Als wäre es nicht schon Performance genug, als Behinderter bei der Vendée Globe überhaupt mitzusegeln! Nein, der mehrfache 2.4mR-Weltmeister und Paralympics-Sieger Damien Seguin führt zwischenzeitlich das Ranking an.
Jedes Langstreckenrennen hat seine eigenen, meist ungeschriebenen Gesetze. Klar, da ist allem voran „Murphys Law“, über das wir während der kommenden Wochen und Monate hoffentlich nicht allzu oft berichten müssen. Und da ist das Gesetz der „Beachtung“, die gerne auch in „Achtung“ im Sinne von Wertschätzung und Respekt münden kann.
Bei einem medial hervorragend organisierten Event wie der Vendée Globe erfährt nahezu jeder Teilnehmer auf irgendeine Art und Weise irgendwann seine Beachtung. Alle hoffen natürlich, dass diese ausschließlich positiver Natur sein wird und eben nichts mit Bruch, Kollision und Gefahr für Leib und Leben zu tun hat.
Besonders wirksam im medialen Sinnen ist so eine Beachtung, wenn sie im Rahmen des Starts stattfindet. In den ersten Tagen ist vor allem das große Publikum noch „voll bei der Sache“, will erste Ergebnisse sehen, die ganz persönlichen Helden gut positioniert wissen. Dabei ist es schnurzpiepe, was in den nächsten Tagen und Wochen noch folgen wird. Was zählt, ist der Moment.
Ein Glücksgefühl nach dem anderen
So kam es, dass gestern und heute ein Segler der „Held des Tages“ wurde, den man sowieso nicht oft genug als Ausnahmesegler bezeichnen kann: Damien Seguin, erster Teilnehmer der Vendée Globe mit einem Handicap. Seguin wird von Montag Mittag bis Dienstag Nachmittag sogar als Führender der IMOCA-Flotte gelistet – eine starke Leistung, auch wenn die aktuelle Rangliste schief erscheint, weil die auf dem Kreuzkurs südlich platzierten Boote virtuell vorne liegen.
Aber es ist tatsächlich eine Sensation, dass er gleichauf mit dem Neubau-Foiler von Mitfavorit Troussel liegt, der eigentlich nicht seine Kragenweite ist. Denn Seguin segelt einen „Klassiker“, wie die „Nicht-Foiler“ in der Szene mittlerweile schon genannt werden.
Und die sind bei dieser Vendée Globe eigentlich in ihr eigenes Rennen verstrickt. Sie segeln andere Kurswinkel und folgen deshalb anderen Routingoptionen. Das sieht man schon daran, dass sie sich gegenseitig belauern und – außer Clarisse Cremer mit dem vermeintlich schnellsten Nicht-Foiler – das Gros die taktische Option links am Verkehrstrennungsgebiet vorbei nutzen. Diesen Wettkampf führt Seguin an. Darauf hat er sich vorbereitet.
Dennoch dürften die Stunden ganz oben auf der Rangliste bei dem Handicap-Segler einen Endorphin- und Glücks-Schub nach dem anderen ausgeschüttet haben. Stunden, die nicht nur für ihn, sondern auch für seine große Fangemeinde unter den Franzosen und bei vielen Handicap-Sportlern weltweit ein echtes Highlight waren.
Und nein, es ist nicht dispektierlich oder gar moralisch verwerflich, wenn man ihn als Segler bezeichnet, der Einhand-Segeln wörtlich nimmt. Denn er beschreibt sich selbst so: Damien wurde ohne linke Hand geboren und sieht sich schon seit Jahren mit einem Augenzwinkern fürs Einhandsegeln prädestiniert.
Der 41-jährige Wahl-Bretone, dessen Wurzeln jedoch in den Alpen (Grenoble) liegen, ist in der Segelwelt längst kein Unbekannter mehr. Seine Leistungen bei den Paralympics, bei Weltmeisterschaften und letztendlich auch auf der Hochsee haben ihn längst zu einem Star in der Handicap-Sportlerszene gemacht.
Hierzulande wurde er als jahrelanger Gegenspieler von Heiko Kröger bekannt. Ihm jagte der Franzose zwei paralympische Goldmedaillen (in Athen und Rio, eine Silbermedaille in Quingdao) und fünf Weltmeistertitel ab (zuletzt 2019). 22 Siege im Weltcup (alle Titel im 2,4 mR) sprechen für sich.
Kröger war lange nicht gut auf den Konkurrenten zu sprechen, weil der es offensichtlich mit den Regeln nicht immer so ganz genau genommen hat. Aber der Vorfall liegt mehr als zehn Jahre zurück. Seitdem ist Seguin in dieser Hinsicht nicht mehr auffällig geworden. Er hat sich auch ein anderes Spielfeld gesucht.
Tanz auf zwei Hochzeiten
Denn was Damien Seguin seit jeher, schon als kleiner Junge faszinierte, war etwas ganz anderes als der perfekte Anlieger zur Luvtonne oder das Matchrace auf der Zielkreuz. Vielmehr warb Seguin schon vor 15 Jahren für sich und sein Talent in Sachen Hochseesegeln. Und, wen wundert’s, im Speziellen für eine Teilnahme bei der Vendée Globe. Schon als junger Segler machte er keinen Hehl daraus, dass sein großes Ziel eher 60 Fuß lang ist und über eine Strecke von 24.000 Seemeilen gesegelt werden muss. „Es gibt nur ein Ziel für mich: die Vendée Globe!“ soll er schon als Zwanzigjähriger gesagt haben.
Um dort hinzukommen, beschritt Damien Seguin – mal ganz abgesehen von seiner Behinderung – einen eher unüblichen Weg. Er tanzte konsequent auf zwei Hochzeiten: Bei der paralympischen Klasse 2.4mR (siehe oben) und im Hochseeszirkus. Bei Langstreckenregatten startete er ohne Bonuspunkte und besondere Berücksichtigungen gegen Segler, die zwei Hände für jedes Manöver zur Verfügung hatten und haben. Und die ihm zwar von Beginn an größten Respekt zollten, letztendlich aber nur auf das Eine bedacht waren und sind: Vor ihm ins Ziel zu kommen.
Doch genau das reizte den Segler mit dem Handicap.
Erfolgreich „au large“
Mit seinen internationalen Erfolgen im 2,4mR fand Damien schnell Respekt und Eintritt in die Elite-Hochseeszene. Zunächst brillierte er regelrecht als Einhand- und Shorthanded-Segler in der Class 40. 2009 debütierte er mit einem 4.Rang bei der Transat „Solidaire du Chocolat“. 2010 wurde er 10. von 44 bei der Route du Rhum (einhand). 2011 meisterte er die Transat Jacques Vabre gemeinsam mit seinem besten Kumpel Yoann Richomme auf Rang 2, 2013 dann in der gleichen Konstellation Rang 7. Die Route du Rhum 2014 beendete er auf Rang 8 (alle Ergebnisse auf Class 40).
2018 dann die ersten Regatten auf seinem Traumboot, dem IMOCA. Mit dem Krankenversicherungsunternehmen „Groupe Apicil“ hatte er einen Partner gefunden, der ihm zwar keinen nagelneuen IMOCA mit Foils und Gedöns zur Verfügung stellen konnte/wollte, dem Handicap-Segler aber eine enge inhaltliche Verbindung und langjährig Treue garantierte.
Auf „Groupe Apicil“ segelte Seguin bei der Route du Rhum auf Rang 6 (SR-Artikel), beim Bermudes1000 Race auf Rang 3. Im letzten Jahr – Vorbereitungszeit für die Vendée Globe – geht seine Performance-Kurve etwas nach unten: Rang 14 beim TJV, Rang 17 beim Rolex Fastnet und Rang 11 beim Bermudes 1000. Und von wegen „Performance“: Ganz nebenbei wurde er nochmals Weltmeister im 2.4mR.
Das ist seit Sonntag alles Schnee von gestern und vorgestern. Jetzt segelt Damien Seguin auf seiner „Apicil“ dort, wo er immer hinwollte: Mitten in der größten Vendée Globe-Flotte, die es jemals gab. Mitten unter den besten Hochseeseglern der Welt bei einem Abenteuer, das als eines der härtesten Sportevents überhaupt bezeichnet wird.
Boots-Umbau mit „Yes, we cam!“
Damiens „Apicil“ ist ein Finot-Conq-Riss, der bei Multiplast gebaut und schon 2018 zu Wasser gelassen wurde. Die Bezeichnung „Klassiker“ ist in der IMOCA-Szene also durchaus gerechtfertigt. Doch was dieses Boot, nach jeder Menge Refits in den ersten Jahren heute ganz besonders macht, ist der konsequente Umbau für die Belange eines Einhand-Seglers. Sie ahnen es schon: Auch hier ist „einhand“ wörtlich gemeint!
Die spezielle Konfiguration des Decks, die Ergonomie und Position der Winschen, die Klaviatur der Fallenstopper etc. p.p. all’ das erarbeitete und baute Damin Seguin gemeinsam mit einem „alten Salzbuckel“, einem „loup de mer“ (Wolf der Meere) wie er im Buche steht: Jean le Cam.
Der mehrfache Vendée Globe Teilnehmer und unermüdliche IMOCA-Protagonist beriet Seguin nicht nur mit einer Engelsgeduld, sondern „steckte“ ihm auch alle Tipps und Tricks, die er seit Jahrzehnten in seiner Erfahrungskiste gesammelt hat. Ganz zu schweigen von den Hunderten Stunden, die die Beiden tatsächlich an Seguins Boot „Schulter an Schulter“ bastelten.
Dabei ist die IMOCA weiterhin nach den Klassenregeln ausgerüstet. Aufgrund seines Handicaps hat er nur eine grundlegende Veränderung am Material vorgenommen: Am Grinder sind statt Griffen Hülsen montiert, in die Seguin jeweils seinen Armstumpf stecken kann. Wer glaubt, dass Einhandsegler wie Damien „Extrawürste“ für erfolgreiches Segeln benötigen, irrt sich seit jeher.
Gemeinsam vorne
So war es ein weiterer Glücksfall, dass Damien Seguin am zweiten Tag der Vendée Globe gemeinsam mit seinem Mentor und Freund Jean Le Cam die Vendée Globe-Flotte anführte. Auch le Cam ist auf seiner „Yes, wen cam!“ weit unter Land auf Höhe Cap Finisterre gesegelt, um dort in einer Leichtwindphase thermische Winde zu finden.
Die meisten anderen Boote wählten den Weg weiter westlich um das vor Finisterre lauernde Verkehrstrennungsgebiet herum . Wohl auch, weil dort heute Nachmittag frischer Wind aus West mit 20 – 25 kn Geschwindigkeit erwartet wird. Was dann wiederum das Ende der Erfolgssträhne von Le Cam und Seguin sein dürfte.
Doch was soll’s – Seguin hat genau das bereits geleistet, was er sich für diese Vendée Globe vorgenommen hatte: Zumindest einmal auf Augenhöhe mit den besten Einhandseglern der Welt und erst recht mit diesen supermodernen Foilern unterwegs sein. Kann ein einhändiger Einhandsegler mehr erwarten? Wer weiß schon, was dieser Ausnahmesegler noch alles „drauf“ hat?!
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