meine Ergebnisse nicht so prickelend waren“, berichtete Tarboton, während er sich das gelbe Trikot von der Vortagesführung abstreifte. Jamie Hilton freute sich dagegen über eine konstante Steigerung bis hin zum Rennsieg in der letzten Tageswettfahrt: „Meine 91 kg waren gut für heute. Mehr wäre noch besser gewesen. Die Wellen waren unglaublich. Unter Gennaker mussten wir sogar abbremsen, um uns nicht zu überschlagen. Jetzt will ich nur noch ins Bett.“ Die richtige Mischung aus Risiko und Zurückhaltung fand Rick Peacock: „Die windigsten Momente waren zum Glück, als wir rausgefahren sind. Da bin ich während der Manöver auch mal gekentert. Während der Wettfahrten konnte ich das dann vermeiden, war schnell und habe die Dreher gut genutzt.“ So hat er sich einen Zehn-Punkte-Vorsprung erarbeitet.
Der Weg in die Top-Ränge ist für die deutschen Starter nicht mehr machbar. Iver Ahlmann ist als 17. der beste Vertreter bei der Heim-WM: „Das sind nicht meine Bedingungen. Aber ich habe gekämpft und alles gegeben. Jetzt bin ich happy, denn es war heute eine Sternstunde auf der Förde: mitten auf dem Meer, tolle Welle und schnelle Wettfahrten – so soll es sein.“
420er
Bevor das Feld der Nachwuchs-Segler im 420er für Sonnabend in die Gold- und Silbergruppen eingeteilt werden, haben sich zwei deutsche Crews an die Spitze gesetzt. Valentina Steinlein/Lea Adolph (München) haben zwei Punkte Vorsprung vor den Berlinern Johann Emmer/Jannis Liebig und der polnischen Crew Jeremi Szcuzukowski/Dominika Olowiak.
J/24 und J/70
Die jeweils führenden Crews in den beiden J-Klassen kassierten an Tag zwei zwar einen Dämpfer, konnten den aber locker wegstecken. Der Ire Cillian Dickson ließ dem sechsten Platz zum Tagesauftakt in der J/24 zwei Tagessiege folgen. Damit segelt er vor dem Hamburger Teams von Stefan Karsunke und Jan Kähler in einer eigenen Liga. Carsten Kemmling blieb in der J/70 mit der Serie 2, 10, 2 sogar ohne Tagessieg, kann aber weiterhin auf einen stabilen Punktevorsprung bauen. Erster Verfolger ist nun Julian Ramm (Itzehoe), der sich an dem Dänen Bo Boje Pedersen vorbeischob.
Seebahn
Die einen kommen, die anderen gehen: Auf der Seebahn gehen die Events direkt ineinander über. Während die Zweihand-Crews mit der Rückregatta von der Schlei ihren Senatspreis beendeten, bereiteten sich die Crews des Silbernen Bandes auf die Nachtregatta durch dänische Gewässer vor.
Der zweite Teil des Senatspreis wurde zu einem echten Leuchtturm-Event der Kieler Woche: Das Wettfahrtleiter-Team um Ralf Paulsen steckte den Kurs zwischen zwei Wahrzeichen ab: Es ging vom grün-weißen Turm von Schleimünde zum rot-weißen Kiel Leuchtturm. Nach rund zwei Stunden hatte die „Almost Nothing“ von Steffen Müller (Wrist) die Bahn abgesegelt und gewann damit in der ORC I+II beide Senatspreis-Rennen. In der Gruppe der kleinen Yachten (ORC III+IV) konnte sich die „Astarte“ von Klaus Ricklefs/Arne Rosenkranz (Kiel) durch den Sieg in der Rückregatta noch an die Gesamtspitze setzen. Souverän die beste Crew in der Yardstick-Wertung waren Olav und Finn Jansen (Kiel), die auf der „Norna“ die Hin- und Rückregatta gewannen.
Nach dem Zieldurchgang ging es für die Seebahn-Wettfahrtleitung bereits daran, den Kurs für das Silberne Band auszugucken. Die Entscheidung fiel wegen der Strömungssituation im Großen Belt auf den Kurs gegen den Uhrzeigersinn zunächst an Langeland vorbei, dann Abbiegen und schließlich durch den Svendborg Sund im großen Bogen nach Kiel. 116 Seemeilen sind so abgesteckt, und der Zielschluss war wegen der zu erwartenden Flautenlöcher auf 39 Stunden ausgeweitet worden.
Blokart
Am Sonnabend und Sonntag gehen auch die Landsegler in ihre Kieler-Woche-Regatten. Auf dem ehemaligen Militär-Areal (MfG 5) zwischen Holtenau und Friedrichsort wird der Kurs für die 16 Blokart-Segler aus fünf Nationen abgesteckt. Näher ran ans Segeln kommen die Zuschauer nirgends, und so haben sich die Piloten in den kleinen Kisten mit ihren kurzen, knackigen Rennen schnell zum Hingucker auf der Kieler Woche entwickelt.
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