Travemünder Woche: Endspurt ins Abschlusswochenende

Per rauschendem Wellenritt ins Finale

Die Segler der Travemünder Woche nehmen den Begriff Endspurt wortwörtlich: Vor dem Abschlusswochenende drehten die acht Flotten auf den sechs Bahnen kräftig auf. Bei nordöstlichen Winden um fünf Beauforts ging es in rauschender Fahrt die Wellen hinab. Bei einem Programm mit bis zu sechs Wettfahrten wurden den Athleten die Arme lang und die Ergebnislisten füllten sich. Während am Freitag nur die Langstrecke der Seebahn entschieden wurde, gibt es in den kommenden Tagen noch ein Feuerwerk von vier Entscheidungen am Sonnabend und fünf am Sonntag.

Die Wind- und Wellenbedingungen am Freitag stellten die Crews auf den Bahnen der Lübecker Bucht vor hohe Herausforderungen. Foto: segel-bilder.de

Ein Rennen steht für die Dyas am Sonnabend aus. Aber Arndt Fingerhut/Andreas Malcher müssten nicht mehr auf das Wasser. Das Duo vom Edersee agierte so überlegen, dass es bereits vorzeitig als Deutscher Meister feststeht. „Die Lübecker Bucht fühlt sich an wie unser Wohnzimmer. 2014 sind wir hier Deutscher Meister geworden, jetzt erst Norddeutscher Meister und dann wieder Deutscher Meister“, freute sich Fingerhut beim gemütlichen Siegerbier am Steg über das perfekte Geschehen. Und dann packte er noch einen drauf: „Außerdem habe ich meiner zukünftigen Frau Miriam per Botschaft auf dem Spinnaker einen Heiratsantrag gemacht. Und sie hat ‚Ja‘ gesagt. Kurz zusammengefasst: Alles super!“ Hinter den neuen Meistern, die auch am Sonnabend noch segeln wollen, ist der Kampf um die weiteren Medaillen noch offen.

Die Ynglings haben für die WM-Entscheidung am Sonnabend ordentlich vorgearbeitet. Nur noch ein Rennen steht aus, und hätte sich der Niederländer Jamin Maarten nicht eine Disqualifikation in der sechsten Wettfahrt eingehandelt, könnte er schon jetzt WM-Gold feiern. So aber muss der WM-Führende weiterhin zittern, obwohl er seglerisch der Flotte überlegen scheint. Der WM-Dritte des vergangenen Jahres segelt beständig als Erster oder Zweiter über die Linie, hat damit die Österreicher um Stefan Frauscher sicher im Griff. Hoffnung auf eine WM-Medaille darf sich Ralf Teichmann (Wesel) mit seiner Crew machen. Nach verhaltenem Start in die WM hat sich das Trio beständig gesteigert und belegt nach neun von zehn Wettfahrten Rang drei.

Jäh gebremst wurde der Höhenflug des US-Teams im Formula 18. Nach dem ersten Tag lagen die Katamaran-Asse aus San Diego, Stephan Stroebel/Steven Leuck, noch in Führung, jetzt haben sie vorerst einen Platz auf dem Podium verloren. An ihrer Stelle thronen nun die Lokalmatadoren Sven und Jesse Lindstädt auf Platz eins. Dahinter folgen im knappen Abstand, der noch alle Möglichkeiten offen lässt, die Finnen Mikko und Kirsikka Räisanen sowie Tom Heinrich/Kilian Feindt (Kiel/Lübeck).

Rundum glücklich ist nach zwei Tagen der Franzose Alexander Ehlen, der für den Yacht-Club Monaco startet. In zwölf Wettfahrten fuhr er elfmal als Sieger über die Linie, ist klarer Führender bei der IDM der Formula Kite und genießt die Tage in Travemünde: „Wir haben tolle Windbedingungen. Für mich dürfte es sogar gern noch etwas mehr Wind sein. Die Destination ist top, die Kombination aus Land- und Segelprogramm sehr gelungen. Schade, dass unser Feld so klein ist. Ich werde gern international für Travemünde werben, kann das Revier sehr empfehlen.“ Ehlen ist der Gewinn der Internationalen Deutschen Meisterschaft kaum mehr zu nehmen, obwohl der Titelkampf erst zur Hälfte vorbei ist.

Halbzeit haben auch die Hobie 16 bei ihrer Europameisterschaft in der offenen Klasse, und die Deutschen müssen sich auf ihrem Heimatrevier strecken, um ganz oben zu landen. Das Problem: Die Teams in Schwarz-Rot-Gold segeln nicht beständig genug, haben neben Top-Resultaten auch immer wieder ein paar Patzer in der Liste. Als beste Crew wahren Jens Goritz/Anke Delius (Föhr) ihre Medaillen-Chance auf Rang drei. Direkt vor ihnen rangiert Ex-Weltmeister Daniel Björnholt mit Josephine Frederiksen (Dänemark), der sich aber auch noch hinter Gessa Pierandrea/Roberto Dessy (Italien) einreihen muss.

Unverändert bleiben die Spitzenpositionen bei den Kielzugvögeln und O-Jollen. Herbert und Elisabeth Kujan (Forggensee) haben den Gesamtsieg bei den Kielzugvögeln bei noch einem ausstehenden Rennen schon sicher, Harry Voss vom Steinhuder Meer (O-Jolle) muss zumindest noch an den Start gehen, um sich das TW-Siegersilber zu sichern.

Seebahn: Angespannter Start, entspannte Regatta

Zum Start am Donnerstagabend war von den Steuerleuten und den Mannschaften auf den Yachten höchste Konzentration gefordert. Im engen Revier der Trave mussten nicht nur die Manöver exakt sitzen, auch spontane Ausweichaktionen gehörten zum Repertoire sowie ein genaues Timing, um den Bug mit dem Startschuss über die Linie zu schieben.

Alf Henryk Wulf bewies mit seiner „Stardust“ ein perfektes Auge für die Entfernung zur Linie, um die letzte Wende nahe der Stege vor der Travepromenade zu setzen und mit der X41 in Richtung Südermole davonzuziehen. Dort nutzte er den Platz aus, wendete spät und zog mit Backbord-Schoten aus der Trave in Richtung Ostsee davon. „Das war wirklich spannend zum Start. Die Trave lässt nicht viel Platz. Aber es hat ausgezeichnet geklappt. Unser Timing passte. Auf Höhe der ersten Ansteuerungstonne hatten wir das Feld der Yardstick-Yachten, die zehn Minuten vor uns gestartet waren, eingeholt“, so Wulf.

Nach dem spannenden Start in der Trave ging es für die Yacht-Crews auf die Reise durch die Nacht in eine entspannte Regatta. Foto: segel-bilder.de

„Wir sind in die Nacht hineingekreuzt. Gegen 23.30 Uhr haben wir die Bahnmarke in Wismar erreicht, haben den Spinnaker gezogen und konnten schön schnell die Lübecker Bucht überqueren“, berichtete der „Stardust“-Skipper. Mit acht bis neun Knoten Wind war die Brise deutlich stärker als vorhergesagt, so dass die Crews schnell unterwegs waren. „Es war ausgesprochen schönes Segeln. Wir haben uns nur am Ruder und an der Großschot mal abgewechselt, ansonsten ist die Mannschaft durchgesegelt. Wir hatten tolles Licht, es wurde nie komplett dunkel durch den hellen Nordhimmel. Ein wirklich großes Erlebnis für die gesamte Crew.“

Zwischenzeitlich hatte sich die „Stardust“ einen Vorsprung von 18 Minuten vor den ersten Verfolgern erarbeitet. Der schmolz kurz vor dem Ziel zwar wieder etwas zusammen, als der Wind nachließ. Aber auch die zwölf Minuten vor der „Adamas“ von Jan Peters (Heiligenhafen) reichten für die Kieler Yacht, um nicht nur erstes Schiff im Hafen zu sein, sondern auch nach Berechnung in der ORC I+II das Rennen zu gewinnen. Bei den kleineren ORC-Schiffen (III+IV) setzte sich die „Caramelle“ von Matthias Renner (Lübecker YC) und bei den Yardstick-Yachten die „X-wärts“ von Lars Schöppener (Wismarer SV) durch.

Um 11.15 Uhr war das letzte der zwölf gestarteten Schiffe, die „Herr Nilsson“ von Timo Manske (Lübecker YC), im Ziel. Nur die „Tolenza“ von Nils Rogge (Neustädter SV) musste aufgeben. „Da ist das Großsegel gerissen“, berichtete Seebahn-Chef Uwe Wenzel. Am Samstag folgt Teil drei der Travemünder Woche für die seegehenden Yachten. Um 10 Uhr ist Start der Mittelstrecke. „Da haben 40 Boote gemeldet. Das kann sich sehen lassen“, sagt Wenzel.

Formula Kite: Im Rausch von Fliegen, Springen und Speed

Bunte Kite-Schirme am Himmel, über dem Wasser schwebende Boards und rasante Geschwindigkeiten – die olympische Klasse Formula Kite ist mit ihrer Internationalen Deutschen Meisterschaft bei der Travemünder Woche ein echter Hingucker auf dem Wasser. Ganz vorne fliegt dabei Jan Vöster mit, der aktuell auf Platz zwei liegt. Schon früh hat der 18-Jährige beschlossen „Ich will fliegen“ und wechselte zum Kite-Foilen mit Kurs Olympia.

Die Faszination für den Wassersport hat Jan Vöster aus Neuenburg am Rhein von seinem Vater geerbt, der selbst passionierter Windsurfer und Kiter ist und etliche Jahre Windsurfregatten bestritten hat. „Im Wasser habe ich mich schon immer wohlgefühlt. Den Familienurlaub – oft am Comer See oder in der Bretagne – habe ich meist im Neoprenanzug verbracht. Das Kiten hat mich früh fasziniert, aber damit musste ich mich etwas gedulden. Mein Vater hat gesagt: ‚Wenn du 30 Kilo wiegst, darfst du anfangen.‘ 2016 war es dann endlich so weit: Ich war schwer genug. Vorher bin ich schon den Kite am Strand geflogen, und mein Vater hat mich festgehalten, damit ich nicht abhebe“, erzählt Nachwuchskiter Jan Vöster.

Die Deutsche Meisterschaft der Formula Kite sorgt für neue Anblicke zur Travemünder Woche. Foto: segel-bilder.de

Schnell hat der 18-Jährige beim Kiten gemerkt: „Ich will fliegen.“ 2018 stieg er deshalb aufs Foilen in die Klasse Formula Kite um. Ein Jahr später trat er bei ersten Regatten an. Seitdem geht es für den Baden-Württemberger beim Kiten „in großen Schritten voran“. Regelmäßig erfliegt er mit seinem Kite gute Platzierungen in den Top-Ten. Bei den Youth Worlds in Den Haag/Niederlande belegte er Anfang Juli Rang sechs. Vösters langfristiges Ziel ist klar: Olympische Spiele, am liebesten schon 2028 in Los Angeles. Im Oktober steht für den Kiter aber erst einmal die WM der Elite an, um weitere Erfahrung zu sammeln – und im kommenden Jahr das Abitur. Danach will sich der Athlet vom Württembergischen Yacht-Club (WYC) voll auf seine Kite-Karriere konzentrieren. „Was mich am Kiten begeistert, ist das Spiel mit Wind und Wasser. Das Fliegen, Springen und die Geschwindigkeit sind einfach toll. Ich fühle mich beim Kiten völlig frei“, erklärt er.

Lange war sein Vater Tobias mentaler Coach, Caddy, Trainer, Trainingspartner und Sponsor in einem. Mittlerweile trainiert Jan Vöster mit einem Verbandscoach. „Richtig professionelles Training absolviere ich erst seit dieser Saison. Vorher habe ich zwar auch gezielt trainiert, aber jetzt in der Trainingsgruppe profitiere ich zum Beispiel von Match Races“, erzählt Vöster. Beim Athletiktraining würde er vom DSV unterstützt. Zusätzlich stehen dreimal die Woche Lauftraining und fünf- bis sechsmal in der Woche Krafttraining im Fitnessstudio an. Das Ziel: ein grundlegender Kraftaufbau, aber auch das Zulegen an Masse, denn das Körpergewicht spielt eine wichtige Rolle beim Kite-Foilen. Wer vorne mitfliegen möchte, sollte mindestens 85 bis 90 Kilogramm und gerne auch mehr auf die Waage bringen.

Nach dem Schulabschluss hofft Jan Vöster auf einen Start bei Olympia. Foto: Katrin Heidemann

In den vergangenen Wochen ist Jan Vöster viel auf Kite-Events im Ausland unterwegs gewesen. Mallorca, Hyères in Südfrankreich, die U21-WM auf Sardinien und die Youth Worlds in Den Haag waren die Stationen. Wenn er zu Hause ist, behält er stets den Wind im Blick und fährt bei guter Vorhersage zum Kiten an den Bielersee oder Neuenburgersee in der Schweiz. In Travemünde kitet Vöster zum allerersten Mal: „Die Location ist schön, auch wenn das beim Rausgehen aufs Wasser hier etwas tricky ist.“

Sein Travemünde-Debüt gibt auch gerade Vösters Mitstreiter Alexander Ehlen aus Frankreich, der für den Yacht Club Monaco startet. Seine Begeisterung formuliert er wie der drei Jahre jüngere Vöster. „ Am Kite-Foilen gefällt mir das Freiheitsgefühl und die Geschwindigkeit. Unsere Disziplin ist mit Geschwindigkeiten von rund 35 Knoten wohl mit die schnellste auf dem Wasser“, sagt der 21-Jährige, der in Hyères in Südfrankreich lebt. Ursprünglich kommt Ehlen vom Segelsport, ist in den Klassen Nacra 15 und J/70 gesegelt und war auf dem Hobie-Katamaran französischer Meister. Mit 16 Jahren ist er vom Boot auf das Kite-Board umgestiegen und kurz danach bei ersten Rennen gestartet. In der Lübecker Bucht kitet er zum ersten Mal. „Es ist eine schöne Destination und eine gute Kombination aus Segelveranstaltung und Festival“, so der Profi-Kiter, der noch auf einen Startplatz für die Olympischen Spiele in seinem Heimatrevier Marseille hofft und in Travemünde aktuell klar die Nase vorn hat.

Segel-Bundesliga: Mit Teamwork zum Erfolg

Das Liga-Segeln zur Travemünder Woche geht in die zweite Runde. Nach der Sailing Champions League an den ersten vier TW-Tagen bilden die Erste und Zweite Segel-Bundesliga den Abschluss der 133. Travemünder Woche. Bis zum Sonntag gehen jeweils 18 Mannschaften in den beiden Leistungsklassen auf einer Bahn vor der Nordermole an den Start.

Das Spitzenbild in der Ersten Segel-Bundesliga ist dabei das gleiche wie in der Sailing Champions League. Der NRV aus Hamburg hat nach sechs Rennen den Bug vorn. Allerdings hat zur Segel-Bundesliga nicht David Chapman die Pinne in der Hand, sondern der ehemalige Olympia-Segler Tobias Schadewaldt, der bereits vor zwei Wochen für einen Liga-Erfolg der Hamburger gesorgt hat. In der Zweiten Liga zeigte das Bodensee-Team vom Konstanzer YC am ersten von drei Tagen eine starke Performance und führt das Feld souverän an.

Das Liga-Segeln gastiert nach der Sailing Champions League nun mit der Bundesliga in Travemünde. Foto: segel-bilder.de

In der Zweiten Bundesliga ist auch ein inklusives Team aus Hamburg mit am Start: das Bat Sailing Team von der FC St. Pauli Segelabteilung. Es ist der zweite Bundesliga-Einsatz für das Team, das sich in Travemünde aus Steuermann Leon Tyssen und den Crewmitgliedern Jessica Stiefken (Taktik), Christiane Willim (Trimm) und David Koch (Vorschiff) zusammensetzt. „Das Liga-Format ist sehr herausfordernd für uns, aber auch sehr spannend. Ich segele immer noch gerne mit. Unser Teamwork an Bord wird immer besser“, sagt David Koch, der das Projekt „Inklusion auf der Regattabahn“ im wahrsten Sinne des Wortes mit einer „Schnapsidee“ mit angestoßen hat und beim Regatta-Debüt des Teams bei der Kieler Woche 2019 mit an Bord war.

Der Segler mit Sehbehinderung freut sich auf die neue Herausforderung bei der Travemünder Woche. „Das ist hier mit mehr Wind und Welle ein ganz anderes Kaliber als kürzlich auf der Kieler Innenförde. Das wird interessant. Jedes Rennen ist wieder anders und macht Spaß“, sagt der Hamburger. Großes Lob für seine Schnelligkeit auf dem Vorschiff bekommt er von Teamkollegin Jessica Stiefken: „Beim Gennakerbergen und -packen ist David wirklich spektakulär schnell.“ Den Bundesliga-Einsatz in Travemünde ging das Team positiv gestimmt an. „Wir packen das, auch bei etwas mehr Wind und Welle“, sagte die Mannschaft am Auftakttag der Zweiten Bundesliga in Travemünde.

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